Im letzten Drittel des letzten Jahres – genauer: nach Beendigung eines Romans – litt ich unter einer Art journalistischer Schreibblockade. Was nicht so schlimm war, weil ich ja kein Journalist bin und schon der Roman vom Scheitern am Roman handelt. Wie cool wäre es, dachte ich, wenn jetzt auch die Kritik nur noch von der Unmöglichkeit der Kritik handeln würde?
Auf der Minusseite dieser Blockade standen allerdings drei Interviews mit Bad-Reading-Lieblingsautoren, mit denen ich über den „state of the novel 2018“ reden wollte und von denen jetzt nichts bleiben wird als Emmanuel Carrères wohltemperiertes Frenglisch, mit dem er selbstbewusst über le evil und seinen „Widersacher“ sprach und das so gar nicht zu seinem selbstzweifeln
nd das so gar nicht zu seinem selbstzweifelnden Schreiben zu passen schien. Die große fragile Erscheinung von Rachel Cusk in einer Luxushotel-Lobby, die man am liebsten schützend in den Arm genommen hätte, um sich für den Kudos-Verriss zu entschuldigen (was natürlich auch einen super #MeToo-Gesprächsauftakt abgegeben hätte), während sie erzählte, dass sie Deutsch lernen und noch abstrakter philosophisch schreiben wolle. Heinz Strunks betörendes Herren-Parfum im Backstage der Volksbühne, wo mein Diktaphon versagte, der Teemännchen-Autor die deutsche Konkurrenz (Verkaufszahlen von Benedict Wells usw.) voll auf dem Schirm hatte und sich über Cusks Askese lustig machte, die sehr vorsichtig darauf bedacht ist, was sie an Literatur überhaupt verdauen kann.Auf der Habenseite der Blockade stand dafür eine neue Offenheit gegenüber Buchtipps von meiner Mutter: Mittagsstunde (Penguin) von Dörte Hansen. Ein Buch, das ich wegen Landlust-Verdachts und des etwas apfelprinzessinnenhaften Umschlagfotos der Autorin normalerweise nicht mit der Kneifzange angefasst hätte. Was schade gewesen wäre: Es ist die Geschichte des 48-jährigen Archäologen und Neil-Young-Hörers Ingwer Feddersen, der zwischen seiner nordfriesischen Dorfherkunft (Nachkriegszeit, Flurbereinigung, platt snackende Großeltern als Ersatzeltern, inzwischen Pflegefälle) und mittelgroßstädtischer Midlife Crisis in Kiel hin und her pendelt, wo er in einer Uni-Karriere und Erwachsenen-WG (mit bourgeoiser Alt-68erin und Helly-Hansen-Segelfürst, im Grunde auch Pflegefälle) gestrandet ist. Mit einer bemerkenswerten Mischung aus Lakonie, Sensibilität und resoluter Kitsch-Austreibung gelingt Hansen dabei die Wiederbelebung des Zombies Generationenroman: „Mittagsstunde“ ragt aus dem Schrott der Spiegel-Bestsellerliste heraus wie zuletzt vielleicht nur Herrndorfs Tschick. Angst hat man höchstens vor einer möglichen ZDF-Verfilmung durch Matti Geschonneck. Und vor der melancholischen Nostalgie (oder nostalgischen Melancholie), in der Bücherlesen dann jahreszeitlich verstärkt zum gemütlichen Retro-Trend verkommt. Das wäre dann für die Literatur Weltuntergang, wie ihn Marret Ünnergang, Ingwers wirre Kindsmutter, dauernd heraufbeschwört.Um mich dagegen zu wappnen, stürzte ich mich wieder in die Feuilletons – wo die nervöse Krisengeilheit zum Jahresende immerhin mit zwei Wachmachern befriedigt wurde: Der Anthologie Mindstate Malibu und der Affäre Relotius. Im Mindstate Malibu (Starfruit Publications), laut SZ das Tristesse Royale der Gen Z, versammeln sich Autoren wie Leif Randt, Charlotte Krafft und Clemens Setz unter dem schönen Slogan „Kritik ist auch nur eine Form von Eskapismus“, um uns was über Hyperironie, Überaffirmation und Grinding zu erzählen. Mal lässig faul, mal nervtötend oberschlau wird hier die Welt als abgefuckter Content vorausgesetzt. Was die Spätgeborenen darüber noch groß zu erzählen oder kritisieren gehabt hätten, wurde vom hauptberuflichen Lanz-Personal von Precht bis Zeh längst abgefrühstückt. Wo bleibt der Love? – neben viel Kunstkacke, Dödel-Tweets und Old Shit (Rafael Horzons Regale 2018: seriously?) bleiben vom Surfen im Mindstate Malibu vor allem Andy Kassiers großartige Instagram-Verarschung „Success is just a smile away“ in Erinnerung, der dazugehörige Essay von Anika Meier sowie „Dem ganzen Tag Pyjama“ (sic): eine Snapchat-Storyline zwischen Kurt Prödel und Clemens Setz über eine Nachbarin mit Kühlschrank: Bad Writing galore, das es mit einer ganzen Serienproduktion von Erzählschwachsinn auf Netflix aufnehmen kann. Insgesamt möchte man den Internet-Kaliforniern aber nicht zu kumpelhaft und kämpferisch zurufen: Fail harder, fuckers!Was uns abschließend noch mal zu Relotius bringt. Denn dem ganzen Spiegel-Sagen-was-ist-Scheiß (Was soll denn sein?!, möchte man Augsteins Kneipen-Bestellung mit Heidegger beantworten) wohnt ja auch ein großes Literatur-Ressentiment inne, das keinen Bad Reader kaltlassen kann. Wie Relotius-Creator Fichtner im Welt-Interview ernsthaft meinte: „Journalismus muss stimmen, Literatur nicht.“ Dabei verdient nicht nur die Reporterpreis-, sondern auch die Buchpreis-Branche längst eine Debatte um Schönschreiber und Themenstreber. In den Ausläufern meiner kleinen Blockade fiel mir zu Relotius der zentrale Vorwurf von Rainald Goetz ein, den dieser dem journalistischen Schreiben gemacht hat: dass es kein Scheitern kenne. Genau darum will sich diese Kolumne auch weiterhin kümmern.Placeholder infobox-1