Taz-Kongress: "Welche Uni wollen wir Akademikerkinder?"

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Der erste Zukunftskongress der taz widmet sich in 25 Veranstaltungen der Frage: "Welche Universität wollen wir?" - studierende Arbeiterkinder werden nicht gefragt, bestehende Diskriminierungen werden nicht thematisiert.

Wie das? Es gibt doch eine Veranstaltung zum Thema Gleichstellung. Das Podium ist spannend. So vertritt Sandra Smykalla die These

"Gleichstellungspolitik muss unterschiedliche Erfahrungen von Benachteiligung sowie Privilegstrukturen sichtbar machen. Dies bedeutet, Wissen über Intersektionalität und Dekonstruktion für die Praxis produktiv zu machen und „Gleichstellungskulturen“ zu schaffen, die Machtverhältnisse transformieren, ohne Unterschiede stereotyp zu reproduzieren."

Ja, genau richtig!!! Allerdings ist mit Gleichstellung Geschlechtergleichstellung und nicht Gleichstellung aufgrund der sozialen Herkunft gemeint.

Aber, so lässt sich weiter einwenden, die Podiumsdiskussion Hochschulzugang und soziale Selektion, das ist doch das Thema, wo es um Diskriminierung von Arbeiterkindern an der Uni geht! Ähhh, ja, schon. Elke Middendorff ist eine sehr gute Sozialforscherin und als Mitarbeiterin beim HIS eine kompetente Wissenschaftlerin. Wir hatten sie bereits 2001 zu einer Konferenz "Race, Class, Gender und der Bildungserfolg" nach Münster eingeladen und sie lieferte wertvolles statistisches Material für die dann folgenden spannenden Diskussionen. Aber Elke Middendorff ist Statistikerin, sie vertritt auf Podien nicht kämpferisch politische Positionen, das ist nicht ihre Aufgabe und würde die von Statistiker_innen eingeforderte Neutralität gefährden. Sie wird also während der Podiumsdiskussion nicht eine kämpferische Position einnehmen wie beispielsweise Sandra Smykalla beim Thema Gender.

Bleiben neben der Moderatorin Anna Lehmann von der taz nur Katja Urbatsch und Gerhard Teufel. Gerhard Teufel leitet die Geschäftsstelle der Studienstiftung des Deutschen Volkes. Diese förderte gerade einmal 5% der Studierenden mit einer niedrigen sozialen Herkunft und hat sich hieran nicht großartig gestört. Schön, dass Herr Teufel da ist, vielleicht könnte man ihn ja dazu bewegen, den Anteil der geförderten Studierenden mit einer niedrigen sozialen Herkunft von 5% auf 50% zu erhöhen, denn schließlich entspräche 50% ungefähr dem Bevölkerungsanteil der Gruppe mit einer niedrigen sozialen Herkunft. Aber wer sollte das machen? Frau Middendorff wird die nackten bösen Zahlen vorlegen. Anna Lehmann wird sagen: das sind die Zahlen, was sagen sie nun, Herr Teufel? Nichts wird er sagen, er findet den neuen Stipendienentwurf klasse, und dieser sieht nur vor, dass Hochschulen die soziale Herkunft bei der Stipendienvergabe berücksichtigen können. Können heißt aber nicht müssen.

Bliebe noch Katja Urbatsch von der Initiative Arbeiterkind.de. Die könnte was sagen, was politisches als Arbeiterkind. So wie Feminstinnen was politisches sagen zur Frauendebatte, so wie es im Forum zur Gleichstellung passieren wird, wo engagiert die Diskriminierung benannt und angegriffen und bloßgestellt werden wird. Aber Katja Urbatsch wird nichts sagen. Schon aus Prinzip nichts. Zumindest nichts politisches. Nichts politisches zu sagen ist bislang das Kernprogramm von Arbeiterkind.de. Als ich dort eine inhaltiche Positionierung auf einer demokratischen Grundlage einforderte, wurde mein Rauswurf gefordert. Arbeiterkind.de ist systemkonform und unpolitisch. Es hat gerade eben vom Stifterverband der deutschen Wirtschaft die Hochschulperle für April 2010 erhalten. Die Diskussion wird unendlich harmonisch und langweilig werden. Arme Elke Middendorff, schade um die bösen Zahlen, ich sehe sie schon traurig verwelken.

Bleibt die Frage, was die taz sich dabei gedacht hat? Ich hatte bereits Kontakt mit Anna Lehmann. Sie hatte mich vor zwei Monaten angerufen, weil sie einen Bericht über unser Projekt "The Dishwasher - Magazin für studierende Arbeiterkinder" bringen wollte. Ich diskutierte mit ihr über eine halbe Stunde am Telefon, redete mir den Mund fusselig. Schickte ihr noch ein Exemplar von unserer Zeitung, welches lay-out-technisch auf dem Stand einer schlechten Schülerzeitung ist, inhaltlich aber durchaus die politische Front des Kampfes gegen Klassenreproduktion und Bildungsbenachteiligung abbildet. Und dann hörte ich nichts mehr. Vertane Zeit. Schade.

Um nicht noch mehr Zeit zu vertun empfehle ich: besucht gar nicht erst den taz-Kongress, wenn ihr interessiert seid am Thema Arbeiterkinder und Hochschule.

Sonst könnte es spannend werden, mein Kollege Jörg Rostek wird mit Stephan Lessenich und Anne Grabs über den Bildungsstreik diskutieren. Das allein wird sich lohnen. Und natürlich die Gender-Debatte. Schade, dass das Thema Diskriminierung von Arbeiterkindern wieder mal ausgeblendet wird. Sehr schade, aber wir leben nunmal im Kapitalismus und die taz ist ein konformes Blatt in diesem Wind.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andreas Kemper

Ich arbeite als Soziologe kritisch zu Klassismus, Organisiertem Antifeminismus und die AfD

Andreas Kemper

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