Wikipedia als Microsofts Bing an sich

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Mit Bing versucht Microsoft erneut, Googles Suchmaschine Marktanteile zu entreißen. Google hat in den letzten Jahren kontinuierlich andere Suchmaschinen verdrängt. Zuletzt machte Wolfram Alpha als intelligente Suchmaschine von sich reden, zu spürbaren Erschütterungen auf dem Suchmaschinenmarkt kam es jedoch nicht.

Es würde mich wundern, wenn sich Bing gegen Google behaupten könnte. Microsoft ist nicht eben ein Sympathieträger, der Gründer von Wikipedia, Jimbo Wales gab vor kurzem noch bekannt, Facebook und Microsoft seien gefährlich, Google sei okay. Dies hat jedoch Microsoft nicht davon abgehalten, für das us-amerikanische englischsprachige Bing Wikipedia zu spiegeln. Mit der Suchfunktion "References" findet man bei Bing die komplett gespiegelte englischsprachige Wikipedia. Zumindest fast die gesamte Wikipedia. Wer Wikipedia nutzen will, der muss einen Blick auf die Diskussionsseite werfen, um zu erkennen, welche Aspekte eines Wikipedia-Artikels aus welchem Grund diskussionswürdig sind. Erst diese offene Diskussion macht Wikipedia objektiver als andere Lexika. Diese Diskussionsseite fehlt bei Bing ebenso wie die Möglichkeit mitzuschreiben. Aber wie bei den Wikipedia-Spiegeln üblich kann man sich durch die internen vermeintlichen Wikipedia-Links klicken und bleibt auf den Microsoft-Bing-Seiten. Zudem ist problematisch, dass es sich um einen Spiegel und nicht um einen Live-Feed handelt. Das heißt, dass in Abständen Wikipedia aktualisiert wird, dass diese Aktualisierung allerdings nicht in Echtzeit stattfindet.

Beim SPIEGEL-Bertelsmann-Wikipedia-Deal, der in Deutschland zur Etablierung von SPIEGEL-Wissen führte, gestattete die Wikimedia-Foundation SPIEGEL-Online die Nutzung des Wikipedia-Logos sowie einen Zugriff, der Live-Feed erlaubt. Das heißt, bei SPIEGEL-Wissen hat man tatsächlich quasi in Echtzeit jede Veränderung im originalen Wikipedia auch im SPIEGEL-Wissen-Wikipedia. Hier stellt sich für Microsoft die Frage, ob sie nicht auch gegen eine Spende Wikipedia-Logo und Live-Feed nutzen könnten. Oder sieht die Wikimedia-Foundation Microsoft kritischer als Bertelsmann?

Im deutschsprachigen Bing ist Wikipedia noch nicht gespiegelt. Stattdessen finden sich hier häufiger als erste Suchbegriffe Verweise auf Encarta. Encarta ist die inzwischen eingestellte Online-Enzyklopädie von Microsoft. Encarta-Begriffe als erste Suchtreffer aufzulisten, konterkariert für Microsoft-Bing eine Neutralität, für die Google steht. Als Google vor knapp einem Jahr das Wissensportal Google-Knol öffnete, wurde kritisch darauf geachtet, ob Knol-Artikel besser ranken als es ihnen zustehen würde. Seither kam Knol oftmals in die Kritik, nie aber deswegen, weil Google durch seine Suchmaschine Knol-Beiträge gepusht habe. Als Wikipedia-Autor und Google-Knol-Autor konnte ich im Gegenteil feststellen, dass Wikipedia-Artikel von mir mit suboptimalen Inhalt auf Platz 1 der Google-Treffer auftauchen, während bessere Artikel sehr viel schlechter abschnitten. Beispielsweise hatte ich in Wikipedia das Portal Diskriminierung aufgebaut und maßgeblich den Beitrag Diskriminierung gestaltet. Dieser liest sich sehr holprig, er ist ein Kompromiss von vielen unterschiedlichen Meinungen zum Thema. Der sehr viel bessere Artikel Diskriminierung von mir in Google-Knol fand sich über Monate erst jenseits von Platz 600 und taucht erst seit wenigen Tagen auf der dritten Google-Treffer-Seite auf, was natürlich immer noch bedeutet, dass kaum jemand über die Google-Suche diese Seite öffnet. Bei Bing hat die Seite immerhin auf Anhieb Platz 15 geschafft. Es zeigt sich also, dass Google mit der Suchmaschine sein Wissensportal nicht pusht. Würde Google seine Ressourcen spielen lassen, so bräuchte es nicht einmal sein Ranking-System zugunsten von Knol-Artikeln zu verändern, ein Link auf der Google-Suchseite, wie er an einem Tag im April zu finden war, würde die Knol-Seitenaufrufe explodieren lassen. Eine Google-Knol-Seite schnellte durch diesen Link von täglichen 50 Seitenaufrufen auf über 2000 hoch. Google verzichtet auf solche Links (sieht man von dem einen Tag ab), um seine Suchmaschine "sauber" zu halten.

http://knol.google.com/k/-/-/8bgikaqot3ts/11le3b/impact.jpg

Bing versucht sich gar nicht erst objektiv zu geben. Microsoft-Bing pusht Microsoft-Encarta und Wikipedia. Ich glaube nicht, dass dies zum Erfolg führen wird. Aber es verfestigt die Monopolstellung von Wikipedia. Obschon ich seit Jahren bei Wikipedia mitschreibe, sehe ich diese Entwicklung sehr kritisch. Wikipedia verdrängt andere Wissensplattformen, Lexika und Enzyklopädien. Und es verdrängt die Reproduktionsfrage. Wikipedia bekam bislang das Wissen von vielen AutorInnen geschenkt, denen es Spaß machte, ihr Wissen zu teilen. Aber die Wikipedia-Mitarbeit macht immer weniger Spaß. Die Zahl der Neuanmeldungen ist in den letzten Monaten drastisch gesunken. Die Foundation und ihre Chapter sehen ihren Auftrag weiterhin darin, "Freies Wissen" (=Wikipedia) zu verbreiten und diesem Ziel habe sich alles andere unterzuordnen - auch das, was man anderswo "Arbeitnehmerrechte" oder "Arbeitnehmerfreundlichkeit" nennen würde. Bei Wikipedia gibt es nur das Recht zu gehen. Während in der Aufbruchzeit die Verbreitung von Wikipedia ein sympathisches Unterfangen war, bedeutet das ungehemmte Wachstum Wikipedias heute die Ausweitung eines Monopols.

Es wird sich zeigen, wie die Wikimedia-Foundation mit Microsoft-Bings Wikipedia-Spiegel umgeht. Gewollt sind solche Spiegelungen. Aber vielleicht geht die Foundation noch einen Schritt weiter und erlaubt einen Live-Feed und die Logo-Nutzung gegen eine Spende - von Monopolisten zu Monopolisten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andreas Kemper

Ich arbeite als Soziologe kritisch zu Klassismus, Organisiertem Antifeminismus und die AfD

Andreas Kemper

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