Der Adler ist gewandelt

Bühne Mirko Borscht assoziiert zu Elfriede Jelinks Text „Tod-krank.doc“ am Theater Bremen gewaltige Bilder
Ausgabe 49/2013

Ausgerechnet Mirko Borscht mit der Inszenierung eines Jelinek-Stücks zu beauftragen, ist mutig. Der Regisseur ist nicht bekannt für die Umsetzung literarischer Vorlagen, eher für äußerst bildgewaltige Arbeiten, in denen es grelles Licht und laute Musik zu erleben gab.

Dabei lädt der Assoziationsfluss von Elfriede Jelineks Text Tod-krank.doc dazu ein, von allen Seiten ausgeleuchtet zu werden, um seiner habhaft zu werden. Die Idee, Arien aus Barock-Opern hinzuzuziehen, leuchtet ein, erinnern doch die Düsterkeiten des Stücks – das, der Titel deutet es nicht nur an, wesentlich von den letzten Dingen handelt – an die Bilder eines Hieronymus Bosch und die schier endlos mäandernden Sätze an die Polyphonie barocker Musik.

Jelinek schrieb Tod-krank.doc einst für Christoph Schlingensiefs Opernprojekt Mea Culpa. Allerdings gelangten nur wenige Zeilen daraus in Schlingensiefs Arbeit, der seinerzeit mit der eigenen Krebserfahrung kämpfte: Ein Lungenflügel war ihm bereits entfernt worden. Der taucht hier gewissermaßen wieder auf, gleich am Anfang des Abends, für den Borscht das Stück ein wenig umgestellt hat. Schon bevor das Stück beginnt, hören wir Schlingensief sprechen, weinen. Dann taucht aus dem Nebel das Ensemble auf, in Lumpen gekleidet, hustend, röchelnd, spuckend.

Immer wieder ist vom „Blutkuchen“ die Rede, der sich bildete, wo einst die halbe Lunge war. Und wir sehen auch auf der Bühne reichlich Innereien, eine der Figuren hat etwas Glibberiges in der Hand, von dem ab und an genascht wird. Ein weiterer Teil erzählt von Joseph Fritzl, jenem Österreicher, der mit seiner Tochter mehrere Kinder zeugte und die Familie im Keller seines Hauses gefangen hielt. Mit grimmigem Witz erzählt Jelinek aus der Vater-Perspektive von dieser radikalen Pervertierung des Familienideals. Es ist keine schöne Welt, in die uns die Autorin blicken lässt – der letzte Teil von Tod-krank.doc führt dann geradewegs in die Hölle.

Ein toter Tintenfisch

Gelegenheit für Borscht und seinen Bühnenbildner Christian Beck, sich in starken Bildern auszutoben. Nebel, Blitze, Gabelstapler, Käfige, ein echter, wenngleich toter Tintenfisch – und natürlich Musik: mal unsagbar traurige Barock-Arien, von einem Countertenor vorgetragen, mal bolleriger Punk, mal apokalyptischer Metal, der eine längliche Gedärm-Prügelei begleitet – und zwischendurch immer wieder Schlager. Ein wenig zu sehr verliebt sich Borscht dabei in den Pomp – und vernachlässigt den Text.

Besonders ärgerlich ist das gleich im zweiten Teil Im Bus, wo Karin Enzler aus Bauarbeiterperspektive von einem Münchner Unglück berichtet, bei dem ein Bus durch die Straßendecke in eine im Bau befindliche U-Bahn brach. Nicht nur, dass sie ihren Monolog zu Techno-Beats sprechen muss – es liegt auch noch ein Effekt auf ihrer Stimme, der eher erahnen lässt, wie virtuos sie diesen Jelinek-Sound draufhat.

In der Hölle geht der Abend zu Ende, ein Mann im Tüllrock wird am Kreuz hochgezogen. Ein Adler fliegt ihm hinterher und – nein, pickt ihm nicht wie dem armen Prometheus die Leber aus, sondern schmiegt sich an ihn. Noch so ein Bild, das lange dasteht und eine Ebene eröffnet, deren Verbindung zu Jelineks Vorlage fraglich erscheint. Aber das geht einem beim Lesen mitunter auch so. Tröstlich lakonisch dazu die Worte Jelineks: „Darf ich Ihnen einen Rat geben? Es gibt keinen Rat. Aber danke, dass Sie gefragt haben!“

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