Der Durchbruch ist endgültig geschafft. Ein neues Medium ist den Kinderschuhen entwachsen und hat sich zum anerkannten Kulturgut gemausert. Letzte und diese Woche sendete der Kulturkanal 3Sat die vierteilige Dokumentation Games Odyssey. Drei Stunden hatte der Berliner Autor und Regisseur Carsten Walter Zeit, das Phänomen Computerspiele zu analysieren. Noch nie zuvor räumte ein deutscher Sender einer Dokumentation über die digitalen Spiele so viel Sendezeit ein. Allein das verdient Beachtung. Noch beachtlicher ist es jedoch, dass nicht die notorische Frage nach potentiellen Gefahren als Aufhänger gewählt wurde, sondern der Autor alle Freiheiten gehabt zu haben schien, sich und den Zuschauern einen Zugang zu dem schillernden Phänomen zu bahnen.
Das Ergebnis
Ergebnis war Bildungsfernsehen im klassischen Sinne. Walter ging es dabei weniger um die Kultur rund um die "Games" als vielmehr um die Erkundung des Phänomens an sich. Er versammelte einige der national und international relevanten Wissenschaftler, Publizisten und Spieleentwickler, um sie aus einer eher theoretischen Perspektive über die digitalen Spiele reden zu lassen. Interviewsequenzen und Spieleszenen wechselten sich ab. Im ersten, einführenden Teil wurde anhand der großen diesjährigen Londoner Ausstellung "game_on" in die Geschichte der Spiele eingeführt. Der zweite Teil widmete sich der Eigenschaft der Games, Realität simulieren zu können. Im dritten Teil lag der Schwerpunkt auf der spezifischen nicht-linearen Erzählweise der Spiele und in der letzten Episode ging es um das "Kunstwerk Computerspiel". Da der Autor dabei auf Kommentare aus dem Off verzichtete und auch die Schnitttechnik eher neutral dokumentierend einsetzte, entfaltete sich ein breites und oft heterogenes Spektrum an Ansichten.Wie ein roter Faden zog sich dabei die Frage nach dem Kunstcharakter der Spiele durch den Film. Henry Jenkins, Leiter des M.I.T. (Massachusets Insitut of Technology) Media Labs in Boston, ist sich zum Beispiel sicher, dass die Games eine der lebendigsten Kunstformen unserer Zeit sind. Ihre Wurzeln sieht er in der Idee des Wagnerianischen Gesamtkunstwerkes.Der Weimarer Medienwissenschaftler Claus Pias hingegen stellte die Games eher in den Zusammenhang mit der Kunst der Avantgarde. Allerdings fängt für ihn die Kunst erst da an, wo die kommerziellen Spiele aufhören. Dabei bezieht er sich auf verschiedene Kunstprojekte, die die Spielideen und -programme als Ausgangsbasis zu einer künstlerischen Verfremdung benutzen. Darin erkennt Pias ein Wesensmerkmal avantgardistischer Kunst, die auch immer ihre eigenen Entstehungsbedingungen und Materialien, sei es Farbe, Leinwand, Sprache oder eben die Computertechnik, kritisch mitreflektiert.Dass die Games Inspirationsquelle und Material für ganz verschiedene Künstler, vom klassischen Zeichner über den Medienkünstler bis hin zu Filmemachern sind, belegte Walter mit einer Vielzahl von Beispielen. Spielbar sind die vorgestellten Kunstwerke aufgrund ihres hohen Verfremdungsgrades allerdings kaum mehr.Der Game-Consultant Ernst W. Adams ist der festen Überzeugung, dass auch kommerzielle Spiele Kunst sein können. Dazu müssten allerdings seine an das "Dogma 95" Manifest angelehnten zehn Grundsätze des Gamedesigns beachtet werden. Doch ist es zweifelhaft, ob die Regeln in dem "Dogma 2001" genannten Manifest wie zum Beispiel die nach dem Verzicht auf jegliche 3D-Hardware (Regel 2), bei den heutigen Game-Designern Gehör finden wird. Dabei sind viele seiner Leitsätze sehr bedenkenswert. So trifft er mit seiner Regel Nr. 6 einen oft übersehenen, aber entscheidenden Punkt: Er fordert, dass jegliche Filmsequenzen und nicht interaktive Spielszenen verbannt werden sollten, da sie nichts mit aktivem Spielen zu tun haben. Wichtig ist dieser Gedanke deswegen, weil die digitalen Spiele trotz ihrer zunehmenden oberflächlichen Ähnlichkeit mit Filmen letztendlich Spiele bleiben. Die aktive Beteiligung des Spielers ist eine völlig andere Rezeptionshaltung als die des passiven oder auch reflektierenden Zuschauers. Während für den Spieler das Gewinnen und damit die Beherrschung des Regelwerks im Vordergrund steht, hat für den Zuschauer eines Films oder auch den Leser eines Buches der Nachvollzug der Geschichte beziehungsweise die Identifikation mit den handelnden Figuren Priorität. Es ist die Frage, ob diese identifizierende aber auch zur Distanz fähige Rezeptionshaltung nicht die notwendige Ergänzung eines Kunstwerkes ist. Denn letztendlich müsste man allen Spielen, sei es Skat, Fußball oder Monopoli prinzipielle Kunstfähigkeit zugestehen, wenn man es ihren digitalen Geschwistern einräumt. Allerdings würde man dabei Gefahr laufen, den Begriff der Kunst bis zur Unkenntlichkeit zu verwässern.Fragestellungen wie diese erfuhren in Games Odyssey ausführliche Behandlung. So wichtig und richtig sie sind, wünschte man sich insgesamt doch etwas weniger Ernst und Schwere beim Thema Spiel. Erhellend waren zum Beispiel die leider sehr wenigen Szenen aus der deutschen Fernsehwelt der siebziger und frühen achtziger Jahre, wo etwa ein euphorischer Sprecher in einem Bericht der Drehscheibe (ZDF, 1977) in Anbetracht der ersten einfachen "Tennisspiele" die Möglichkeiten pries, nun sein eigener Programmdirektor sein zu können. Auch so kann man einen unmittelbaren Eindruck in die Natur der Games, aber auch ihre gesellschaftliche Rezeption geben.Auf der anderen Seite hat es natürlich seinen Reiz, das bunte und lebendige Thema Games in das eher ernsthafte Format Bildungsfernsehen zu stecken. Auch die Gründung des Computerspiele-Museums funktionierte nach dem selben Prinzip: Man nehme mit den Games ein bisher unterschätztes Phänomen und stecke es in eine etablierte und anerkannte Form. Das schafft Aufmerksamkeit und macht neugierig auf mehr. Walter hat mit seinem Film die Games endgültig auf ihre Reise durch die Tiefen und Untiefen der deutschen Fernsehlandschaft geschickt. Doch ihre Odyssee hat damit erst begonnen.Andreas Lange ist Direktor des 1997 gegründeten Computerspiele-Museums in Berlin.