Schwarz-Rot-Gold 2016

Fahnenkult Zehn Jahre nach dem Sommermärchen in Deutschland zeigt sich nun die Kehrseite des Nationalstolzes

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Schwarz-Rot-Gold 2016

Foto: CHRISTOF STACHE/AFP/Getty Images

Was ist los mit Deutschlands Sommermärchen? Zehn Jahre, nachdem die die Welt zu Gast bei Freunden war, die Republik sich voller Stolz offen und gastfreundlich präsentierte, scheint heute wenig von der Weltoffenheit der Nation übrig geblieben.

Mitglieder der Grünen Jungend Rheinland- Pfalz riefen auf Facebook dazu auf, die Deutschlandfahnen zu Hause zu lassen. Die Aufregung im sozialen Netzwerk war groß, dem Aufruf zum Fahnenboykott folgten Morddrohungen. Viel deutlicher zeigt die Statistik des Verfassungsschutzes die Kehrseite des Nationalstolzes. Es gibt so viele rechtsextremistisch motivierte Straftaten, wie selten zuvor. Darunter eine nicht unerhebliche Zahl an Körperverletzungsdelikten und Brandstiftungen. Die Leichtigkeit, Deutschlandfahnen zu schwenken wie noch zu Zeiten des Sommermärchens, ist dahin. Was ist da los?

Zugegebenermaßen ging es 2006 um das Austragen einer Fußballweltmeisterschaft, ein ganz besonderes Ereignis. Organisation, Sicherheitskonzept, Public Viewing, Autokorso. Alles lief bestens. Und nicht nur als Veranstalter konnte Deutschland zeigen, was es drauf hat. Das sportliche Großereignis bot zugleich die Möglichkeit, die Identität der Deutschen vom Erbe ihrer Geschichte zu etablieren. Vor den Bildschirmen, auf den öffentlichen Plätzen und in den Kneipen der Republik vereinte sich die Bevölkerung jenseits von Klasse und sozialen Unterschieden im Jubel- und Freudentaumel aus Schwarz-Rot-Gold. Plötzlich schien es, als könnten die Deutschen ohne nationalistische Deutschtümelei und völkische Rassenidiotie ihr Land und seine Nationalfarben feiern. Vorbei die Zeit, in der dem Stolz auf das Vaterland die Erinnerung an Vernichtungskrieg und Völkermord anhaftete.

Im Sommer 2006 war begeistertes Fahnenschwenken Ausdruck dieses neuen Gefühls. Man gefiel sich, weltoffen und zugleich selbstbewusst, eine nationale Identität zu repräsentieren. Deutschland im schwarz-rot-goldenen Fahnenmeer fand kaum jemand anstößig. Man konnte wieder stolz sein auf sein Land und das auch zeigen - so der Tenor in Presse, Politik und am Stammtisch. Überall waren die deutschen Nationalfarben zu sehen. Deutschsein war wieder hipp.

2016 sieht die Welt ganz anders aus. Deutschland bietet ein widersprüchliches Bild. Während tausende Bürger ehrenamtlich Geflüchteten helfen, sähen Pegida und AfD den Hass, der die Gesellschaft entzweit und zu einem Anstieg der Gewalt führt. Von der bedingungslosen Gastfreundschaft scheint wenig geblieben. Die Fahnenschwenker der Montagsdemos haben die Deutungshoheit über Schwarz-Rot-Gold zurück erobert. Einem naiven Selbstverständnis der Willkommenskultur im Sommer 2015 folgt nun die Ernüchterung über brennende Flüchtlingsheime, die Wahlerfolge der Rechtspopulisten und wieder aufkeimende Ressentiments gegenüber Minderheiten.

In 2016 sind Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Homophobie und Islamhass in Deutschland weiter verbreitet, als es die Verfechter des Sommermärchens zugeben möchten. Das Gespenst der „Überfremdung“ ist schon längst zum Teil des alltäglichen Diskurses geworden, in politischen Talkshows, Zeitungsartikeln und auf den Gartenpartys der Republik. Während die Parteien der Mitte bereitwillig auf den populistischen Wagen der „ernst zu nehmenden Ängste“ auf springen, wünschen sich die Politikverdrossenen einen neuen Autoritarismus herbei. Es bleibt jedoch nicht bei Worten.

Der Wunsch nach einfachen Lösungen für komplexe Probleme geht einher mit der wachsenden Akzeptanz von Gewalt als legitimes Mittel zum Austragen gesellschaftlicher Konflikte. Es ist einfach, mit dem Finger auf rechtsradikale Hooligans in Lille zu zeigen. Oder die Pogrome gegen Einwanderer Anfang der neunziger Jahre, den durch die Wiedervereinigung Verwirrten in die Schuhe zu schieben. In Sommermärchenland mischt sich heute zum Duft gegrillter Bratwürste der Gestank ausbrennender Dachstühle bewohnter Flüchtlingsunterkünfte. Die Brandstifter sind oft bisher nicht durch politischen Extremismus aufgefallen, die meisten nicht vorbestraft. Die Hasserfüllten Parolen von Pegida und AfD erklingen öfter, als die Fangesänge vor den Bildschirmen. Das Fahnenschwenken ist nicht mehr ganz so unschuldig, wie zu Zeiten des Sommermärchens.

Anlass zur Sorge? Ja und nein. Deutschland steht nach der Wende nicht zum ersten Mal vor einer großen Herausforderung. Ein paar verwirrte, Parolen schreiende Fahnenschwenker bringen die Demokratie nicht grundsätzlich in Gefahr. Noch nicht. Besorgnis erregend jedoch sind die Abgründe, die sich auftun unter Schwarz-Rot-Gold: Pegidisten, AfDler, Hogesa, Protestwähler und eine politische Mitte, die zunehmend mit extrem rechten Positionen sympathisiert. Das Gefühl der Krise spitzt sich zu.

Das Vertrauen der Gesellschaft in sich selbst, in pluralistische weltoffene Werte, ein friedliches Zusammenleben, in dem Konflikte demokratisch und gewaltfrei ausgetragen werden, scheint zu schwinden. Die Morddrohungen gegen Fahnenboykottierer sind ein Ausdruck der Widersprüchlichkeit, das Nationale als primäres Mittel des gesellschaftlichen Zusammenhaltes zu erheben. Denjenigen, die Schwarz-Rot-Gold jetzt gerade nicht als identitätsstiftend akzeptieren und ein kritisches Bewusstsein diesbezüglich schaffen wollen, wir mit Mord gedroht. Noch Besorgnis erregender ist der mangelnde Aufschrei gegen die ausufernde Gewalt gegen Geflüchtete und ihre Unterstützer – eine wehrhafte Demokratie, die Gewalt klar ablehnt und ihre Stärke durch Zuwendung hin zu Diversität und Pluralismus gewinnt, sieht anders aus.

Aber nun ist erst mal Zeit für Fußball, Viertelfinale. Vielleicht sogar mit Fahne.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andreas Mitzschke

Andreas Mitzschke ist Doktorand an der Universitaet Maastricht im Fachbereich Wissenschafts- und Technikstudien.

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