Selten seit Ende des Kalten Krieges vor über 20 Jahren hat es so harsche Vorwürfe zwischen West und Ost gegeben wie nach dem Veto Russlands und Chinas gegen die Syrien-Resolution im UNO-Sicherheitsrat. „Russland und China, insbesondere aber Russland, haben klar entschieden, dass sie das Regime in Damaskus stützen, was immer es auch tut, obwohl Syriens Präsident Bas char al-Assad mordet wie 30 Jahre zuvor sein Vater“, empörte sich Frankreichs UNO-Botschafter Gérard Araud. Moskau und Peking hätten „nun das Blut des syrischen Volkes an ihren Händen“. US-Botschafterin Susan Rice und ihr deutscher Amtskollege Peter Wittig verurteilten die Haltung Russlands und Chinas als „beschämend“ und „skandalös“. Im Gegenzug warf Russlands Botschafter Vitali Tschurkin den europäisch-arabischen Initiatoren der Syrien-Resolution „mangelnde Flexibilität“ vor.
Die Wortwahl fiel so undiplomatisch aus, weil vor der Abstimmung am vorigen Samstag fast alle Forderungen aus Moskau und Peking erfüllt worden waren. Aus dem ursprünglich von Marokko eingebrachten Entwurf wurde die Verhängung eines Waffenembargos gegen Damaskus gestrichen, auch von Wirtschaftssanktionen war keine Rede mehr. Und im Text wurde auch auf die explizite Forderung nach dem Rückzug von Präsident Assad zugunsten seines Stellvertreters und nach freien Wahlen verzichtet. Auf Verlangen Russlands wurde außerdem ein Satz in den Entwurf aufgenommen, mit dem eine ausländische Militärintervention in Syrien ausdrücklich ausgeschlossen wird.
Nicht durchsetzen konnten sich Moskau und Peking nur bei zwei Punkten. Sie versuchten erfolglos, dass auch die syrische Opposition für die Eskalation verantwortlich gemacht wird. Außerdem konnten sie nicht erreichen, dass die Aufforderung an die syrischen Sicherheitskräfte zum Rückzug aus den Städten aus dem Text gestrichen wird. Mit dieser „Unausgewogenheit“ der Resolution begründeten Russland und China schließlich ihr Veto, auch wenn sie dabei – anders noch als bei der Abstimmung im vorigen Oktober – völlig isoliert waren. Alle anderen 13 Ratsmitglieder stimmten der Resolution zu – auch Indien, Pakistan, Brasilien und Südafrika.
Wenn man mit Diplomaten beider Länder spricht, begründen sie die unnachgiebige Haltung Russlands und Chinas mit der Erfahrung mit der Libyen-Resolution. Im März vergangenen Jahres hatten Moskau und Peking sich trotz schwerer Bedenken bei der Abstimmung enthalten und so die Verabschiedung der Resolution erst möglich gemacht. Die Diplomaten monieren, die NATO habe dann „unter Missbrauch dieser Resolution“ einen Krieg gegen Libyen bis zum Sturz Gaddafis geführt. Dass der UNO-Sicherheitsrat keinen Einfluss mehr auf das weitere Geschehen gehabt habe, solle im Fall Syrien „nicht noch einmal geschehen“. Über diese Bedenken hinaus kommen bei Russland noch nationale Eigeninteressen zum Tragen: Damaskus ist Moskaus letzter Verbündeter im Nahen Osten. Russland ist Syriens wichtigster Waffenlieferant und möchte seine Marinebasis an der syrischen Westküste ausbauen.
Planspiele in Washington
Darüber hinaus hat sich bei den Militärs und sicherheitspolitischen Eliten in Moskau wie in Peking der Eindruck verstärkt, der Westen wolle mit einem Sturz des Assads-Regimes das Bündnis Damaskus-Teheran schwächen, um einen eventuellen Militärschlag gegen Iran zu erleichtern. Dazu hatten die intensiven Lobbybemühungen der Golfstaaten beigetragen. Saudi-Arabien, Kuweit und die Emirate am Persischen Golf unter Führung Katars warben sowohl im UNO-Sicherheitsrat wie zuvor bereits innerhalb der Arabischen Liga engagiert für die Syrien-Resolution. Diplomaten dieser mehrheitlich sunnitisch regierten Staaten machen allerdings wenig Hehl daraus, dass es ihnen nicht um Demokratie und Menschenrechte in Syrien geht, sondern um die Schwächung ihres schiitischen Hauptfeindes Iran. Ziel ist die Zerstörung der von Teheran angeführten „schiitischen Achse des Bösen“ mit Syrien, der Hisbollah und der Hamas. Der Sturz Assads – so das Kalkül – wäre nicht nur das Ende dieser Achse, auch die schiitische Minderheitsregierung von Nuri al-Maliki hätte dann im Irak keine Überlebenschance mehr. Dieses Szenario ähnelt sehr den Konzepten, die „Achse des Bösen“ durch eine „Achse der Guten“ zu bekämpfen, die aus den „gemäßigten“ sunnitischen Staaten der Region zusammengesetzt ist: Saudi-Arabien, Ägypten, Jordanien, die Golfemirate, außerdem Israel und die USA. Solche Planspiele werden in Washington bereits seit Ende der neunziger Jahre diskutiert. Selbst ehemalige Mitglieder der Clinton-Administration wie etwa der Ex-Botschafter in Israel, Martin Indyk, propagieren ganz offen derartige Rezepte. In Moskau und Peking wird diese Debatte aufmerksam registriert. Die jüngste Eskalation zwischen Teheran und dem Westen im Streit um das iranische Atomprogramm und die zunehmenden Diskussionen über Militärschläge gegen den Iran verstärken in Russland und China den Verdacht, auch dem Westen ginge es mit der Syrien-Resolution in erster Linie um machtstrategische Ziele.
Streit um den Raketenschild
Schrille Töne zwischen Russland und dem Westen waren auch auf der Sicherheitskonferenz in München zu hören. Sie könnten durchaus die Vorboten einer neuen Eiszeit sein. Zumal es noch andere hartnäckige Konfliktpunkte zwischen Moskau und der NATO gibt. Beim Thema Raketenabwehr bringt der Dialog seit Jahren keine Fortschritte, weil die NATO die völlig berechtigte Forderung Moskaus nach einem gemeinsamen integrierten Kommando stur ablehnt. Dabei könnte die NATO mit einem gemeinsamen Kommando ihre Behauptung unter Beweis stellen, dass der geplante Schild aus Radarstationen und Raketenrampen einzig zur Entdeckung und zum Abschuss von Raketen aus dem Nahen und Mittleren Osten vorgesehen ist und keine Abwehr- oder Spionagefunktion Richtung Russland erfüllen soll.
Dass dies doch beabsichtigt ist, diesen Verdacht nährten unmittelbar vor der Münchner Sicherheitskonferenz Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière und Außenminister Guido Westerwelle. Laut de Maizière sollen für das geplante Abwehrsystem Patriot-Raketen der Bundesluftwaffe zur Verfügung gestellt werden. Doch die Patriots wären wegen ihrer sehr begrenzten Reichweite und Flughöhe sowie anderer technischer Spezifikationen höchstens tauglich, um russische Kurz- und ballistische Mittelstreckenraketen mit Reichweiten von unter 1.000 Kilometern abzuwehren, nicht aber um iranische Langstreckenraketen abzuschießen. Westerwelle wollte mit der frohen Botschaft Eindruck machen, nach Stationierung des Raketenabwehrsystems könnten die letzten US-amerikanischen Atomwaffen aus Deutschland abgezogen werden. Stellt sich nur die Frage: Wieso macht der angeblich einzig zum Schutz vor einer Bedrohung aus dem Nahen Osten vorgesehene Raketenschild Atomwaffen überflüssig, die laut offizieller Begründung einzig für den Konfliktfall mit Russland nach wie vor in Deutschland stationiert sind?
(Foto: Don Emmert/ AFP/ Getty Images)
Andreas Zumach ist internationaler Korrespondent bei der UNO in Genf
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