Taumelnde Giganten

Abgas-Skandal Rückrufe von Daimler-Fahrzeugen, milde Strafe für VW: Die deutschen Autohersteller ähneln in ihrem Überlebenselixier immer mehr der Eisen-, Stahl- und Kohleindustrie
Die deutsche Autoindustrie ist so desolat, dass sie nur mit Hilfe der Regierung überlegen kann
Die deutsche Autoindustrie ist so desolat, dass sie nur mit Hilfe der Regierung überlegen kann

Foto: Alexander Koerner/Getty Images

Es vergeht kein Tag ohne neue Skandalmeldungen aus der Autowelt. Die Lage wird langsam unübersichtlich. Es ist Zeit zu sortieren.

Bis vor rund 18 Monaten konnten die deutschen Hersteller bei der Abgasreinigung tun und lassen, was sie wollten. Das Umweltbundesamt hatte es gemeinsam mit der damaligen rot-grünen Bundesregierung Ende der 1990er Jahre versäumt, bei der Festlegung strengerer Abgasnormen die notwendigen Details zu regeln. Behörde und Hersteller einigten sich darauf, dass die Normen strenger, die Ausnahmen aber großzügiger gehandhabt werden durften. Immer, wenn Gefahr für den Motor bestand – nicht für die Menschen wohlgemerkt –, durfte die komplizierte Technik einfach abgeschaltet werden. In der Regel funktionierten die Reinigungsanlagen daher nur, wenn der Motor warm und die Außentemperaturen bei rund 20 Grad lagen.

CSU-Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt konnte dann toben und wüten, er hatte aber keine Rechtsgrundlage, die Fahrzeuge zurück in die Werkstätten rufen zu dürfen. Durch den in den USA aufgeflogenen Betrug des VW-Konzerns sah sich nun auch die schwarz-rote Bundesregierung – es war noch die alte – genötigt, bei Neuzulassungen endlich durchzugreifen: die Herstellern müssen nun schriftlich bestätigen, dass keine Abschalteinrichtungen mehr verbaut werden und die Abgasreinigung immer und überall, nicht nur auf dem Prüfstand funktioniert.

Sie manipulieren weiter

Doch was machen die deutschen Hersteller? Zumindest Porsche, Audi und Daimler manipulieren die Anlagen weiter wie bisher – und haben sich jetzt nicht nur von den US-Amerikanern, sondern auch vom Kraftfahrtbundesamt (KBA) erwischen lassen. Der mittlerweile amtierende Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) kann und muss jetzt diese Fahrzeuge direkt in die Werkstätten zurückrufen lassen und mit dem generellen Entzug der Typengenehmigung drohen. Dann müssen die Fahrzeuge, auch wenn sie neu sind, erstmal aus dem Verkehr gezogen werden.

Es ist noch nicht klar, wie viele Neu-Fahrzeuge betroffen sind. Mutmaßlich noch jede Menge, denn das Ganze sieht nicht aus wie Zufall oder Fehlverhalten einzelner Manager. Es sieht nach systematischem Betrug aus.

Luftqualität? Die Städte wissen nichts Genaues

Denn es kommt ja noch besser: Bei der Messung der Luftgütewerte haben die Städte nicht nur Messstellen errichtet, sondern viele Ergebnisse auf der Basis von Herstellerangaben hochgerechnet. Messstellen existieren in der Regel nur an den stark befahrenen Aus- und Einfahrtsstraßen. Wie hoch die Belastungen mit Stickoxiden und Feinstaub im gesamten Stadtraum tatsächlich ist, wissen die meisten Städte gar nicht so genau.

Aber da kommen die Kommunen nicht länger mit durch. Mittlerweile hat sich die EU-Kommission dazu durchgerungen, die permanente Übertretung der zugelassenen Grenzwerte in Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof zu beklagen und die Einhaltung der geltenden Regelungen zu fordern. Hierauf hat sich das Bundesverwaltungsgericht im Februar 2018 berufen und nun sozusagen rechtsverbindlich erklärt, dass die Freiheit des Dieselfahrenden nicht über die Gesundheit der Stadtbewohner gehen kann und damit die Tür für ein Klagerecht auf politisches Tun geöffnet. Die Bürger haben also ein Recht darauf, dass die Städte endlich wirklich Umweltpolitik durchsetzen.

Für die amtierende Bundesregierung und für die Kommunen ist das Thema nicht neu; sie ahnten schon im Sommer 2017, dass Gefahr im Verzug war. Nach mehreren „Dieselgipfeln“ versandte die Bundesregierung Zuwendungsbescheide an Kommunen, damit diese dann Dieseltaxis und Dieselbusse durch Fahrzeuge mit elektrischem Antrieb ersetzen konnten. Am Rande sei erwähnt: bereits vor knapp zehn Jahren hatte die Nationale Plattform Elektromobilität genau das gefordert. Jetzt aber gab es plötzlich Geld, das gar nicht da war, für Fahrzeuge, die gar nicht existieren, auf Basis von Verfahren, die gar nicht funktionieren und im Ergebnis keine Resultate gebracht haben.

Die Bild-Zeitung kämpft

Doch das scheint keinen wirklich zu stören. Wer in einem Geschäft eine Ware kauft und zu Hause feststellt, dass diese schadhaft ist, geht zurück, tauscht um oder bekommt sein Geld zurück. Nicht so in Deutschland. Die „Verbraucher sind irritiert“ schrieb die Bild und startete eine Kampagne: „Bild kämpft für Ihren Diesel“. Mal vom Abmahnverein DHU und den Experten des International Council on Clean Transportation (ICCT) abgesehen, scheinen Deutschlands Verbraucher- und Umweltschützer in einen Tiefschlaf gefallen zu sein. Denn die Autoindustrie kann ungeniert mit Deckung der Bundesregierung noch darüber diskutieren, wer eigentlich für den Schaden aufkommt. Die von der Staatsanwaltschaft Braunschweig dem VW-Konzern gerade aufgebrummte Strafe von einer Milliarde Euro ist ein leichtes Lüftchen gegenüber den Ansprüchen der betrogenen Kunden.

Was lehrt uns die Geschichte? Deutschlands Autoindustrie ist mittlerweile auf dem Niveau der Eisen-, Stahl- und Kohleindustrie angekommen. Nur durch umfassende staatliche Schutzmechanismen kann die Industrie am Leben erhalten werden. Die deutsche Regierung hat im Herbst 2017 die Einführung von E-Fahrzeug-Quoten verhindert und Anfang Juni 2018 die Festlegung ambitionierter Quoten für Erneuerbare an der gesamten Energieerzeugung verweigert. Die IG Metall warnt bereits vor den Folgen des Strukturwandels in der deutschen Autoindustrie und fordert staatliche Hilfen für den Erhalt von Diesel- und Ottomotoren.

Mit dieser Industriepolitik können wir nur hoffen, dass wir genügend Menschen finden, die unsere manipulierten Verbrennerfahrzeuge abnehmen. China hat übrigens schon abgewunken.

Andreas Knie ist Leiter der Forschungsgruppe Wissenschaftspolitik am WZB, Geschäftsführer des Innovationszentrums für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) und Herausgeber des Online-Magazins klimareporter°

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