Toter Winkel

Berliner Abende Kolumne

Friedrichshain. Wir tragen Schlaghosen, sind auf Vernissagen in Ladenlokalen und hören Lesungen über Campingurlaub in der DDR. Bei cut franst uns ein junger Pole die Haare aus und föhnt sie in die Stirn. Wir hängen im plusminus Null rum und über den Hundekot am Trottoir sagen wir, ist doch cool, oder etwa nicht? Der Irakkrieg kommt und wir schauen die Michael Moore Filme und finden sowohl den Krieg, als auch die Filme zum Kotzen.

Privates Unglück. Ich ziehe um. Eigentlich nur über die Warschauer Brücke. Dann nach links, dann nochmal rechts. Sind wir dann da? - Okay. Nochmal links. In die Karl-Kunger. - Wo ist denn das?

Mit dem Fahrrad zwei Minuten und ich bin am Badeschiff! - Cool, sagen die Freunde im Sommer noch. Da wird was, da wächst was! Und gegenüber eröffnet ja schon das Man Yo. Treptow wird das neue Friedrichshain! Laufen statt saufen, rufe ich, wenn die Alkoholiker was melden, wenn ich zum Görlitzer Park jogge. Da senken sie ihre Köpfe, ziehen an den Leinen und lassen ihre Kampfhunde knurren. Armes geducktes Volk, das nicht weiß wohin mit seiner Kraft.

Herbststürme. Der 167er bringt mich nicht nach Mitte sondern nach Neukölln. Als mir ein dritter Taxifahrer die demokratische Diktatur erklären will, fahre ich bei Wind und Wetter Rad. In den leeren Ladenlokalen flehen Schilder: Machen Sie uns ein Angebot! Freunde treffen mich lieber irgendwo in Kreuzberg. Kein Problem! Ist ja nur ein Katzensprung. Du hast dich verändert. - Ich bin jetzt näher am wirklichen Leben! - Cool, sagen sie (leiser). Wir diskutieren über Hartz und sagen, endlich tritt den Alkis jemand in den Arsch!

Verabredung. Ein Auftrag, den ich dringend nötig habe. Woher kommen Sie? Die Karl-Kunger lieber nicht erwähnen! Hallo? rufe ich in mein Handy, als würde die Verbindung unterbrochen sein. Wie kommen Sie? - Ich muss mit dem Fahrrad nur durch den Görlitzer Park. - Cool, sagt er. Auf halbem Weg schreien mich zwei Menschen an: Absteigen. Hier ist das Fahrrad fahren verboten, junger Mann! . Also absteigen. Bis wohin denn? Bis über die Brücke? - Nein, bis ganz vorne an die Straße. Das ist eine Grünanlage. Das sind ein paar hundert Meter. Also zu Fuß gehen! Sie grinsen: Ab nächster Woche wird kassiert! Ein Dritter hält mir eine rbb Kamera vors Gesicht. Für die Abendschau. Finden Sie das richtig, was die beiden mit Ihnen machen?

Es ist mir sofort klar: Ich muss den Kampfhund machen: Berlin ist pleite, okay, aber warum zockt ihr immer die ab, die im toten Winkel hocken?

Ich senke den Kopf, sage leise: Die sind ja sicher im Recht, oder etwa nicht? Der rbb - Mann schaut überrascht. Er hat sich mehr Widerspruch erwartet.

Den Glauben, dass ich den Auftrag kriege, habe ich verloren. Ich schalte mein Handy aus. Ziehe die Decke über den Kopf. Öffne einen guten Wein. In der Tagesschau sage ich: Die sind ja sicher im Recht, oder etwa nicht? Das kommt total uncool. Ich schäme mich. Es mag eine lächerliche Sache sein. Aber ich habe ein Recht auf Fahrrad fahren durch den Park, oder etwa nicht? Ich gehe auf den Balkon, schaue hinunter zu den Alkoholikern. Einer grüßt herauf. Nein, es ist keine lächerliche Sache. Die stehen da unten, weil sie einfach nicht wegkommen.

Innerhalb der folgenden vier Wochen haben sie mich viermal vom Fahrrad geholt und abgezockt. Das kann ich mir irgendwann nicht mehr leisten. Auch die Essen mit Freunden nicht (Kreuzberg ist jetzt viel cooler als Friedrichshain und nicht Treptow). Jetzt bin ich eben mehr mit mir alleine. Auch nicht schlimm. Ich trinke zuhause meinen Wein und philosophiere über Irrtümer. He, sag ich mir, es gibt auch was Nettes hier in der Karl-Kunger: Die Bäckersfrau gibt mir immer drei statt zwei Brötchen in die Tüte. Ich freue mich riesig darüber! Echt! Das ist doch total krank! Aber in meiner Lage! Und so weiter.

Moment. Ich muss wieder mal Flaschen runterbringen. Zu den Altglascontainern gehe ich an den Alkoholikern vorbei. Wie lange geht das jetzt schon, dass ich denen zunicke? Und sie mir. Beim Zurückgehen ein Schwätzchen halten. Zeit habe ich ja. Viel kranker, als meine Gedanken, die ich mir alleine in meiner Wohnung mache, kann deren Geschwätz auch nicht sein. Ich hol vom Spätkauf Wein. Die Flaschen sind zu teuer, ich nehme ein Tetrapack. Ich gehe rüber. Hallo! sage ich, was geht? - Irgendwas Neues? fragen sie, als würden wir uns schon ewig kennen. Ich überlege, dann frage ich: Habt ihr schon mal von demokratischer Diktatur gehört? - Klar, sagen sie, das ist das Einzige, was noch helfen kann! Findest du nicht? - Klar, sage ich, das klingt irgendwie cool.


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