Piraten entern Rathäuser - ein Kneipenhinterraumbericht

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Die "Wir-sind-drin"-Inversion

Der Lokalsender, der langweilige Interviews zur Kommunalwahl bringt, wird vom Beamer genommen und durch einen Laptop ersetzt. Endlich die aktuellen Zahlen der Hochrechnungen. Die Piratenpartei ist nur in 18 der 33 münsteraner Stimmbezirke angetreten, daher könnte der Abend zu einer Zitterpartie werden. Aber das Gegenteil ist der Fall, sehr schnell stabilisieren sich die Zahlen bei 1,7 Prozent und das reicht für einen Sitz im Parlament. "Wir sind drin" wird von den Piraten invers verwendet. Im Internet waren sie schon immer. Nun ist das Internet drin mit seinen Problemen und Möglichkeiten, drin im kommunalen Parlament.

... was wollt ihr denn im Rathaus?

Ich selber bin Anarchist und daher kein Pirat. Aber symphatisch finde ich diese Bewegung allemal und hatte schon einige spannende Diskussionen bei den Piratentreffen in der bekannten münsteraner Kneipe, wo die Piraten jetzt ihren Sieg feiern. Es ist mehr als dreißig Jahre her, als ich an ähnlichen Parteisitzungen teilnahm. Damals hieß die Gruppierung "Alternative Liste" und es war alles andere als klar, wofür diese Liste eigentlich in das Rathaus einziehen wollte. Klar war für die Medien damals, dass diese Ökos von den Grünen, Alternativen und Bunten Listen mit ihrem eingeschränkten Fokus keine Chance hätten, zu einer echten Partei zu werden. Nach dreißig Jahren hat die Grün-Alternative Liste in Münster heute knapp 20% der Wählerstimmen erhalten. Ähnliche Eintagsfliegen-Vorwürfe, die die Grünen in ihrer Anfangsphase erhielten, wirft man nun den Piraten vor.

Ich sitze also wieder in einem Kneipenhinterraum und vergleiche die Athmosphäre mit den Treffen der Piratenpartei. Es ist ein großer Unterschied. Vor allem wegen der gesellschaftlichen Aufbruchsituation, in der sich die Linke nach dem Tunix-Kongress Ende der 1970er befand. Oder sehe ich das nicht objektiv? Ich war da jung und wollte die Gesellschaft mitverändern. Die Informationen flossen damals nicht so schnell, immerhin gab es aber die taz, die Linke hatte eine eigene Tageszeitung, also informieren konnte man sich schon und für mich als Jugendlichen gab es ein ganzes Universum an gesellschaftskritischen Ideen zu entdecken. Die Parteisitzungen der Grünen in der Anfangsphase erschienen im Vergleich zur Piratenpartei sehr viel disziplinierter. Man saß an einem Tisch, es wurde eine Tagesordnung verabschiedet, ein Protokollführer, ein Redeleiter bestimmt, und dann musste man die Monologe der Dauerredner ertragen.

Ganz anders die Piratenpartei, zumindest hier in Münster. Es gibt eine schwarze Einheitskleidung, zumeist T-Shirts mit dem Piraten-Emblem. Schwarz sei die Farbe der Hacker (nicht der Craker), klärt mich jemand auf, und natürlich auch die Farbe der Piratenflagge. Schwarz sind auch die Laptops, die mit den IPhones das Risiko teilen, backbords von einer Weizenbierwelle getroffen und zum Kentern gebracht zu werden. Im Umschiffen der Biergläser mit den Internetgeräten seien die Piraten Profis, beruhigt mich einer der jungen Männer. Die Undiszipliniertheit und das Chaos täuscht. Auf dem ersten Blick sieht es so aus, als würden nur kleine Grüppchen miteinander quatschen, statt gemeinsam in einem Gespräch die Probleme zu lösen, die so eine Partei in Gründung nunmal hat. Aber wie gesagt, es täuscht. Zwischendurch bittet immer wieder irgendjemand um Aufmerksamkeit und sehr schnell werden dann Lösungen gefunden. Diese Generation kommuniziert mit den IPhones in der Hand und dem Laptop auf dem Kneipentisch und da scheint das disziplinierte "Einer redet, alle anderen hören zu" nicht mehr unbedingt angemessen zu sein.

Im Fokus der Piratenpartei hier in Münster stand natürlich in den letzten Wochen die Kommunalwahl und mich wunderte an dem ersten Abend, als ich am Piratenstammtisch teilnahm, dass die Kommunalpolitik überhaupt nicht thematisiert wurde. Zu späterer Stunde schnitt ich dann das Thema an: "Was wollt ihr denn eigentlich im Rathaus?" Die Reaktion war filmreif. Alle schauten sich fragend um... Schließlich kam die Antwort, dass sich das schon zeigen werde, erstmal reinkommen. In den folgenden Wochen wurde dann tatsächlich ein Kommunalwahlprogramm entworfen, allerdings noch sehr internetistisch.

Black Flag Flying

Allmählich füllt sich der Kneipenraum und im Meer der schwarzen Piratenshirts fallen zwei orange Hemden auf. Der piratische Stadtverordnete und der Bundesvorsitzende der Piratenpartei. Es werden angenehm kurze Reden gehalten, Beifall und dann ist es Zeit zum Feiern. Black Flag Flying, die "Hymne der Piratenpartei" von David Rovics wird an diesem Abend ein Dutzend mal gespielt. Wie verdient er denn sein Geld, wenn er seine Musik frei ins Internet stellt, frage ich einen der Piraten. "CC heißt nicht, kein Geld zu verdienen", die CDs verkaufe er natürlich und bei Auftritten nehme er auch Eintrittsgelder. Klar, weiß ich ja. Trotzdem die Fragen, die sich im Spannungsfeld "Freie Verfügbarkeit" und "Entgeltung der Kreativen" auftun, sind auch von den Piraten noch nicht beantwortet. Sie diskutieren die verschiedensten Modelle, freilich nicht an diesem Abend, sondern in ihrem Wiki. Zu problematisieren und zwar öffentlich zu problematisieren ist wichtiger als voreilige Lösungen zu präsentieren.

Die Mitglieder anderer Parteien treffen nach und nach ein. Ein sehr frustrierter Juso versteht nicht, weshalb er die Stammwähler nicht mobilisieren konnte. Die Grünen ähneln da in ihrer Feierlaune schon eher den Piraten und sie kommen schnell ins Gespräch miteinander. Die Linken hingegen machen sich an diesem Abend in der linken Kneipe rar, ihr Ergebnis ist enttäuschend, obwohl sie erstmals mit Fraktionsstärke im münsteraner Rathaus vertreten sind. In den Gesprächen zeichnet sich ab, dass der Weg der Piratenpartei tatsächlich erst im Gehen entstehen wird. Das Profil der Partei wird sich durch die konkreten Fragen im münsteraner und aachener Rathaus schärfen. Wie steht die Partei zu sozialen Fragen? http://c4.ac-images.myspacecdn.com/images02/76/l_f30955d97f034ad19ebbe942c6461513.jpgIn Münster gibt es einiges an preiswerten Wohnraum, der abgerissen werden soll, unter anderem die Grevenerstraße, ein ehemals geentertes und vor dem Untergang gerettetes Haus. Wie steht die Partei zum Bibliothekensterben in Münster? Wie zur Finanzierung von Medienprojekten wie dem Bennohaus oder zur Finanzierung der Obdachlosenzeitung "draußen"? Würde sie ein Gesamtschulprojekt unterstützen? Und wie steht die sehr männlich dominierte Partei zu Frauenhäusern und Mädchen-Sleep-Ins? Sie müssen jetzt aus den wichtigen Fragen, die sich aus den Problemen Datenschutz und Copyright im Internet ergaben, die richtigen Antworten in ganz anderen Feldern ableiten. Das ist schwierig und äußerst spannend.

The Black Flag is flying - in welche Richtung?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andreas Kemper

Ich arbeite als Soziologe kritisch zu Klassismus, Organisiertem Antifeminismus und die AfD

Andreas Kemper

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