Eigentlich läuft bei der Musikerin Lisaholic gerade alles bestens. Sie hat soeben ihre neue EP mit dem Titel Asche herausgebracht und zumindest für die Monate Juli und August Bookings für Live-Auftritte ohne Ende. Monatelang ging wegen Corona gar nichts, dafür jetzt umso mehr. Aber so richtig möchte sie der Sache noch nicht trauen. Die Delta-Variante und den mit ihr zusammenhängenden rasanten Anstieg der Inzidenzen in Israel, Holland oder Spanien sieht sie als Warnsignal dafür, dass es mit der entspannten Pandemie-Lage hierzulande auch bald schon wieder vorbei sein könnte. Und damit wahrscheinlich der eine oder andere ihrer geplanten Gigs ins Wasser fallen würde.
Dabei gehört der Live-Auftritt unbedingt dazu, um Lisaholics Kunst im Ganzen begreifen zu können. Auf Platte bekommt man von ihr Hip-Hop zu hören, Bassmusik, um genauer zu sein. Dieses Subgenre ist schneller als klassischer Hip-Hop, eher auf Speed als bekifft. Und auf den Tracks von Asche rappt Lisaholic dann auch in rasender Geschwindigkeit zu Bassgewittern, die eher an Drum&Bass erinnern als an althergebrachten Hip-Hop mit James-Brown- oder Jazz-Samples. Aber auf der Konzertbühne bekommt man noch einmal eine ganz andere Lisaholic präsentiert. Während es bei Hip-Hop-Shows meist so läuft, dass der DJ vorab produzierte Beats aus der Konserve zubereitet, über denen die Rapper*in dann ihren Sprechgesang ausbreitet, erweist sich Lisaholic live als One-Woman-Show, bei der alles im Moment geschieht und nichts vorhersehbar ist. Mit Techniken aus dem Beatboxing, einem klassischen Element der Hip-Hop-Kultur, bei dem Geräusche und Beats mit dem Mund produziert werden, bastelt sie ein musikalisches Grundgerüst. Ihre Schnalz-, Brumm- und Knackgeräusche verarbeitet sie mithilfe eines Geräts, der Loopstation, zu einem Soundteppich, über den sie dann rappt. Sie produziert also live ihre Musik, lässt Zufall und Spontaneität dabei bewusst zu. Das ergibt eine extrem performative und körperliche Show, die weit entfernt ist von den Routinen, die so manche Star-Rapper*innen bei Konzerten pflegen.
Rikscha fahren, klampfen
Beatboxing, Loopstation auf der Bühne bedienen, Rappen – Lisaholic nimmt sich die diversen Elemente aus der Hip-Hop-Kultur und bastelt daraus auf originelle Art etwas Eigenes. Die meisten sind schon damit zufrieden, wenn sie einigermaßen rappen, beatboxen oder die Technik bedienen können. Lisaholic will alles zusammen machen und beherrschen, auch wenn sie von sich selbst sagt, sie sei beispielsweise jetzt nicht die krasseste Beatboxerin. Da seien andere weiter, die würden aber auch den ganzen Tag lang üben.
Man hat das Gefühl, die Musikerin Lisaholic vermeidet den kreativen Stillstand um jeden Preis, mit bereits Erreichtem will sie sich nicht so schnell zufrieden geben. Sie ist nun Mitte 30 und seit ein paar Jahren Hip-Hopperin, aber mit ihrer Kunst bleibt sie im steten Wandel. Vor ein paar Jahren hat sie, die eigentlich Lisa Hollik heißt und Dolmetscherin ist, noch in München als Rikscha-Fahrerin gearbeitet. Ein toller Job übrigens, sagt sie beim Gespräch am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg, wo man sich mit ihr trifft. Es lassen sich im Netz noch Videos aus ihrer Münchner Zeit finden, auf denen sie auf einem öffentlichen Platz die Gitarre klampft und dazu singt. „Liedermacherzeug“ nennt sie das heute. Dann aber begann ihr Interesse an Beats und Raps. Sie bekam von einem Freund einen dreistündigen Grundkurs im Beatboxen, besorgte sich die Loopstation – und fortan war sie Lisaholic, die Rapperin. Als „östrogenhaltigen Sprechgesang“ hat sie ihre Musik mal gegenüber der Süddeutschen Zeitung bezeichnet. Vor drei Jahren ist sie dann nach Berlin gezogen, die deutsche Hip-Hop-Hauptstadt.
Eigenwillig ist sie auch in der Selbstvermarktung. Es habe ein Angebot vom Szene-Label Audiolith gegeben, ihre neue EP veröffentlichen zu wollen. Aber sie hat abgelehnt. Einmal, weil sie lieber alles Geschäftliche selbst in ihren Händen behalten möchte. Aber auch, weil sie Angst davor habe, „politisch nicht gefestigt genug“ zu sein für ein Label wie Audiolith, das sich der antideutschen Szene zugehörig fühlt. Sie sei ja gar nicht so politisch, sagt sie über sich selbst. Links schon, das ja, aber eben nicht dezidiert antideutsch oder sonst etwas Spezifisches aus dem linken Milieu. Zumindest nicht in der Weise, dass sie explizit als politische Künstlerin wahrgenommen werden möchte. Ihre Texte seien zudem eher persönlich und aus dem Leben gegriffen, „Liebeskummerzeug“, sagt sie.
Man kann es aber auch so sehen: Eine Rapperin, die komplett ihr eigenes Ding durchzieht, wie Lisaholic das tut, wirkt im Kontext der deutschen Hip-Hop-Szene durchaus politisch. Die sexistischen Texte, hauptsächlich vorgetragen im Gangsta- und Battle-Rap, sind dort ja das eine. Das andere sind die für Frauen immer noch ziemlich undurchlässigen Strukturen, die sich in dieser Szene über die Jahre etabliert haben. Männer organisieren die Battles, bei denen sich Rapper*innen beweisen müssen – Frauenquoten haben dort eher Seltenheitswert. Männer betreiben meist auch die Labels, auf denen die Hip-Hop-Platten erscheinen. Und die Produktion von Rapstücken ist weitgehend ebenfalls Männersache. Genau in dieser Szene seine Musik nun einfach selbst herauszubringen, wirkt da schon wie eine Aussage.
Sie sei natürlich eine feministische Rapperin, sagt Lisaholic, wolle dabei aber den Feminismus nicht wie eine Monstranz vor sich hertragen, „sodass auch die anderen Facetten meiner Persönlichkeit zu sehen sind“. Aber wenn sie rappt, „ich ficke dich mit Worten“, klingt das wie eine Kampfansage, die auch ihre männlichen Kollegen ernst nehmen sollten. Die Logistik um sie herum organisiert sie durchaus mit einem Blick für andere Frauen. Die Agentur Mona Lina, über die sie ihre neue Platte bewerben lässt, wird von Frauen betrieben und ist ausschließlich für weibliche Hip-Hop-Künstlerinnen tätig. Und sie achtet darauf, dass ihr bei Live-Gigs möglichst weibliche Technikerinnen zuarbeiten, denn „mit Männern hat man in der Szene trotzdem noch genug zu tun“. Eine Agentur wie Mona Lina hält sie beim aktuellen Zustand der deutschen Hip-Hop-Kultur für wichtig und notwendig. „Als Interimslösung“, die so lange vonnöten ist, bis eine Frau im Hip-Hop nicht mehr als exotisch, sondern als selbstverständlich wahrgenommen wird.
Es tut sich was in der Szene
Und es tut sich ja auch etwas, findet sie. In der Berliner Bass-Szene, in der sie sich vor allem bewegt, seien sehr viele Frauen mit dabei. Und auch sonst würden im deutschen Hip-Hop „immer mehr Frauen aufpoppen“. Selbst beim Beatboxing, für das sie sich immer noch interessiert, tue sich etwas. Beatboxen ist besonders bei pubertierenden Nerds beliebt, so Lisaholic. Als Frau habe man es in diesem Umfeld doppelt schwer, berichtete bereits vor ein paar Jahren die Londoner Beatboxerin Grace Savage. Ein Mann, sagte sie in einem Interview mit der BBC, der einmal Champion bei einem Beatboxing-Wettbewerb geworden sei, halte sich danach für den König der Welt. Sie dagegen habe erst mehrfach britische Beatboxing-Meisterin werden müssen, damit die Jungs sie akzeptierten. Inzwischen, so Lisaholic, sei diese Ignoranz nicht mehr so extrem. Es gehe voran, generell im Hip-Hop. Zwar langsam, sagt sie, aber stetig.
Info
Asche Lisaholic EP/holic 2021
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