Deutsche Blaupause

Internet in Russland Mit neuen Gesetzen sollen die Aktivitäten russischer Internetnutzer schärfer kontrolliert werden. Ein Angriff auf die Meinungsfreiheit – made in Germany

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Das russische Parlament behandelt derzeit einen neuen Gesetzesentwurf, um die Aktivitäten von Internetnutzern stärker zu kontrollieren, und orientiert sich dabei ausgerechnet an dem von Experten viel kritisierten deutschen Gesetz gegen Hassbotschaften im Internet, das Ende Juni dieses Jahres verabschiedetet wurde.

Am 12. Juli reichten Abgeordnete der kremltreuen Partei „Einiges Russland“ einen Gesetzentwurf ein, der Betreibern sozialer Netzwerke hohe Strafen androht, wenn sie rechtswidrige Inhalte nicht innerhalb von 24 Stunden löschen. In ihrer Begründung beziehen sich die Initiatoren ausdrücklich auf das Ende Juni vom deutschen Bundestag verabschiedete Netzwerkdurchsetzungsgesetz, aus dem sie zahlreiche Punkte kopiert haben.

Reporter ohne Grenzen (ROG) verweist darauf, dass man das Netzwerkdurchsetzungsgesetz gerade auch deswegen kritisiert habe, weil es repressiven Staaten als Vorbild dienen könne, um Zensur indirekt auszuüben und durchzusetzen: "Unsere schlimmsten Befürchtungen werden wahr: Das deutsche Gesetz gegen Hassbotschaften im Internet dient undemokratischen Staaten nun als Vorlage, um gesellschaftliche Debatten im Internet einzuschränken", so ROG-Geschäftsführer Christian Mihr.

"Auch in Russland sollen in Zukunft Mitarbeiter sozialer Netzwerke unter hohem Zeitdruck darüber entscheiden, welche Informationen gelöscht werden. In einem Land ohne unabhängige Gerichte, die den Schutz der Meinungsfreiheit durchsetzen könnten, ist das eine verheerende Entwicklung."

In dem Gesetzentwurf, der im Januar 2018 in Kraft treten soll, wird nicht nur auf das deutsche Gesetz als Vorbild verwiesen, sondern es wurden direkt auch einzelne Passagen übernommen. Die Betreiber sozialer Netzwerke müssen gewährleisten, dass Nutzer Inhalte melden können, die innerhalb von 24 Stunden gelöscht werden müssen, wenn sie "rechtswidrig" sind.

Überdies müssen die gesperrten Inhalte drei Monate lang gespeichert werden. ROG moniert, dass die Angabe der "rechtswidrigen" Inhalte sehr vage ausfällt. Wenn zu Krieg, ethnischem oder religiösem Hass oder Terror aufgerufen oder Informationen verbreitet werden, "für deren Weiterverbreitung man straf- oder zivilrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann", müssen die Inhalte gelöscht werden.

Bei Zuwiderhandlungen sind für verantwortliche Personen Bußgelder von bis zu fünf Millionen Rubel (73.550 Euro) vorgesehen, Unternehmen sollen mit bis zu 50 Millionen Rubel (735.500 Euro) belangt werden.

Angriffe auf die Meinungsfreiheit häufen sich

Russland schränkt die Internetfreiheit massiv ein, überwacht Online-Aktivitäten in einer Weise, die in die Privatsphäre eingreift, und verfolgt Kritiker unter dem Deckmantel des Kampfes gegen den Extremismus, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht.

Der Bericht „Online and On All Fronts: Russia’s Assault on Freedom of Expression“ dokumentiert, dass die russischen Behörden ihre Versuche intensiviert haben, das Internet unter größere staatliche Kontrolle zu bringen. Seit dem Jahr 2012 haben die russischen Behörden ungerechtfertigterweise Dutzende Personen strafrechtlich verfolgt, wegen Posts in den sozialen Medien, Youtube-Videos, Medienberichten und Interviews. Zudem blockierten sie mehrere Hundert Webseiten und Online-Portale.

Der Bericht beruht auf Interviews mit über 50 Anwälten, Journalisten, Menschenrechtsaktivisten, Experten, Bloggern und ihren Familienangehörigen. Darin werden russische Gesetze, Richtlinien, Anklageschriften, Gerichtsurteile und andere für einzelne Fälle relevante Dokumente mit Bezug auf Internet-Inhalte und die Meinungsfreiheit analysiert.

Es gibt Dutzende Fälle, bei denen die Betroffenen buchstäblich ins Gefängnis gesteckt wurden“, so Andrei Soldatov, ein Experte für Internetfreiheit in Russland. „Das wirkt sich natürlich darauf aus, auf welchem Niveau und wie frei in den sozialen Medien diskutiert wird.“

Aus Daten des SOVA-Centers, einem renommierten russischen Think Tank, geht hervor, dass im Jahr 2015 216 Nutzer sozialer Medien wegen extremistischer Vergehen verurteilt wurden, im Jahr 2010 waren es 30. Zwischen 2014 und 2016 ging es bei etwa 85 Prozent der Schuldsprüche wegen „extremistischer Rede“ um Meinungsäußerungen im Internet. Das Strafmaß reichte von Bußgeldern über Sozialstunden bis hin zu Gefängnisstrafen. Zwischen September 2015 und Februar 2017 mussten 54 Personen wegen „extremistischer“ Rede, auch im Internet, ins Gefängnis. Im Februar 2017 erhöhte sich die Zahl schlagartig auf 94.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andreas Rossbach

Als freier Journalist schreibe ich aus Russland für russische und deutsche Medien über Politik, Kultur & andere Dinge, die mich interessieren.

Andreas Rossbach

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