Wir kämpfen und geben alles

Bad Reading Andreas Merkel spielt in der Autorennationalmannschaft, diesmal liest er die Bücher der Fußballkollegen
Ausgabe 19/2018
Über Comebackversuche und die versöhnlicheren Storys, die Ronald Reng rund ums Laufen gesammelt hat: „Warum wir laufen“
Über Comebackversuche und die versöhnlicheren Storys, die Ronald Reng rund ums Laufen gesammelt hat: „Warum wir laufen“

Foto: Photothek/Imago

Da ich mit dieser Kolumnenfolge mein chronisch im Minus (oder wie das im Shintoismus heißt) befindliches Bad-Reader-Karma mit ein paar korrupten Feelgood-Punkten pimpen möchte, widme ich sie ausnahmsweise mal dem hymnischen Besprechen von Freunden. Zum Auflockern hier zunächst ein paar Starterfragen: Können Bücher untereinander befreundet sein? Ist Freundschaft eher ein Roman oder ein Sachbuch?

Antwort 1: Nein, denn sie altern zu schlecht (und sind innen drin zu weich). Antwort 2: Vielleicht einigt man sich lieber auf die neue Königsgattung „Erzählendes Sachbuch“. Denn die drei Bücher, die heute dran sind, sind jedes für sich als Roman eher Sachbuch und als Sachbuch eher Roman.

Mein alter Torwart-Freund Ronald Reng (einzige erklärende Fußnote an dieser Stelle: Alle hier besprochenen Verbindungen entstammen dem Umfeld der sogenannten Autorennationalmannschaft, sorry). Reng war früher einer der besten Fußballreporter und wurde dann Meister des erzählenden Sportbuchs (über suizidale Torwarte, abgezockte Spielerberater). Jetzt überrascht Reng mit einem autobiografischen Buch über den most unlikely Torwartsport Laufen – ich hatte keine Ahnung, dass er in seiner Jugend mal ein super Mittelstreckler war (1000 Meter in 2:32).

Unter dem etwas was-ist-wassigen Titel Warum wir laufen weist uns Reng allerdings gleich melancholisch-nüchtern darauf hin, dass – Running Gag der Rahmenhandlung – diese Zeiten verdammt lang her sind. Von Passion, Qual und großer Freiheit (Untertitel) handeln jetzt „mit fast 50“ seine schonungslosen Comebackversuche und die versöhnlicheren Storys, die er rund ums Laufen zusammenrecherchiert hat. So geht er mit Dieter Baumann für ein Knastprojekt im Gefängnis laufen, trifft sich mit Laufanalytikern (die dem ehemaligen Speedy heute vor allem Slowness predigen) und lässt sich vom Schauspieler Jens Harzer (früher ein noch besserer Mittelstreckler als Reng) erklären, was Laufen mit Theater zu tun hat: Fast nichts außer dem „heiligen Ehrgeiz“ und der generellen Attitude, mit dem Lampenfieber des Lebens und Schreibens umzugehen: If you don’t go, you’ll never know!

Das sagt sich auch Martin, der Held des Romans Ein mögliches Leben meines neuen Torwart-Freunds Hannes Köhler, Jahrgang 1982. Martin ist Lehrer und entschließt sich in einer milden Midlife-Crisis, mit seinem Großvater in die USA zu reisen, um dort auf den Spuren dessen Schicksals die Lager zu besuchen, in denen deutsche Kriegsgefangene damals erstaunlich sich selbst überlassen weiter Wehrmacht spielten. Der Roman hat mich persönlich gepackt, weil er mich an den großen Otto Carstens erinnerte. Otto Carstens war mein Philosophie-, Latein- und Qigong-Lehrer auf und nach dem Gymnasium in Rendsburg. Otto (wir haben uns selbstverständlich nie geduzt!) wurde mit 16 in Dithmarschen an den Westwall eingezogen und gerät sofort in amerikanische Kriegsgefangenschaft, wird in ein ebenfalls selbst verwaltetes Lager nach Kanada verschifft, in dem dann deutscher Kadavergehorsam regiert. Wer am Endsieg zweifelt, wird gelyncht – oder er flüchtet in den Schutz des Feindeslandes, damit ihm seine Sachen nachgeschickt werden mit einem Strick obendrauf: um dem Verräter die Chance zu geben, sich ehrenhalber selbst aufzuknüpfen.

Bei Martins Opa geht die Sache aber noch mal ganz anders tragisch aus, und an Hannes Köhlers Roman gefällt mir vor allem das ruhige, unaufgeregte Erzählen einer generationenübergreifenden Sehnsucht nach dem freien, weiten Leben als amerikanische Road-Novel – das dann doch nie dem Sachbuch deutscher Schuld entkommt.

Um Martin geht es neben Ludwig, Ernst und Walter im Sachbuch der Stunde, Zeit der Zauberer, vom Mittelfeldphilosophen Wolfram Eilenberger. In etwas lustig betitelten Kurzkapiteln („Atemlos, durch die Nacht“) erzählt er Leben und Denken von Heidegger, Wittgenstein, Cassirer und Benjamin im magischen Jahrzehnt 1919 bis 1929 so luzide zusammen, wie das eigentlich nur ein Roman kann. Eilenberger wird mit diesem Buch selbst ein bisschen zum Zauberer. Und in befreundeten Fußballerkreisen nennt man ihn nicht umsonst „Eile“.

Wer so fulminant durchstartet, wird im deutschen Lahmarschigkeitsbetrieb Lesen und Denken (zumal angesichts seines großen Erfolgs: seit Erscheinen in den Spiegel-Top-10, Lizenzen bereits in mehr als 20 Länder verkauft) natürlich gern mal abgewatscht. Zu flapsig, zu sportlich (Philosophie als Boxkampf) erzählt hier einer – immer um Anschaulichkeit und das mot juste im großen Ganzen bemüht – drauflos: Kunststück! Allein schon wie er die „begriffliche Abrissbirne“ Heidegger gegen aristotelische Kategorien und den cartesianischen Dualismus (Subjekt, Objekt, tertium non fucking datur) in Stellung bringt, ist in Zeiten von Technikhörigkeit wichtiger denn je und hätte auch meinen alten Vorsokratiker Otto Carstens stolz gemacht. Thinking outside the box? – There isn’t even a box, Freunde!

Info

Warum wir laufen Ronald Reng Piper Verlag 2018, 394 S., 20 €

Ein mögliches Leben Hannes Köhler Ullstein 2018, 352 S., 22 €

Zeit der Zauberer: Das große Jahrzehnt der Philosophie 1919 – 1929 Wolfram Eilenberger Klett Cotta 2018, 431 S., 25 €

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