Hör mal Hin, was der Krieg angerichtet hat

Zweiter Weltkrieg Die Klanginstallation „Horchposten 1941 я слышу войну“ soll deutschen und russischen Besuchern den Krieg aus dem Blickwinkel des ehemaligen Feindes eröffnen

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Die deutsche Idylle ist vorbei, jetzt beginnt die deutsche Tragödie des Krieges. Gestern haben die Deutschen gegenüber von der Apotheke zwei Männer und eine junge Frau gehängt, wegen Plünderung“, sagt eine Frauenstimme aus Kopfhörern. Die Besucher der Klanginstallation „Horchposten 1941 я слышу войну“ im Staatlichen Museum für politische Geschichte Russlands in Sankt Petersburg sitzen auf Stühlen in einem Raum und hören intime Texte von Zeitzeugen des zweiten Weltkrieges.

Geschichte wird in Geschichten erzählt, um sich an die Schrecken des Ostfeldzuges des Zweiten Weltkrieges, insbesondere die Leningrader Blockade, zu erinnern. Doch die, die damals dabei waren, werden immer weniger. Was bleibt an Erinnerung, wenn uns niemand mehr davon erzählen kann? Wird der Krieg vergessen werden?

Nein, „Geschichte an sich etwas dynamisches, was auch auf unsere Gegenwart einwirkt, diese Gegenwart können wir nur gestalten indem wir uns darüber klar und bewusst sind, dass in der Art und Weise wie wir die Vergangenheit deuten und welche Bedeutung wir ihr geben, wir unsere Gegenwart auch verändern“, sagt Jochen Langner der zusammen mit Andreas Westphalen für das Konzept, die Textauswahl und Regie der Installation verantwortlich ist.

Die interaktive Installation ist eine intime und akustische Textlandschaft, in der man sich die Erinnerungen von Leuten anhört, die erzählen was sie erlitten, erlebt und getan haben. „So treten wir in einen Dialog, zwischen Texten und Hörern, einen Dialog mit den Menschen, die sich in dieser Textlandschaft bewegen und fördern einen Dialog zwischen zwei Völkern zu, die momentan in einer politischen Situation sind, wo reden und einander zuhören und verstehen wollen die elementaren Dinge sind, um unsere Gegenwart zu gestalten“, erklärt Langner.

Das Ziel ist es, den russischen und deutschen Besuchern nicht nur die Erfahrung der Kriegsgeneration zu präsentieren, sondern auch einen Perspektivwechsel zu ermöglichen, in dem sie auch den Blickwinkel des ehemaligen Feindes einnehmen können. Dadurch gibt die Installation die Gelegenheit zu einem dialogischen Erinnern, jenseits der typischen nationalen Blickwinkel.

Der Klangraum der interaktiven Installation ist in insgesamt fünf Zonen aufgeteilt: das sowjetische und das deutsche Hinterland, die Front beziehungsweise das jeweilig kontrollierte Gebiet beider Länder sowie im Zentrum die Blockade von Leningrad. Der Besucher kann sich frei durch den Raum bewegen und seinen persönlichen Parcours wählen. So kann er beispielsweise im deutschen Hinterland die Propaganda und die Ausarbeitung des „Generalplan Ost“ verfolgen, und im sowjetischen Hinterland den Horror der deutschen Belagerung der Stadt Leningrad aus der Perspektive der eingeschlossenen Menschen hören.

Der Dialog über das Projekt hat bereits 2014 begonnen. Zuerst wurde nach Tagebüchern und Briefen sowie Zeitdokumenten aus Wirtschaft, Presse und der politischen und militärischen Administrative beider Länder begonnen. Dann wurden ausgewählten Texte über einen Zeitraum von Schauspielern beider Nationen eingesprochen.

Neben der Klanginstallation wird „Horchposten 1941 я слышу войну“ auch von Deutschlandfunk, Radio Echo Moskau und dem Westdeutschen Rundfunk im Mai als Hörspiel ausgestrahlt. Diese Sender haben das Projekt koproduziert.

Selbstverständlich gibt es auch heute immer noch Kriege, die viel zu viele Menschenleben kosten: Es gibt noch Bürgerkriege mit und ohne Fremdintervention, Kriege reicher Länder gegen arme, und versteckte Kriege. Trotzdem: Wir leben in einer Zeit des relativen Friedens, auch wenn das Wort so umstritten ist wie die Definition von Krieg. Und während uns Arbeiten wie „Horchposten 1941 я слышу войну“ helfen, nie zu vergessen, was passiert ist, wird es ebenfalls Zeit, diese unsere Welt wertzuschätzen, schützend zu erhalten und noch besser zu machen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andreas Rossbach

Als freier Journalist schreibe ich aus Russland für russische und deutsche Medien über Politik, Kultur & andere Dinge, die mich interessieren.

Andreas Rossbach

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