Hans-Böckler-Stiftung - zu verkalkt für Arbeiterkinder?

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Arbeiterkinder werden massiv benachteiligt im Bildungssystem. Und es ändert sich nur wenig. Mitverantwortlich sind gerade auch Stiftungen wie die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung, die sich die Förderung von "Arbeitnehmerkindern" in die Satzung geschrieben hat, aber anscheinend institutionell zu verkalkt ist, um dieser Aufgabe noch gewachsen zu sein.

Der aktuelle Anlass für diesen Artikel ist, dass an diesem Wochenende eine Tagung von Working Class Academics stattfindet. Working Class Academics ist ein informeller Zusammenschluss von Akademiker_innen, deren Eltern arm und/oder Arbeiter_innen sind, die also von einem arbeiterlichen Milieu in das akademische Milieu gewechselt sind. In den Vereinigten Staaten gibt es hierzu ein Menge Literatur, die "Bildungsaufsteiger" nennen sich "Straddler" - von "straddle", "spreizen", weil sie mit einem Bein in der Herkunfts-, mit dem anderen Bein in der akademischen Kultur leben, aber nirgends richtig zu Hause sind. Bell hooks "Where we stand: Class matters" wäre hier ein typisches Straddler-Buch.

"Class Matters" - so lauteten ein halbes Dutzend von us-amerikanischen Buchtitlen in den USA der letzten zehn Jahre - ist auch ein neuer Blog, von ClaraRosa, und wenn man wissen will, wo die Empörung herkommt, dann sollte man sich das von ihr und Margret Steenblock hergestellte Audiostück "classism is a heartbreaker" anhören. Das Audiostück drückt klar, wütend und deutlich aus, wo überall Klassismus im Alltag zu finden ist.

Wütend war damals, vor fast zwanzig Jahren ebenfalls Barbara Peters, die in einem feminstischen Netzwerk von Akademikerinnen miterleben musste, dass in diesem Netzwerk keineswegs die gleiche Sensibilität gegenüber klassensspezifischen Fragen aufgebracht wurde, wie gegenüber Fragen von Gender und Bildung. Ihr wurde die Wahrnehmung als Arbeitertochter abgesprochen und zwar mit der gleichen Überheblichkeit, mit der Feministinnen in Männerdomänen konfrontiert werden. Sie gründete daher nach feministischen Vorbild das Netzwerk der Working Class Academics.

Teil dieses Netzwerkes von Working Class/ Poverty Class Academics ist die jährliche Tagung der Working Class Academics. Für 2011 wurde mir die Verantwortung als Tagungsleiter übertragen und ich versuche seither mit einer äußerst geringen finanziellen Ausstattung die Tagung auf die Beine zu stellen. Sinnvoll erschien mir, am ersten Tag der Tagung, vor den inhaltlichen Beiträgen, den neuen Projekten für Arbeiterkinder an Hochschulen einen Raum zu geben. Sowohl im Selbstorganisationsrahmen als auch institutionell ist in den letzten Jahren einiges entstanden. Teil der Vorstellungsrunde sollten auch die neuen Chancengleichheitsprojekte einiger Stiftungen sein.

Die Stiftungen sind nicht für Arbeiterkinder da

Hierzu muss man wissen, dass eine Studie vor zwei Jahren herausfand, dass ausgerechnet Arbeiterkinder seltener von Stiftungen gefördert werden als Akademikerikinder. Das heißt, studierende Arbeiterkinder, die weniger finanzielle Ressourcen haben, sich weniger gut mit den Uni-Spielregeln auskennen und über weniger "wichtige" Kontakte verfügen - ausgerechnet diese Gruppe wird von Stiftungen seltener mit Stipendien versehen, wodurch sie den Abstand zwischen Arbeiterkindern und Akademikerkindern noch erhöhen.

Dies war natürlich den linken Stiftungen peinlich. Die Hans-Böckler-Stiftung, die noch am Besten abschnitt, aber eben auch nicht so, wie man es von einer Stiftung erwartet, die satzungsgemäß Arbeitnehmerkinder gezielt fördern will, also mehr als andere, richtete eine Projektstelle für Chancengleichheit genauso ein, wie die Rosa-Luxemburg-Stiftung und die Heinrich-Böll-Stiftung. Unregelmäßig finden Werkstattgespräche statt, wo die Chancengleichheits-Projekte gemeinsam erörtern, wie man Arbeiter- und Migrantenkinder besser fördern kann, bzw. wie man den Anteil dieser Gruppen in den Stiftungen erhöht. Eigentlich eine gute Idee, wobei man darüber diskutieren könnte, ob hier nicht ein Defizit-Ansatz verfolgt wird nach dem Motto: "Was ist an den Arbeiter- und Migrantenkindern falsch, dass die nicht unsere Stipendien wollen?" Könnte man darüber diskutieren? Genau das hatte ich während der Tagung der Working Class Academics vor, wo Selbstorganisationen von Arbeiterkinder mit institutionellen Projekten für Arbeiterkinder ins Gespräch kommen, um gemeinsam gegen die Bildungsbenachteiligung vorzugehen.

Kein Interesse an Selbstorganisierung von Arbeiterkindern

Entsprechend nahm ich im November 2010 Kontakt mit den Stiftungen auf. Von der Rosa-Luxemburg-Stiftung gab es eine mündliche Zusage der Teilnahme, die ist aber irgendwie versandet; von der Heinrich-Böll-Stiftung gab es eine schriftliche Zusage; und von der Hans-Böckler-Stiftung - ausgerechnet - kam eine Absage. Bereits damals war ich sauer auf die Hans-Böckler-Stiftung. Nicht wegen der einen Absage. Sondern weil ich seit elf Jahren als Arbeiterkind bildungspolitische Arbeit für Arbeiterkinder im Studium organisiere.

Als "natürliche" Bündnispartnerin sah ich die Hans-Böckler-Stiftung. Aber nie gab es von dieser Organisation irgendeine Unterstützung. Eigentlich könnte man von den vielen Engagierten in der Stiftung davon ausgehen, dass sie von selbst aktiv werden, dass sie mit offenen Armen auf Arbeiterkinder zugehen, die sich als Arbeiterkinder gegen Bildungsbenachteiligung ORGANISIEREN. Immerhin verfügen sie über eine größere Anzahl von bezahlten Stellen, die mit Bildungsbenachteiligung zu tun haben. Es kann doch nicht so schwer sein, ein Google-Alert "Bildungsbenachteiligung" oder "Arbeiterkinder" oder entsprechendes einzurichten. Eine Stiftung, die zahlreiche Mitarbeiter_innen hat und die sich laut Satzung für Arbeitnehmerkinder in der Bildung engagieren will, müsste doch zwangsläufig über Selbstorganisationen von Arbeiterkindern im Bildungssystem stolpern. Zumindest ist das meine Erwartungshaltung.

Wenn aber die Böckler-Stiftung immer wieder von Arbeiterkindern angeschrieben wird mit der Bitte um Kooperation, um idelle und finanzielle Unterstützung, nicht für sich selbst, sondern für die Organisierung von studierenden Arbeiterkindern, und diese Anfragen regelmäßig abgelehnt werden, dann liegt hier nicht einfach nur fehlendes Engagement vor, sondern eine institutionalisierte Ignoranz gegenüber ressourceschwachen Selbstorganisationsversuchen von Arbeiterkindern. Ich habe in den letzten Jahren mehrfach als langjähriges Gewerkschaftsmitglied und Arbeiterkind um Untersützung für Projekte gegen Bildungsbenachteiligung von Arbeiterkindern gebeten und wurde jedesmal abgewimmelt. Solidarität? Eher eine Frage für die Organisationssoziologie.

Anlaß für diesen Artikel ist, dass die Böckler-Stiftung nicht nur Bitten um eine Mitfinanzierung einer Tagung zur Bildungsbenachteiligung von Arbeiterkindern, einer Teilnahme an einer Tagung von Working Class Academics, einer Kooperation beim Magazin für studierende Arbeiterkinder usw. ablehnt, Anlaß für diesen Artikel ist, dass die Böckler-Stiftung auch noch ihr aktuelles Werkstattgespräch auf den Termin der Working Class Academics-Tagung gelegt hat, mit dem Effekt, dass kein Stiftungsprojekt zur Tagung kommen kann, da diese ja an den Werkstattgesprächen teilnehmen. Mit anderen Worten: die Stiftungsprojekte für Chancengleichheit machen ihr Werkstattgespräch, während die Arbeiterkinder in ihren Selbstorganisationsversuchen weiter ignoriert werden.

Arbeitet zumindest nicht gegen Arbeiterkinder!

So, und jetzt nochmal mit der Klarheit der Wut an die Hans-Böckler-Stiftung gerichtet, vielleicht liest ja jemand mit:

Die Hans-Böckler-Stiftung wird keine substanziellen Veränderungen gegen Bildungsbenachteiligung erreichen, wenn ihr gegen statt mit Selbstorganisationen von Arbeiterkindern arbeitet. Ihr erhaltet das Geld von den Gewerkschaftsmitgliedern, von den Arbeitern und Arbeiterinnen um auch gegen die Bildungsbenachteiligung von Arbeiterkindern vorzugehen. Das sind nicht eure Ressourcen, sondern diese Ressourcen sind an einem Satzungszweck gebunden. Die Selbstorganisationen von Arbeiterkindern haben keine Ressourcen. Aber wenn ihr uns schon nicht unterstützt, dann arbeitet - verdammt nochmal - nicht auch noch gegen uns.

In den Stiftungen - auch in der HBS - besteht struktureller Veränderungsbedarf.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andreas Kemper

Ich arbeite als Soziologe kritisch zu Klassismus, Organisiertem Antifeminismus und die AfD

Andreas Kemper

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