Aufwertung und Verdrängung in der Berliner Innenstadt

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Gentrification? Wieder so ein Anglizismus, der es bis in die Überschriften der großen überregionalen Zeitungen geschafft hat. Vor ein paar Jahren galt der Begriff noch als akademische Fachvokabel für die aufwertungsbedingte Verdrängung ärmerer Bevölkerungsgruppen aus städtischen Nachbarschaften – heute ist er aus den Flugblättern und Plakaten von Stadtteilinitiativen ebenso wenig wegzudenken wie aus den wohnungspolitischen Debatten in den Parlamenten. Das Geheimnis dieser Blitzkarriere ist schnell erklärt: Die damit beschriebenen Prozesse der Verdrängung haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen und betreffen zunehmend auch die Mittelschichtshaushalte in den Städten.

Dabei ist das Phänomen selbst gar nicht so neu. Schon immer mussten die Ärmsten aus den Wohnungen ziehen, wenn Hauseigentümer mit Besserverdienenden oder anderen Nutzungen mehr Geld verdienen konnten. So lange sich dies auf gesellschaftliche Minderheiten von Arbeitslosen und Ausgegrenzten beschränkte, gab es kein größeres Interesse sich mit dem Thema zu beschäftigen. Seit auch Akademiker/innen und Lehrerehepaare um ihre Wohnungen in angesagten Vierteln bangen müssen, haben die Politik und die Medien das Thema aufgegriffen. Im SPIEGEL, in der WELT und in der Süddeutschen Zeitung sind in den letzten Monaten regelmäßig Artikel erschienen, die über steigende Mieten, Neubauvorhaben und die Schwierigkeit eine bezahlbare Wohnung zu finden, berichten.
Trotz dieser breiten medialen Rezeption ist der Gentrification-Begriff nach wie vor ein Reizwort und wird von einigen als ‚Kampfbegriff’ bezeichnet. Kein Wunder, werden doch mit den Gentrification-Modellen vor allem die dunklen Seiten der Stadtplanung benannt. Statt um ‚neue Urbanität’, die ‚Rettung der historisch wertvollen Altbausubstanz‚ und die ‚neuen Plätzen für Kreativität’ geht es in der Gentrification-Forschung um die Verdrängung ärmere Bevölkerungsgruppen und die Zerstörung bestehender Nachbarschaftsstrukturen. Stadtplaner/innen, Politiker/innen und auch die meisten Eigentümer/innen wollen genau dafür aber nicht zur Verantwortung gezogen werden und versuchen regelmäßig einen Verdrängungsbefund zu leugnen oder abzuschwächen.

„Nicht jeder Auszug sei Verdrängung“ heisst es dann oft und beliebt sind auch Verweise auf andere Städte: „Im Vergleich zu Frankfurt oder München haben wir doch in Berlin einen ziemlich entspannten Wohnungsmarkt“ oder „im Vergleich zu London und New York ist die Gentrification hier doch harmlos“. Selbst innerhalb Berlins gibt es diese Relativierungsargumente, etwa, wenn im Bezug auf die Aufwertungstendenzen in Kreuzberg oder Nord-Neukölln auf den Kollwitzplatz oder die Spandauer Vorstadt (Gegend um den Hackeschen Markt) verwiesen wird, wo es „eine echte Gentrification gibt“. Stimmt alles – doch nützt es den Betroffenen, die ihre Miete nicht mehr zahlen können relativ wenig, dass es woanders noch schlimmer sein soll…

Verdrängung hat viele Gesichter

Gerade das Argument, irgendetwas sei noch gar keine ‚echte Gentrification’ basiert auf einer sehr starren Vorstellung von städtischen Aufwertungs- und Verdrängungsprozessen. Dabei liegt es auf der Hand, dass Stadtentwicklungsmodelle sich zwischen verschiedenen Städten und auch Stadtteilen unterscheiden und eben nicht überall identiche Formen annehmen.
Um Aufwertungsdynamiken und ihre Wirkungsweisen zu verstehen und sinnvolle Instrumente des Gegensteuerns zu finden, sollten verschiedene Auslöser und Motoren der Verdrängung voneinander unterschiedenen werden:

Klassische Gentrification: Als typisches Muster von Gentrificationprozessen wird oft eine symbolische Aufwertung durch sogenannte Pioniernutzungen angenommen. In bisher vernachlässigte Viertel mit großen Leerständen ziehen dabei Künstler/innen und Alternativszenen ein, eröffnen Galerien, Kneipen und Clubs und tragen mit ihrer Anwesenheit und ihren Einrichtungen zu einem Imagewandel des Viertels bei. Aus einer wohnungswirtschaftlichen Perspektiven wird ein bisher unscheinbares oder sogar schlecht beleumundetes Viertel so zu einer ‚besonderen Lage’, die Extrakosten bei der Vermietung rechtfertigt. Die Spandauer Vorstadt mit ihren vielen improvisierten Galerien in der Auguststraße und Szenekneipen in der Oranienburger Straße kann als typisches Berliner Beispiel für eine solche ‚klassische Gentrification’ angesehen werden. Die meisten Galerien und Ausstellungsorte dort sind mittlerweile kommerziell erfolgreich oder haben die Gegend verlassen. Von den ehemaligen Bewohner/innen leben nur noch etwa 20 Prozent im Gebiet und mit der drohenden Räumung des Tacheles werden nun auch die letzten Spuren des subkulturellen Aufbruchs von Anfang der 1990er Jahre verschwinden. Ein ähnlicher Imagewandel kann zur Zeit in Nord-Neukölln rund um den Reuterplatz beobachtet werden. Noch vor ein paar Jahren galt die Gegend vielen als gefährliches Ghetto um die Rütli-Schule – mittlerweile wurden mit öffentlicher Unterstützung über eine Zwischennutzungsagentur viele Veranstaltungsräume, Designerwerkstätten und In-Kneipen dort eröffnet. Eigentümer, die in Wohnungsannoncen noch vor wenigen Jahren die Neuköllner Lage mit einem „Kreuzbergnähe“ zu verschleiern suchten, werben inzwischen offensiv mit ihren Wohnungen „in Kreuzkölln!“ oder „am Reuterplatz!“. Steigende Neuvermietungsmieten und erste Sanierungsarbeiten sind ein Effekt dieses Imagewandels.

Politisch initiierte Gentrification: Doch längst nicht alle Aufwertungen werden durch den Zuzug von Pionieren ausgelöst und Beispiele wie der Prenzlauer Berg zeigen, dass es nicht die Künstler/innen sind, die für Gentrification und Verdrängung verantwortlich gemacht werden können. Vielmehr waren es dort die zunächst großzügig mit öffentlichen Geldern geförderten Sanierungsgebiete die eine umfassende Modernisierungswelle auslösten. Etwa 1 Mrd. Euro flossen durch Förderprogramme und Steuerabschreibungen in die Altbaugebiete von Prenzlauer Berg, doch nur in den knapp 30 Prozent der Häuser konnten über Förderprogramme auch die Mietentwicklung eingedämmt werden. Vor allem in den seit dem Jahr 2000 sanierten Häusern wurde ein Großteil der Wohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt. Die hohen Wohnkosten sind für ärmere Haushalte kaum noch zu finanzieren und Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften finden faktisch keine modernisierte Wohnung mehr in den Quartieren. Die Mieten und Einkommen in den Altbaugebieten Prenzlauer Bergs gehören mittlerweile zu den höchsten der Stadt. Angeschoben durch ein öffentliches Sanierungsprogramm hat sich Prenzlauer Berg in den letzten 20 Jahren von einer der ärmsten zu einer der wohlhabendsten Wohngegenden Berlins gewandelt.

Umzugsketten-Gentrification: Oftmals wird der durch die Gentrification ausgelöste Wandel in den jeweiligen Aufwertungsgebieten untersucht und diskutiert. Doch gerade Aufwertungs- und Modernisierungsprozesse lösen massive Umzüge aus und können auch anderenorts zu erheblichen Effekten führen. Zum einen kann die Verdrängung von ärmeren Haushalten die Konzentration von benachteiligten Bewohner/innen in anderen Stadtteilen verstärken. Zum anderen gehören viele derer, denen die Miete in luxusmodernisierten Häusern zu teuer geworden ist, in anderen Wohngegenden zu den Besserverdienenden. Verdrängung setzt vielfach gar nicht die vollständige Umwandlung in Eigentumswohnungen und umfangreiche Modernisierungen voraus. Gerade in Vierteln mit vielen Geringverdiener-Haushalten sind es oft schon kleine Mietsprünge, die nicht mehr getragen werden können und zum Auszug führen. In diesem Zusammenhang spielen die Umzugsketten der Aufwertung eine wichtige Rolle. So werden beispielsweise aus Friedrichshain verdrängte Wohngemeinschaften in Neukölln zu Aufwertungsakteuren, die wesentlich höhere Mieten als viele Bestandsbewohner/innen zahlen können. Auch die Umzüge von vielen Familien aus den Sanierungsgebieten in Prenzlauer Berg haben in Pankow und Weißensee eine vergleichbare Wirkung.

Neubau-Gentrification: Als eine vierte Form der Gentrification können Neubauprojekte im Luxuswohnbereich benannt werden. Oft wird argumentierte, eine Neubau können doch niemanden verdrängen, doch werden dabei die Nachbarschaftseffekte in Form von steigenden Bodenpreisen in den umliegenden Wohnquartieren vernachlässigt. Etablieren sich solche Luxuswohn-Enklaven wie die ‚Prenzlauer Gärten’ oder der ‚Marthashof’ in Prenzlauer Berg, dann wird ein Quartier nicht nur in eine ‚bessere’ Wohnlage verwandelt sondern es wachsen auch die unmittelbaren Begehrlichkeiten benachbarter Hauseigentümer/innen und Investor/innen. Werden überdurchschnittliche Kaufpreise von über 3.000 Euro/qm realisiert, fragen sich auch andere Eigentümer, ob sie ihre Wohnungen bisher nicht unter Wert vermieten. Für Berlin ist der Trend der Luxusneubauten noch so jung, dass keine empirischen Erkenntnisse vorliegen. Die Mobilisierungen gegen das Investorenprojekt MediaSpree und auch die Konflikte um die Baugruppen-Häuser in Alt Treptow zeigen jedoch, dass solche Aufwertungseffekte auch in Berlin befürchtet werden.

Berliner Aufwertungszirkel

Die Berliner Entwicklung der Gentrification lässt sich für die letzten 20 Jahre als Kreislauf beschreiben. Insbesondere für die Pionierphasen der Gentrification kann eine regelrechte Wanderung durch die Stadt nachgezeichnet werden, die in Intervallen von etwa fünf Jahren ins nächste Viertel (von Kreuzberg nach Mitte nach Prenzlauer Berg nach Friedrichshain und wieder nach Kreuzberg und sogar Neukölln) weiterzieht. Diese Aufwertungskarawane hat einen wohnungswirtschaftlichen Hintergrund. Zum einen verändern sich durch die beginnenden Modernisierungsaktivitäten in Aufwertungsgebieten die Mietpreise auch für die Gewerbenutzungen, so das insbesondere subkulturelle und improvisierte Nutzungen, die auf preiswerte Räume angewiesen sind, in andere Gebiete ausweichen. Zum anderen ist mit der Etablierung solcher kultureller und subkultureller Nutzungen ein Imagewandel der Wohngebiete verbunden, die in der medialen und öffentlichen Wahrnehmung in „Künstlerviertel“, „Galerienquartiere“ oder „Szenebezirke“ verwandelt werden. Wenn die verschiedenen Formen der Gentrification berücksichtigt werden, wird schnell deutlich, dass große Teile der Berliner Innenstadt davon betroffen sind. Mit dieser räumlichen Ausweitung hat sich die Gentrification zum neuen städtischen Mainstream entwickelt. Sie hat damit den Charakter des Exklusiven und Besonderen eingebüßt und nimmt vielerorts einen scheinbar unspektakulären Verlauf. Das Grundproblem der steigenden Mieten und der Verdrängung ärmerer Bewohner/innen jedoch bleibt bestehen. Was dagegen hilft, wäre ein Kehrtwende der Stadtpolitik und eine gründliche Regulation des Wohnungsmarktes. Ob dies in Berlin gelingt, wird nicht zuletzt von der Stärke der sozialen Bewegungen und ihrer Mobilisierungen abhängen.

(veröffentlicht in strassenfeger, Ausgabe 16/September 2010), gentrificationblog

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andrej Holm

Ostberliner | Sozialwissenschaftler | aktiv in verschiedenen Stadtteil- und Mieterinitiativen

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