Gendering Country

Musik Neko Case stand schon immer quer zur Country-Nomenklatur. Auf ihrem neuen Album sprengt sie alle Konventionen, die nicht nur im verschnarchten Nashville gelten
Gendering Country

Foto: Anti/ Indigo

Country-Musik gilt in aufgeklärten Kreisen zumindest hierzulande als langweilig, konservativ, wenn nicht gleich als reaktionär. Woran sich auch mit der Rehabilitierung von Johnny Cash durch Rick Rubin in den neunziger Jahren wenig geändert hat. Im Mutterland jener Kunst sieht das schon anders aus. Mitte der neunziger Jahre begannen dort junge Menschen mit Punk-Sozialisation, Country neu zu entdecken.

Eine Schlüsselrolle spielte in diesem Zusammenhang, Stichwort: Alternative Country, das Chicagoer Label Bloodshot Records, auf dem auch Neko Case ihre ersten Solo-Alben veröffentlichte. Middle Cyclone brachte Case 2009 schließlich in die Top Ten der amerikanischen Album-Charts und in die Late-Night-Show von David Letterman. Alternative Country war im Mainstream angekommen. Zu welchem Neko Case in etwa so quer steht wie zur Country-Nomenklatura. Dass sie in der Grand Ole Opry, dem Walhalla der Country-Musik, vor 12 Jahren lebenslänglich Hausverbot bekam, weil sie bei einem Open-Air-Konzert der Opry ihr Hemd auszog und im BH weiterspielte, war zwar kein Akt der Rebellion, sondern eher des Selbstschutzes, weil sie nur einem Hitzschlag entgehen wollte, wie sie erzählt.

Allerdings fällt es ohnehin schwer, sich Case in den heiligen Hallen der Country-Musik vorzustellen. Zwar singt sie mit liebevollem Respekt Songs von Genre-Klassikern wie Loretta Lynn, Hank Williams und Ernest Tubb. Genauso gern bedient sie sich allerdings im Repertoire von Queen, Neil Young, Iron Maiden oder Nico, wie auf ihrem neuen Album The Worse Things Get, the Harder I Fight, the Harder I Fight, the More I Love You.

Selbst mit dem Etikett Alternative Country ist Neko Case heute allerdings nur noch schwerlich beizukommen: Das Country-Noir früherer Alben, auf denen sie unter anderem mit Calexico zusammenarbeitete, trat zugunsten einer breiten Klangpalette zwischen Folk, Rock und Power Pop zurück, auf der Country eher als Grundierung durchschimmert, nicht zuletzt in ihrem kraftvollen, glasklaren Gesang. Aber auch lyrisch sprengt sie Konventionen, die nicht nur im verschnarchten Nashville gelten: Das verfemte F***-Wort fällt gleich mehrfach auf ihrem neuen Album, in „Man“ erteilt sie klassischen Geschlechterzuschreibungen eine furiose Absage: „I'm a man, that's what you raised me to be/ I'm not your identity crisis/This was planned“. In „Bracing For Sunday“ lässt sie das lyrische Ich einen Mann umbringen, weil der seine Schwester schwängerte. Und „I’m From Nowhere“ schlägt wehleidigen Jüngelchens in Bands vor, das Feld doch einfach ihr zu überlassen.

Dabei ist Case keineswegs übermütig geworden, im Gegenteil: Als sie innerhalb weniger Jahre Großmutter und Eltern verloren hatte, versank sie in einer tiefen Depression, nachdem sie mit dem Album Middle Cyclone ihren bislang größten Erfolg gefeiert hatte. Mit dieser Depression in ihren neuen Songs, aber auch in Interviews ganz offensiv umzugehen, passt allerdings auf seine Weise auch zu dieser bemerkenswerten Musikerin.

The Worse Things Get, the Harder I Fight, the Harder I Fight, the More I Love You Neko Case (Anti/ Indigo)

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