Surreale Zustände

Venezuela Der Wahlsieg Nicolás Maduros lässt nicht viel Gutes erwarten. Derweil kostet ein Karton Eier mehr als ein Tanklaster voller Benzin
Ausgabe 21/2018
Die Wahlbeteiligung war die geringste seit dem Ende der 1990er Jahre
Die Wahlbeteiligung war die geringste seit dem Ende der 1990er Jahre

Foto: Federico Parra/AFP/Getty Images

Viele Venezolaner blieben diesem Urnengang fern. Die Wahlbeteiligung von 46 Prozent ist die geringste bei einer Präsidentenwahl seit Beginn der Bolivarischen Revolution Ende der 1990er Jahre. Ein Vertrauensbeweis für den Sieger Nicolás Maduro sieht anders aus. Beim Präsidentenvotum 2013 wollten noch gut vier Fünftel der Wahlberechtigten abstimmen. Aber das Land ist zerrissen und steckt in einer latenten Wirtschaftskrise.

Der noch vor einem Jahr dagegen entfachte Aufruhr ist Apathie gewichen und eine Mehrheit mit dem Überleben beschäftigt, auch wenn die Versorgungslage nicht mehr so dramatisch anmutet wie im Sommer 2017. Die Warteschlangen vor den Supermärkten sind fast verschwunden. Was es gibt, können sich freilich nur wenige leisten, grassiert doch eine Hyperinflation. Immerhin prophezeit der IWF für 2018 eine Rate von 14.000 Prozent. Dies sei eine sehr konservative Prognose, sagen andere Experten und nennen gar sechsstellige Prozentzahlen. Für den staatlichen Mindestlohn bekommt man gerade einmal einen Karton Eier, allerdings auch mehrere Tanklaster (sic!) voller Benzin. Surreale Zustände.

Gleichzeitig ist es der Regierung gelungen, die Opposition aus dem Spiel zu nehmen und zu spalten. Viele haben das Land verlassen. Den Regierungsgegnern fehlt es an Angeboten, die sich an weite Teile der Bevölkerung richten. Nur gegen etwas zu sein, ist noch keine Strategie. Vor den Wahlen hatte die Opposition zum Boykott aufgerufen, der jedoch in dem Moment unterlaufen wurde und faktisch hinfällig war, als der Ex-Chavist Henri Falcón die Front der Verweigerer sprengte. Er erklärte seine Kandidatur offenkundig in der Hoffnung, enttäuschte Maduro- und gemäßigte Oppositionsanhänger zu erreichen. Ein Kalkül, das mit 1,8 Millionen Stimmen (28 Prozent) auch wegen der geringen Wahlbeteiligung nicht aufging. Henri Falcón ist nach dieser Niederlage als Hoffnungsträger verbrannt. Woraus zu schlussfolgern wäre: Das Anti-Maduro-Lager benötigt einen personellen und programmatischen Neuanfang.

Dass Falcón nun wegen mutmaßlicher Unregelmäßigkeiten der Wahl die Legitimität bestreitet, wirkt reichlich absurd, nachdem er diesem Votum durch seine Teilnahme erst Legitimität verliehen hatte und Wahlbeobachter von einem weitgehend fairen Verlauf sprechen. Der Chavismus kann – und das sollte man nicht vergessen – weiter auf treue Anhänger bauen und diese weiterhin mobilisieren, wenn auch nicht mehr in gleichem Maße wie zu Zeiten von Hugo Chávez.

Die auf Triumphgetöse bedachte Siegesrede von Maduro lässt allerdings nicht viel Gutes erwarten. Kein Wort zur katastrophalen Wirtschaftslage oder den Venezolanern, die täglich zu Tausenden das Land verlassen. Auch das Dialogangebot an Falcón klang halbherzig, nachdem er diesen zuvor als Falsón („falschen Fünfziger“) verhöhnt hatte. So wird Venezuela in Lateinamerika fortgesetzter Isolation nicht entgehen, zumal die USA bereits neue, noch schärfere Sanktionen verkünden.

Doch werden neue Massenproteste vorerst eher ausbleiben. Ohnehin dürfte Maduro nicht so sehr die Opposition, sondern eine mögliche Implosion des Chavismus, ein Bruch im Machtapparat zwischen Regierung und Armee, in Bedrängnis bringen. Die Zeit läuft gegen den Präsidenten, solange er die Hyperinflation nicht eindämmt und dem Land wieder eine über den Tag hinausreichende Perspektive zu geben vermag.

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