Das Private ist bekanntlich politisch. Feministinnen beziehen diese Erkenntnis auf Sex, Verhütung, Schwangerschaftsabbruch, die Verantwortung für Kinder und auf die Frage nach dem Tellerwaschen.
Nun meldet sich The Dishwasher - der Tellerwäscher/die Tellerwäscherin - zu Wort und beansprucht ebenfalls den Privatbereich als Politikfeld. Diesmal jedoch mit dem Blickwinkel von Arbeiterkindern. The Dishwasher ist das erste Magazin von und für studierende Arbeiterkinder. Herausgegeben vom "Referat für finanziell und kulturell benachteiligte Studierende" im AStA der Uni Münster. Dieses Referat wird einmal jährlich von einer Vollversammlung von studierenden Arbeiterkinder neu besetzt und versucht mit seinem bescheidenen Etat die Bildungspolitik für Arbeiterkinder zu verbessern. Diesem Ziel ist auch das neue halbjährlich erscheinende Magazin verpflichtet.
Der Schwerpunkt der ersten Ausgabe von The Dishwasher ist das Thema "Eltern". Behandelt wird der Widerstand der Eltern aus den feinen Vierteln Hamburgs gegen eine dringend notwendige Schulreform, die Einbettung des Elterngeldes in einer langen Tradition der Sozialeugenik, der Mythos der Akademikerkinderlosigkeit, Elternpartizipation an Schulen, die Forderungen der proletarischen Elternräte in der Weimarer Republik und die Zuständigkeit der Eltern für die Reproduktion der Arbeitskraft nach Karl Marx.
Im allgemeinen Teil werden eine Reihe von aktuellen Studien vorgestellt und diskutiert.
Online ist die kleine Zeitschrift ebenfalls zu lesen: dishwasher.blogsport.de/dishwasher-no1/
Geplant war das Magazin The Dishwasher schon länger. Es ist wichtig, dass sich Arbeiterkinder organisiert zu Wort melden und einen Minimalkonsens an Forderungen finden. Strategische Identitätspolitik. Durch ihr Schweigen war es möglich, dass Ende der 1990er Jahre die europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien "klassenblind" formuliert werden konnten ("klassenblind" ist diskriminierend gegen sehbehinderten Menschen - wie lässt sich das besser formulieren?). Mit mehreren absurden Effekten, wie dem aktuellen, dass die Antidiskriminierungsstelle des Bundes über "Diskriminierung an Hochschulen" forscht und ihr nicht erlaubt ist, die Frage nach einer Diskrimnierung von studierenden Arbeiterkindern an Hochschulen gleichberechtigt einzubringen.
The Dishwasher steht dabei zwischen den Stühlen. Vielen studierenden Arbeiterkindern wird er zu politisch sein, sie wollen gar nicht als Arbeiterkinder wahrgenommen werden und schon gar nicht als Mitglieder einer diskriminierten Gruppe (diese Problematik ist gruppenübergreifend, in jeder diskriminierten Gruppe finden sich Menschen, die es weit von sich weisen, diskriminiert zu sein, da ihre Taktik ein individualisierter Umgang mit den Macht- und Herrschaftsverhältnissen ist). Progressive AktivistInnen mit einem bürgerlichen Hintergrund, die durchaus jeglicher Antidiskriminierungspolitik gegenüber aufgeschlossen sind, werden mit The Dishwasher ebenfalls nicht viel anfangen können, schließlich leben wir nicht mehr in einer Klassengesellschaft, oder? Doch, doch werden die MarxistInnen antworten und den Dishwasher als reformistisch zurückweisen, da dieser sich mit dem Überbau der Gesellschaft befasst und nicht mit der Sollbruchstelle im antagonistischen Klassenkampf.
Ihnen allen sei die ausführliche Benutzung der Kommentarfunktion beim Dishwasher-Blog empfohlen und ein produktives Streiten.
Kommentare 9
Man könnte sagen, die kinderlosen Akademikerinnen waren für Frau von der Leyen, was die Massenvernichtungswaffen für Mr. Bush waren.
Genau genommen soll die Kürzung des Transfergeldes für geringverdienende Eltern durch die Einfühung des Elterngeldes als pränatalistische "Massen"vernichtungsswaffe dienen. Aber hier gibt es ein Dilemma, welches durch den Lieblingswortschöpfer Peter Sloterdijks, nämlich Gunnar Heinsohn, dargestellt wird: auf der einen Seite will dieser nämlich das Elterngeld für arme ganz abschaffen, damit es keine "Transferbabys" mehr gibt, andererseits beklagt er sich, dass der Westen und vor allem das "demografisch suizidale" Deutschland keine "entbehrlichen Söhne" für den Krieg gegen die Islamisten hat. Tja. Nicht nur die Linke hat Probleme.
Lieber Andreas,
gehe ich richtig in der Annahme, daß "The Dishwasher" weitestgehend von Dir verfaßt und herausgegeben wird ? Aber klar, von einem "Referat" herausgegeben zu werden klingt natürlich viel besser ! Nichts für ungut, die Bemerkung mußte jetzt sein, beinhaltet keine Kritik, eher Bewunderung für soviel "Fichelanz", wie man in Sachsen sagt.
Zum "Mythos" Kinderlosigkeit von Akademikerinnen: Wir hatten hier schon zu einem anderen Blogbeitrag von Dir eine lange Diskussion darüber. Das Fazit war, daß dieser "Mythos" im Moment nicht wiederlegt ist. Insofern ist es fraglich, ob der Begriff "Mythos" hier zutrifft. Mir persönlich stellt sich die Frage, warum es für Dich so wichtig ist, daß es gefälligst ein Mythos zu sein hat, ohne daß es Belege für diese Behauptung gibt.
"Elterngeld = Massenvernichtungswaffe"
Welch feine Ironie, welch subtiler Humor.
Bitte mal einen Gang zurückschalten, der dynamische Bereich ist ausgeschöpft. Weitere Signale können so nicht mehr registriert werden.
Beste Grüße von Nelly,
einer (nach Selbsteinschätzung) ehemals benachteiligten ehemaligen Studierenden
Liebe Nelly
Bei der Diskussion zum "Mythos der Akademikerinnenkinderlosigkeit" waren wir meiner Erinnerung nach so verblieben, dass es keine Studie gibt, die belegt, dass momentan Akademikerinnen weniger Kinder bekommen als Nicht-Akademikerinnen wenn wir ihre Gesamtlebenszeit betrachten. Ohne Hochrechnungen, die verschiedene Parameter berücksichtigen, ist es nicht möglich festzustellen, ob das sozialspezifische "Gebärverhalten" sich heute so gestaltet, dass in zwanzig Jahren Akademikerinnen mehr oder weniger Kinder haben werden als Nichtakademikerinnen.
Es handelt sich schon deshalb um einen Mythos, weil die Bundeskanzlerin mit einer völlig falschen und total überhöhten Zahl (40% Akademikerinnenkinderlosigkeit), die angeblich aus einer Studie stammte, wo sich aber die Forscher_innen dieser Erhebung explizit zu der falschen Zahl noch einmal zu Wort gemeldet hatten und in aller Deutlichkeit klar stellten, dass nicht von 40% Akademikerinnenkinderlosigkeit gesprochen werden könne, die Einführung des Elterngelds gerechtfertigt hat.
"Welch feine Ironie, welch subtiler Humor."
Hey, ich bin Arbeiterkind, was erwartest du?
Lieber Andreas,
"dass es keine Studie gibt, die belegt, dass momentan Akademikerinnen weniger Kinder bekommen als Nicht-Akademikerinnen wenn wir ihre Gesamtlebenszeit betrachten."
Nicht nur das, es gibt ja auch die eine Studie (Du weißt schon), die zeigt, daß Akademikerinnen zumindest in den letzten Jahren mehr Kinder bekommen als andere (nur so nebenbei: Wie wird diese Arbeit in der Fachwelt so rezipiert ?)
Aber auch dort wird keine Aussage über die Kinderlosigkeit getroffen. Das ist das, was bei mir von der vorigen Diskussion hängengeblieben ist. Die durchschnittliche Zahl von Kindern sagt zunächst einmal nichts darüber aus, wie sich diese Kinder verteilen. Nimm zwei Frauen, eine hat zehn Kinder, die andere keines, dann haben sie im Durchschnitt fünf Kinder bei 50% Kinderlosigkeit. In der Studie fand sich ein bemerkenswerter Satz darüber, daß die Fertilität in der Ehe am höchsten ist, die Heiratswahrscheinlichkeit für Akademikerinnen aber am geringsten ist. Wenn ich mir darüberhinaus die verschiedenen sozialen und gesellschaftlichen Gründe anschaue, die (in ganz verschiedenen Bevölkerungsgruppen) zu dauerhafter Kinderlosigkeit führen, komme ich zu dem Schluß, daß die meisten davon in besonderem Maße für Akademikerinnen gelten. Deshalb ist meine ganz starke Vermutung, daß Akademikerinnen nach wie vor häufiger als andere kinderlos bleiben (wenn auch nicht zu 40%, aber das hatten wir auch das letzte Mal schon ad acta gelegt). Mehr noch, ich glaube, daß besagte Gründe in noch höherem Maße Akademikerinnen betreffen, die selbst nicht aus einem gutsituierten und/oder gebildeten Elternhaus stammen. Offensichtlich sind auch andere dieser Auffassung. Ein Zitat von www.single-generation.de: "Welche Frauen mit welcher sozialen Herkunft sind von Kinderlosigkeit besonders betroffen? Frauen aus benachteiligten sozialen Milieus, die hart um ihren sozialen Aufstieg kämpfen mussten, könnten im Vergleich zu Frauen mit bildungs- bzw. großbürgerlichen Hintergrund doppelt benachteiligt sein." Insofern glaube ich, daß das durchaus für einige der Tellerwäscherinnen zum Thema werden könnte, und zwar nicht als "Mythos".
Da gebe ich dir Recht. Mir geht es hier im Wesentlichen um eine Instrumentalisierung von fragwürdigen statistischen Ergebnissen. Würden Frauen aus der sogenannten Unterschicht weniger Kinder bekommen als der Durchschnitt, würde da kein Hahn nach krähen. Im Gegenteil. Die Wirtschaft würde dies begrüßen, da die gerade geschaffenen Niedriglohnjobs dann besser besetzt würden. Und die ganzen Sozialeugeniker_innen würden aufatmen.
"Würden Frauen aus der sogenannten Unterschicht weniger Kinder bekommen als der Durchschnitt, würde da kein Hahn nach krähen."
Das stimmt nicht ganz. In der Linken würde dies als große Benachteiligung aufgefaßt und auch so thematisiert werden.
Nö. Sicher nicht.
Aber sicher doch.