Der Monopol-Wikipedismus schreitet voran

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In einem meiner letzten Beiträge warnte ich vor der Tendenz der Monopolisierung von Wissen aufgrund des Wikipedia-Mirrors im neuen Suchmaschinensystem Bing von Microsoft.

Eine Woche später präsentiert Google sein neues Übersetzungs-Werkzeug Google Translation Toolkit. Jay Walsh, Head of Communications der Wikimedia-Foundation, lobt dieses Ding über alle Maßen.

Worum gehts? Automatische Übersetzungsprogramme gibt es zuhauf. Babylon ist bekannt und für die Übersetzung von Begriffen kann man sehr gut auf Leo zurückgreifen. Zudem gibt es bereits einige Übersetzungstools, die man sich in seiner Leiste einbauen kann, kein Schreck, ich meine in der Bildschirmleiste oben.

Neu am Google Translation Toolkit sind vor allem drei Dinge:

  • Man kann nicht nur Dokumente (in HTML oder Word) runterladen, sie übersetzen lassen und direkt miteinander vergleichen, sondern auch Wikipedia- und Knol-Seiten. Man lädt sie runter, lässt sie übersetzen, korrigiert die Fehler und kann sie direkt auf einer neuen Seite wieder hochladen - fertig ist ein neuer Artikel.
  • Da Maschinen-Übersetzungen nach wie vor mangelhaft sind, kann man sie hier Satz für Satz korrigieren, was äußerst praktisch ist.
  • Die korrigierten Sätze werden dann zu Google zurückgeschickt und stehen dann anderen zur Verfügung, die ebenfalls Artikel mit dem Google Translation Toolkit übersetzen möchten.

Die Begeisterung, auf die dieses Google Translation Toolkit bei der Wikimedia Foundation stößt, lässt erwarten, dass es tatsächlich auch für Wikipedia verwandt wird. Ägyptische und arabische Universitäten kooperieren schon länger mit Google, zuletzt gab es eine Zusammenarbeit von drei ägypitschen und zwei saudi-arabischen Universtitäten mit dem Wissensportal Google-Knol, welches zu einem enormen Anstieg von arabischen Artikeln in Google-Knol führte. Auch das letzte Wikimania, also das weltweite Wikipedia-Treffen wurde in Alexandria, also einer ägyptischen Stadt, durchgeführt. Es ist also zu erwarten, dass nun sehr schnell sehr viele Artikel übersetzt werden. Dies wird mehrere Konsequenzen haben:

  • Wikipedia-Artikel werden in Sprachräumen, in denen die Internet-Artikeldichte pro Kopf sehr niedrig ist, boomen und noch stärker die Wissensaneignung bestimmen als in Ländern wie Deutschland, wo es bereits 6 Internet-Artikel pro EinwohnerIn gibt.
  • Durch die massive und relativ einheitliche Nutzung des Google Translation Toolkits werden die Google-Datenbanken mit Verbesserungen gefüttert - und mit Wikipedia-Inhalt. Es ist gut möglich, dass Google auch hier Konkurrenten wie Babylon und Leo beiseite fegt. Langenscheidt, der letztens erst (vor allem wegen Wikipedia) den Brockhaus aufgeben musste, wird ebenfalls nicht begeistert sein.
  • Die Monopolisierung und Teilverschmelzung der Wissensgiganten Google und Wikimedia-Foundation schreitet voran. Ich nenne dies mit einem Augenzwinkern BORGISIERUNG.

Ich weiß nicht, wie ich dazu stehen soll. Einerseits ist das Ganze äußerst beunruhigend. Vor allem deshalb, weil die Wikimedia-Foundation Wikipedia nicht als Enzyklopädie im Sinne der Aufklärung versteht, sondern positivistisch. In der deutschen Wikipedia gibt es hierzu immer wieder Reibereien. So ist der Vorsitzende des deutschen Wikimedia-Vereins bekannt für seinen extremen Neutralismus:

Antisemitische Äußerungen eines Wikipedia-Autoren seien kein Sperrgrund; ein Artikel "Bildungsbenachteiligung in Deutschland" gehöre gelöscht, weil das Lemma nicht neutral sei, sondern suggerieren würde, es gäbe eine Bildungsbenachteiligung; Äußerungen mit nationalsozialistischen Inhalten sollten nicht angezeigt werden, weil dies die Staatsanwaltschaft von ernsthaften Problemen abhalte; und eine "Kategorie Sexismus" sei nicht enzyklopädisch, weil nicht neutral, weil es ja neben der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen auch die Kairoer Menschenrechtserklärung gebe und Sexismus ein westlicher Begriff sei.

Gerade der letzte Punkt macht deutlich, dass Wikipedia eben nicht unbedingt wie die Enzyklopädie Diderots für emanzipatorischen Fortschritt stehen muss. Die neuen arabischen Knol-Artikel begannen oftmals mit einer Huldigung Gottes, was mich als Materialisten äußerst verwirrt. Wenn nun tatsächlich zehntausende von englischsprachigen Artikeln ins Arabische übersetzt werden, dann könnte das für sehr viel Auseinandersetzungen sorgen. Aber für eine Übersetzung ins Arabische muss man arabisch sprechen können. Die automatische Übersetzung ist nur eine Hilfe. Umgekehrt können nun auch Übersetzungen aus dem Arabischen oder von Mandarin ins Englische und Deutsche sehr viel leichter bewerkstelligt werden. Insgesamt führt dies zu einer Abgleichhung und vielleicht auch Angleichhung des Weltwissens.

Wie ich selber zu dem Ganzen stehe? Ich bin befangen, da ich selber Internet-Artikel schreibe und diese gerne in andere Sprachen übersetzt hätte und dafür einen Knol-Übersetzer-Markt in Google-Knol gegründet habe. Und ich halte bei Star Trek-Sendungen immer zu den BORG. Unter Microsoft, Facebook, Yahoo, Bertelsmann, Google, Wikipedia, sind mir die letzten beiden noch die liebsten. Aber mulmig wird mir da schon, wenn ich sehe, dass die keine Bremse eingebaut haben und die AutorInnen als eigentliche ProduzentInnen nicht sooo wirklich ernst genommen werden. Nun wir werden sehen... Der nächste Coup kommt bestimmt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andreas Kemper

Ich arbeite als Soziologe kritisch zu Klassismus, Organisiertem Antifeminismus und die AfD

Andreas Kemper

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