Diese Post hatte Oberkreisdirektor Werner Jahn erwartet. Bis zum 13. Dezember konnte Jürgen Rieger gegen die untersagte Nutzung des "Heisenhof" Einspruch einlegen, der nun auch fristgerecht erfolgte. Zehn Tage zuvor hatte der Landkreis Verden dem Hamburger Neonazi-Anwalt mitgeteilt, dass auf dem ehemaligen Bundeswehrgelände nahe der niedersächsischen Gemeinde weder Personen wohnen noch Fahrzeuge abgestellt oder gar Bildungsmaßnahmen veranstaltet werden dürfen. "Für Jürgen Rieger ist kein Platz im Landkreis", bekräftigte Jahn. Rieger will wie einst im niedersächsischen "Hetendorf 13" nun im "Heisenhof" ein Neonazi-Zentrum betreiben. Über zehn Jahre hatten auf dem Anwesen in Hetendorf Schulungen und Wehrsportübungen stattfinden können. 1998 verbot das Landesinnenministerium die Trägervereine und enteignete das Grundstück. Die ungeklärte Rechtslage der zivilen Nutzung des früheren Bundeswehr-Areals bei Dörverden verunsichert den Neonazi-Anwalt indes wenig.
Kaum hatte Rieger im Juli dieses Jahres als Bevollmächtigter der "Wilhelm-Tietjen-Stiftung für Fertilisation Limited" das Anwesen für 255.000 Euro erworben, kehrte auf dem verwaisten Gelände mit vier Backstein- und Fachwerkgebäuden, Bunkeranlagen und Schießstand wieder Leben ein. "Jeden Abend sind alle Gebäude beleuchtet", berichteten Anwohner. Sie sahen auch wie der 57-jährige Rieger zusammen mit jungen Kameraden am 15. September auf einem Tieflader mehrere Wehrmachts- und Militärfahrzeuge zu dem 26.000 Quadratmeter großen parkähnlichen Anwesen transportierte. Mehrere Anzeichen deuten auf eine feste Niederlassung hin. Regelmäßig patrouillieren junge Männer in Tarnanzügen mit Funkgeräten und Hunden über das Gelände. "Die kommen sofort an die Pforte, sobald man sich der Einfahrt nähert", erzählen Anwohner. Vier Personen sind auf dem Heisenhof gemeldet, bestätigt der Verdener Verwaltungsdirektor. "Nur zum Schutz vor Übergriffen", erklärt Rieger. Per Post erhielten sie dennoch vom Landkreis die Aufforderung wegen fehlender Genehmigung auszuziehen.
Schon Ende September hatte die Baubehörde das Anwesen mit einer 3.325 Quadtratmeter Wohn- und Tagungsfläche besichtigt. Einige Kommunalpolitiker und manche Anwohner verärgerte, dass "gegenüber Rieger und seinen Gesinnungsgenossen so lange gezögert" wurde. An die 1.000 Menschen aus dem kleinen Ort und den anliegenden Ortschaften protestierten am 14. November gegen das Neonazi-Zentrum. "Das dürfte den politischen Druck erhöhen", betonte Michael Müller vom Veranstaltungskreis des "1. Sonntagsspaziergang gegen Rechtsextremismus". So versprach auch Bürgermeister Rainer Herbst, "mit allen rechtsstaatlichen Mitteln dem Treiben ein Ende zu setzen". "Hoffentlich", meint eine ältere Dame und ein junger Vater mit Kind auf dem Arm findet es unglaublich, wie lange das daure. Für die Kritik äußert Jahn Verständnis. Die zeitaufwändige Überprüfung wäre aber der Aktenlage geschuldet. Denn der Verwaltung lagen bislang keine Bauunterlagen vor, da alleine die Bundeswehr jede frühere Maßnahme verantwortete.
Der Widerstand der Gemeinde ließ auch schon die erste Schulung des Neonazi-Zentrums etwas ungemütlich werden. Als am 20. November der vorbestrafte Rechtsextremist und Antisemit Peter Naumann als Referent anreiste, mussten sich die Seminarteilnehmer warm anziehen. Die örtlichen Heizöllieferanten hatten sich geweigert, die "Heisenhofer" zu beliefern. Eiligst schleppten diese elektrische Heizungen in das alte Bundeswehrkasino. Bis weit in den Abend lauschten die jungen Kameraden trotzdem dem Referenten der NPD und seinen Themen "Ausgeruht den Feind erwarten" und "Überwachen, Beschatten und Abhören - Methoden der Observation". Naumann weiß, wovon er spricht. Das Oberwaltungsgericht Frankfurt hatte den heute über 50-Jährigen 1988 wegen Gründung einer terroristischen Vereinigung und mehreren Sprengstoffanschlägen zu vier Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt.
Mittlerweile räumt der niedersächsische Verfassungsschutz ein, dass auf dem Anwesen ein "Strategiezentrum, im Zusammenspiel zwischen NPD und freien Kameradschaften" entstehen könnte. "Wir wissen, dass Rieger in Hamburg vor der NPD aufgetreten ist", sagt ein Sprecher des Verfassungsschutzes, und diese "Rede ist auch von den freien Kameradschaften sehr positiv aufgegriffen worden".
Die Immobilie hat Rieger, der Vorsitzender der "Artgemeinschaft - Germanische Glaubensgemeinschaft" ist, zum wiederholten Mal dank einer Erbschaft erwerben können. Seit zwei Jahren besteht eine Stiftung mit dem Namen des 2002 verstorbenen Bremer Wilhelm Tietjen. Die Briefkastenfirma mit Sitz in London soll sich offiziell der Fruchtbarkeitsforschung widmen. Das frühere NSDAP-Mitglied Tietjen hat nach Recherchen der Radio Bremen-Sendung buten un binnen Rieger eine Million Euro vererbt. Schon 1995 soll Tietjen Rieger bei dem Kauf des Gut Sveneby in Schweden mit Geld geholfen haben. Mit "jungen deutschen Familien" wollte Rieger damals unbeeinflusst von "Umerziehung" und "Überfremdung" biologisch-dynamischen Landbau betreiben. Die 18 Familien fanden sich nicht. Für die Anbauweise kassierte der Rechtsanwalt allerdings Subventionen der Europäischen Union. Die Stiftung erwarb im April dieses Jahres noch im thüringischen Pößneck eine Immobilie für 360.000 Euro.
In der Region um den Heisenhof erhöhen derweil die Neonazis immer mehr ihre politischen Aktivitäten. Regelmäßig verteilen sie vor den regionalen Schulen die Parteizeitung der Jungen Nationaldemokraten Der Rebell. Während einer Veranstaltung im Bremer DGB-Haus zu den Umtrieben auf dem Anwesen beschossen Unbekannte die Hausrückseite mit Farbpatronen und einem Projektil oder Stahlkugel.
Der Widerspruch Riegers gegen das Nutzungsverbot wird jetzt überprüft. Ein langer Rechtsstreit ist zu erwarten, doch Oberkreisdirektor Jahn sieht dem gelassen entgegen. Schon vor einiger Zeit drohte Rieger der Gemeinde mit Schadensersatzforderungen "ohne Ende", wenn sie seinen Tatendrang behindern würden.
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