Die »Alteuropäer« als Global Player

Souveränität auf Abruf Wird die Europäische Verfassung zum Türöffner für eine Militärunion von Frankreich, Deutschland, Luxemburg und Belgien?

Als Belgiens Premier Verhofstadt am Rande des EU-Gipfels Ende März bekannt gab, dass er die Regierungschefs aus Frankreich, Deutschland und Luxemburg für den 29. April 2003 zu einem Treffen einladen werde, um mit ihnen über einen Schub für eine resolutere Außen- und Verteidigungspolitik innerhalb der EU zu sprechen, kam dies einer kleinen Sensation gleich - wollten sich die »alten Europäer« nun tatsächlich von den »notorischen Atlantikern« abkoppeln?

Das Treffen am 29. April wird nahezu zeitgleich mit der Beratung des Europäischen Konvents zur Außen- und Sicherheitspolitik stattfinden. Pikanterweise hat die Arbeitsgruppe »Verteidigung« dort bereits auf den Tisch gelegt, was der Vierer-Gipfel am 29. April aufgreifen dürfte. Der Schlussbericht dieser Arbeitsgruppe - er liegt seit Dezember 2002 vor - ließ die FAZ schwärmen, dass »von der Öffentlichkeit kaum beachtet, überraschende Fortschritte erzielt werden konnten«. Soviel dürfte feststehen: Nimmt nur ein Teil davon Gestalt an, legt die EU ihren heute noch weitgehend zivilen Charakter ab und avanciert auch militärisch zu einem Global Player.

So ist vorgesehen, dass der Hohe Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) - derzeit der Spanier Xavier Solana - künftig ein »Initiativrecht für den Bereich der Krisenbewältigung« erhält und für die »Durchführung der Krisenbewältigungsoperationen« verantwortlich ist. Da ihm in diesem Fall der Befehlshaber möglicher militärischer Operationen unterstellt wäre, würde er mithin zum obersten Befehlsgeber, der »in dringenden Fällen« sogar »die notwendigen Entscheidungen unter Aufsicht des Rates« allein treffen kann.

Allerdings sind die für die Verteidigung bereit gestellten Haushaltsmittel traditionell Sache der Mitgliedsländer, woran auch der Konvent kaum etwas ändern wird. Ohne eigene Mittel jedoch könnte der Hohe Beauftragte schnell als König ohne Land verhungern. Um so alarmierender ist daher folgende Formulierung in besagtem Report: »Es wird daher erwogen, einen relativ bescheidenen, aus den Beiträgen der Mitgliedstaaten gespeisten Fonds einzurichten, der die Finanzierung der Vorbereitungsphasen einer solchen Operation unter Vermeidung jeglicher Überschneidung mit den bestehenden Instrumenten ermöglichen würde.« Die Geschichte der europäischen Haushaltspolitik zeigt, dass schon so mancher ansehnliche Etat aus solch bescheidenen Ansätzen entstand.

Da Verteidigungspolitik zunächst einmal allein in die Souveränität der Mitgliedsstaaten fällt, müssen die Entscheidungen darüber im Europäischen Rat einstimmig getroffen werden. Doch auch hier ist man im Bericht an den Konvent ausgesprochen findig. Unter Bezug auf das Prinzip der »konstruktiven Enthaltung« wird verlangt, dass »Mitgliedsstaaten, die sich nicht aktiv an einer Operation beteiligen wollten, und die insbesondere keinen militärischen Beitrag leisten wollten, aufgefordert würden, sich nicht gegen diese Operation zu stellen, sondern sich der Stimme zu enthalten.« Dies wird dann als »Kultur der Solidarität« bezeichnet. Großbritannien und Spanien könnten so außen vor bleiben, die Nicht-NATO-Staaten Schweden, Finnland, Irland und Österreich ebenfalls.

Sollte über eine solch »konstruktive Enthaltung« dennoch kein Konsens erzielt werden, könnte die militärische Kooperation nur einer Kerngruppe dazu bereiter Staaten vorbehalten bleiben. Nach den EU-Verträgen ist das bereits jetzt möglich, der neue Verfassungsvertrag könnte den Spielraum dafür deutlich erweitern.

Und was ist eine militärische Integration ohne Rüstungskooperation? Der Bericht favorisiert hier die Einrichtung einer »Europäischen Agentur für Rüstung und strategische Forschung«. Die selbstredend ins Auge gefasste Auflage für die EU-Mitglieder, ihr Militärbudget zu strecken, soll von dieser Agentur überwacht werden. Gefordert wird ein »Mechanismus, mit dem sich die Art und Weise, in der die Mitgliedsstaaten ihre Zusagen einhalten, bewerten und verbessern lässt.« Und: »Der Leiter der Agentur könnte somit ermächtigt werden, die Fortschritte, die von den Mitgliedsstaaten beim Aufbau der Fähigkeiten hinsichtlich der verschiedenen vereinbarten Ziele erreicht werden, zu überwachen und bestimmten Ländern die Teilnahme an spezifischen Programmen vorzuschlagen.« Ein Mechanismus, vergleichbar mit der Überwachung der Haushaltsdisziplin in Sachen Stabilitätspakt, nur mit umgekehrten Vorzeichen. So ließe sich verifizieren, ob die Absicht, die Ausgaben zu steigern, auch eingehalten wird. Siemens, Kraus-Maffei, Dasa und viele andere europäische Rüstungsfirmen werden sich bedanken.

Bisher handelt es sich beim Bericht der Gruppe »Verteidigung« nur um Vorschläge. Was davon tatsächlich in den Verfassungsvertrag kommt, ist noch unklar. Da die Empfehlungen aber von der deutschen wie der französischen Regierung aktiv unterstützt werden, hat sich hier das »alte Europa« einen Fahrplan zurechtgelegt, der einer Militarisierung des Kontinents und massiver Aufrüstung den Weg weist.

Der Autor ist Mitarbeiter der Konföderalen Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke im Europäischen Parlament

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