Machiavellis Trauma. Warum der Maskulismus nicht emanzipatorisch ist

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Der Maskulismus - die Ideologie der antifeministischen Männerrechtsbewegung - nimmt für sich in Anspruch, emazipatorisch zu sein. Dies ist nicht möglich, denn Emanzipation muss auf die Identifikation mit dem Aggressor verzichten. Dies gilt sowohl für die Theoriebildung des Maskulismus als auch für die Habitus der von Benachteiligung betroffenen Männer, auf beiden Ebenen wird nicht mit Herrschaftsansprüchen gebrochen.

Machiavelli, der Darth Vader der Machttheorie

Um zu erläutern, was ich meine, möchte ich die Geschichte Machiavellis neu erzählen. Niccolo Machiavelli gibt den Forschern ein Rätsel auf. Machiavelli gilt als Republikaner, wurde aber für eine Schrift bekannt, die den Fürsten lobte. Aufgelöst wurde dieses Rätsel bislang nicht, weil erst die Frauenbewegung der letzten vierzig Jahre deutlich machte, dass die Trennung von einer öffentlichen Sphäre und privatem Erleben nicht haltbar ist. Bei den Biographen und Neuverlegern seiner Schriften ist diese Erkenntnis anscheinend nicht genügend berücksichtigt worden. Machiavelli hat sein dünnes Büchlein "Il Prinicipe" mit gebrochenen Gelenken im halben Jahr unmittelbar nach seinen Foltern geschrieben. Er ist von den Medici in den Kerkern geworfen und gefoltert worden. Nach seiner Freilassung widmet er den Medici sein Buch, welches Handlungsempfehlungen erhält und unter anderem seine Folterung nachträglich legitimiert. Machiavelli ist schwer traumatisiert, er sucht seinen Zugang zur Realität über die Mächtigen, identifiziert sich mit ihnen. Rein formal war er frei, aber er war nur frei von der Gefangenschaft, nicht frei zum Leben. Diese Freiheit zum Leben musste er sich erarbeiteten und er wählte den Weg der Macht. Es ist schon erstaunlich, dass das erfolgreichste Filmprojekt aller Zeiten, "Star Wars", zeigt, wie eine Traumatisierung den jungen "Anakin Skywalker" in den dunklen "Darth Vader" verwandelt, dass aber die scholastische Interpretation Machiavellis hiervon nicht betroffen ist. Stellt euch Machiavelli als Anakin Skywalker/ Darth Vader vor und es wird deutlich, warum er sich den Medici bzw. dem Imperator dienstbar machte.

Virtuelle Eigenlogik mangels Traumatherapie

"Il Principe" ist vor dem Hintergrund der Folter zu interpretieren. Die "Virtù", der zentrale Begriff im "Il Principe", ist ein Machtbegriff, der Machiavelli selbst ermächtigt. "Virtù" ist der Stream, der ihn auferstehen lässt, auf dem er weiter durch das Leben surfen kann, ein Machtgeflecht, eine eigene Realität, in der die Traumatisierung nicht aufgearbeitet werden muss, sondern im Gegenteil, die sich aus der Akkumulation immer neuer Traumatisierungen speist. "Virtù" ist die Gefangenenlogik, es ist auffällig, dass linke Theoretiker dann Machiavelli für sich entdeckten, als sie in Gefangenschaft waren: Gramsci, Althusser, Negri. "Virtù" hat seine Berechtigung, aber nur innerhalb eines bestimmten Systems. Es erlaubt das kurzzeitige Überleben in Gefangenschaft, sollte aber dringend ersetzt werden durch eine Traumaaufarbeitung, sobald diese möglich ist. Aber hier liegt das Problem, denn die Traumatisierung zieht eine Virtualisierung nach sich, die eigenlogisch ist, die ein komplexes System von Theorien, Sprache, Habitus und Institutionen bildet, die aufeinander bezogen sind, ein androzentrisches, patriarchales System. Da Machiavelli keine Traumatherapie zur Verfügung stand, basteltete er am "virtuellen" System der Macht mit.

Darth Vader fehlte eine Männergruppe

Ihr kennt die Star Wars-Geschichte? Anakin Skywalkers Mutter starb nach Folterungen in seinen Armen, er tötete daraufhin alle Nomad_innen in dem Zeltlager, in dem seine Mutter gefangen war. Und wenig später erlag er den Einflüsterungen des Imperators und ging zur Dunklen Seite der Macht über. In den 1970er, 80er, 90er Jahren gab es Männergruppen, in denen Männer ihre Probleme aufarbeiten konnten, quasi-therapeutisch. Männer hörten sich gegenseitig zu, kritisierten sich, brachen mit dem männlichen Habitus, zumindest ansatzweise. Diese Männergruppen waren profeministisch und antisexistisch ausgerichtet, gingen einher mit quasi-therapeutischen Methoden wie Co-Counseling und oftmals erleichterten sie den Männern, eine professionelle Therapie zu beginnen. Von diesen Gruppen gibt es heute nur noch wenige. Obschon gerade eben der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Peter Gruss, über die "German Angst" referierte und die Traumatisierung in der Nazi-Zeit hierfür verantwortlich machte, die sich über Epigenetik in den Genen manifestierte (besser wäre es von "Gesellschaftlichem Trauma" zu sprechen). Ich halte nicht viel davon, Gene für irgendwas verantwortlich zu machen, oder die Nazi-Zeit als Nullpunkt zu setzen, freue mich aber darüber, dass endlich die Bedeutung von Traumata erkannt wird. Sehr viel besser hat bereits in den 1980er Jahren Klaus Theweleit in seinen "Männerphantasien" die Bedeutung der Gewalt, bspw. der schwarzen Pädagogik und der Kadettenanstalten, für Entstehung spezifischer männlicher Habitus beschrieben, die dann zu den typischen Nazi-Charakteren führten. Männliche Emanzipation muss hier ansetzen.

Männerrechtliche Gewaltverdrängung

Wir müssen nicht die hämischen Kommentare des männerrechtlichen WGvdL-Forums zurückgreifen, die sich über Massenvergewaltigungen im Kongo genauso lustig machen, wie über die Shoa (Zitat des WGvdL-Betreibers zur Forderung, Postings von Holocaust-Leugnern zu entfernen: "Alles Holo oder was" ). Auch die "seriösen" Vertreter antifeministischer Positionen scheinen Gewalt zu verdrängen. So greift Dr. Alexander Ulfig, Herausgeber eines dicken Wälzers mit den Schriften Machiavellis, auf den Militärhistoriker Martin van Creveld zurück, welcher davon ausgeht, dass Männer sich gegenüber Frauen schuldig fühlen und dass wir uns von diesen Schuldgefühlen befreien sollten. Martin van Creveld versuchte in seinem Buch "Das bevorzugte Geschlecht" den Beweis zu führen, dass Vergewaltigung sehr viel seltener vorkommen und sehr viel geringere Auswirkungen haben, als gemeinhin angenommen. Es se "eine große Leistung der Feministinnen, daß sie eine Situation geschaffen haben, in der viele Menschen heute glauben, daß es bei einer Vergewaltigung an sich um Gewalt statt um Sex geht; woraus man vielleicht ablesen kann, wie sehr manche dieser Damen letzteres hassen." (S. 257) Männern werde Schuld eingeredet und gegen diese Schuldgefühle gilt es sich zu schützen. Hier wird die Sozialpsychologie ausnahmsweise zugelassen. Hätte doch Alexander Ulfig sich auf eine sozialpsychologische Deutung Machiavellis bezogen, statt van Creveld heranzuziehen um damit gegen Quotenregelungen zu Feld zu ziehen. Alexander Ulfig fordert von männlichen Wissenschaftlern, dass sie "Männerräte" bilden: "Es ist daher höchste Zeit, dass sich männliche Wissenschaftler organisieren, gegenseitig unterstützen und gemeinsam politische Forderungen stellen." (Dr. Alexander Ulfig: Qualifikation statt Gleichstellung. Schritte zu einer gerechteren Praxis der Stellenvergabe, URL:http://www.streitbar.eu/aufsatz_ulfig.html) Man möchte meinen, Ulfig habe das Machwerk "Der Campus" von Dietrich Schwanitz gelesen und für voll genommen. Die Forderung, dass ausgerechnet männliche Wissenschaftler sich zu organisieren haben, um sich gegen ihre Benachteiligung ist so absurd, dass sie nur noch getoppt werden könnte durch die Forderung, dass männliche Aufsichtsräte in DAX-Unternehmen, männliche Kardinäle und männliche Generäle sich zusammenzuschließen haben, um sich gegen die Benachteiligung durch Frauen zu schützen. Hier zeigt sich, dass Maskulismus nichts anderes ist, als Maskulinismus, offen auftretende männliche Hegemonialität. Dies alles ist nicht neu, bereits Heinrich Berl forderte, dass die Männerbewegung die Bewegung gegen alle Bewegungen zu sein habe. Oder um den schwersttraumatisierten Machiavelli zu zitieren: "Fortuna ist ein Weib, und wer sie bezwingen will, muss sie schlagen und stoßen". In diesem Sinne ist die Männerrechtsbewegung eine Bewegung gegen alle emanzipatorischen Bewegungen und ergo nicht emanzipatorisch.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andreas Kemper

Ich arbeite als Soziologe kritisch zu Klassismus, Organisiertem Antifeminismus und die AfD

Andreas Kemper

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