Sozialeugenik - von Sarrazin zu Sloterdijk zu Heinsohn

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Der Ursprung der aktuellen Sozialeugenik-Debatte

Die aktuelle sozialeugenische Debatte begann schon unter Renate Schmidt (SPD) vor acht Jahren. Einen ersten Höhepunkt erreichte sie 2005, als nicht nur Daniel Bahr (FDP) aussprach, dass angeblich "in Deutschland die Falschen die Kinder kriegen". 2005 wurde mit falschen Zahlen operiert, um eine sozialeugenische Wende in der Familienpolitik einzuleiten. Obwohl Statistikerinnen darauf hinwiesen, dass falsche Zahlen durch die Medien kursierten, wurde von SpitzenpolitikerInnen weiterhin behauptet, dass Akademikerinnen zu 40% kinderlos seien, während "die Unterschicht" zuviele Kinder gebäre, was für die Durchschnittsbildung in Deutschland nachteilig sei. Diese Argumentation ist sozialeugenisch.

Nachhaltige sozialeugenische Familienpolitik

Im Rahmen dieses Diskurses um die sogenannte "Nachhaltige Familienpolitik" wurde das ehemalige sozialkompensatorische "Erziehungsgeld", welches bedürftigen Eltern und Alleinerziehenden 300 Euro für zwei Jahre zusprach, abgeschafft. Ersetzt wurde es durch das aktuelle "Elterngeld". Man beachte die Namensänderung. Das Erziehungsgeld war dafür gedacht, Kindern in armen Haushalten eine angemessene Betreuung/Erziehung zu erlauben, die nunmal auch Geld kostet. Das Elterngeld hingegen hat seinen Fokus auf Eltern (und ist bereits sprachlich diskriminierend gegenüber Alleinerziehende) - diese sollen so kurzfristig von der Lohnarbeit freigestellt werden. Statt pauschal 300 Euro für zwei Jahre gibt es nun für ein Jahr 68% des Einkommens. Bei der Einführung stetzte die SPD gegenüber der CDU durch, dass diejenigen, die ein geringes oder kein Einkommen haben, zumindest für ein Jahr 300 Euro bekommen. Dies ist aber noch immer eine Verschlechterung auf die Hälfte der Transferleistung des Erziehungsgeldes, welches für zwei Jahre 300 Euro monatlich vorsah. Gutverdienende Erziehende erhalten also jetzt 1.800 Euro, arme Erziehende erhalten 300 Euro für die selbe Erziehungsleistung. Dies ist ein sozialeugenisches Gesetz und es wird auch genau so begründet. Sowohl von Renate Schmidt, die die Idee zu diesem Gesetz hatte, als auch Angela Merkel, die explizit sagt, dass es nicht darum geht, mehr Väter in die Erziehung zu bekommen, sondern den Anteil der Akademikerkinder zu erhöhen.

Die Unterschicht soll aussterben: Sarrazin, Sloterdijk, Heinsohn

Der aktuelle Diskurs, der mit dem Lettre-Interview mit Sarrazin begann, will nun die sozialeugenischen Gesetze ausweiten. Gunnar Heinsohn fordert in der "Welt online", dass die 300 Euro Mindesttransferleistung für arme Familien ganz gestrichen wird. Zugleich soll es massive Steuererleichterungen geben, denn Steuererleichterungen können von diesen Familien "nicht missbraucht werden". Peter Sloterdijk ruft zum Klassenkampf zwischen den "Nehmern" (Die Linke) und den "Gebenden" (F.D.P.) auf. Die "Leistungsträger" sollten nun mit Selbstbewusstsein den Klassenkampf gegen die "Nehmer" führen. Sloterdijk schwebt vor, die Steuern auf Freiwilligkeit umzustellen, damit mit Stolz und Ehre der Reichtum verteilt werden könne. Er verweist auf Gunnar Heinsohn, dessen Schriften nun gelesen werden müssten. Und er verteidigt in der gleichen Streitschrift Thilo Sarrazins Lettre-Interview. In diesem Interview fordert Sarrazin, dass sich das Problem der Unterschicht auswachsen müsse. Unter "auswachsen" versteht er "aussterben". Dies bestätigte er dem irritierten Chefredakteur des Lettre. Intelligenz sei vererblich, deshalb müsse die Zahl der "Unterschichtsgeburten" reduziert werden. Arme Ausländer dürften nicht mehr einreisen und der hiesigen Unterschicht seien die Transferleistungen zu streichen. Kritisiert wird diese Debatte, die auch von Henkel, Broder, Giordano, Barning unterstützt wurde, ausschließlich in einigen wenigen Internet-Blogs. Nur ein einzelner Zeit-Artikel entdeckte die "Ungeheuerlichkeit" in Sarrazins Sozialdarwinismus. Dass dieses sozialeugenische Gedankengut auch konkrete Folgen zeitigt, konnten wir an der "Akademikerkinderlosigkeits-Debatte" von 2005 mit der Folge des Elterngeldes erkennen.Welche Auswirkungen wird die verschärfte Sozialeugenik-Debatte von 2009 nach sich ziehen und wie können wir effektiv intervenieren?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andreas Kemper

Ich arbeite als Soziologe kritisch zu Klassismus, Organisiertem Antifeminismus und die AfD

Andreas Kemper

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