Berlin: Gentrification im Sozialen Wohnungsbau?

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In den letzten Monaten sorgten Mietsteigerungen, Proteste und sogar ein Todesfall im Zusammenhang mit auslaufenden Förderprogrammen im Sozialen Wohnungsbau in Berlin für Schlagzeilen. Mieterinitiativen wie das ‘Bündnis Steigende Mieten Stoppen‘ befürchten sogar eine „Turbo-Gentrification“(pdf) in ehemaligen Sozialwohnungen und das MieterEcho widmet dem Thema eine Schwerpunktausgabe: „MieterEcho 339: Extreme Mieterhöhungen im sozialen Wohnungsbau“ (pdf). Beispiele für diese Mietsteigerungen in ehemaligen Sozialwohnungen gibt es unter anderem in Kreuzberg und Schöneberg:

In der Kreuzberger Fanny-Hensel-Siedlung wurden den Bewohner/innen trotz schlechten Bauzustandes („Schimmelhäuser“) Mieterhöhungen von 30 bis 50 Prozent zugestellt. Die Quadratmetermieten erhöhen sich damit von 5,33 Euro/qm auf 9,62 Euro/qm (Tsp: Sozialmieter müssen draufzahlen – oder ausziehen).

Auch in der Schöneberger Akazienstraße 6 / Belziger Str. 13 erhielten die Bewohner/innen Ende letzten Jahres Mieterhöhungen von etwa 30 Prozent und sollen seither Mieten Nettokaltmieten zwischen 7 und 8 Euro/qm zahlen. Bei Zahlungsverzug – so die Drohung der Hausverwaltung – wird die Mieterhöhung rückwirkend ab dem 1.Januar 2008 erhoben.

Steigende Mietpreise in Schimmelhäusern? Mieterhöhungen weit über den nach Mietgesetz zulässigen Erhöhungen von 20 Prozent? Rückwirkende Mietzahlungsforderungen?

Das klingt nach Manchester-Kapitalismus und Eigentümerwillkür, spielt sich aber im hier und heute ab und zwar im Sozialen Wohnungsbau. Im ehemaligen Sozialen Wohnungsbau, um genauer zu sein, in Häusern, die jahrzehntelang mit öffentlichen Mitteln gefördert wurden.

In beiden Fällen ist den Mieterhöhungen ein Eigentümer- oder zumindest Verwalterwechsel vorausgegangen. Die alten und neuen Eigentümer klingen nach Anlagegeschäften und nicht nach Wohnungsunternehmen: In der Akazienstraße 6 / Belziger Str. 13 wechselte der Hausbesitz im Oktober 2009 von der BBK Grundstücksgesellschaft mbH & Co. Vierte Verwaltungs KG zur Akazien-Belziger GbR, vertreten durch Tom Granobs & Dr. Ing. Heinz-Dieter Adomeit. In der Fanny-Hensel-Siedlung wechselte von Anlegern mehrere geschlossener Immobilienfonds (Hausverwaltung: R&W Immobilienanlagen GmbH) zum Immobilienfonds „Elfte EMC Asset Management GmbH & Co. KG„.

Um zu erfahren, was diese Eigentümer mit dem Sozialen Wohnungsbau verbindet und um das Paradox der unsozialen Mieterhöhungen im vormals Sozialen Wohnungsbau zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf die Systematik und Geschichte des Förderprogramms.


Wohnungsbauförderung als „Soziale Zwischennutzung“

Was ist Sozialer Wohnungsbau? Entgegen der land- und stadtläufigen Vorstellungen ist der Soziale Wohnungsbau kein Bautyp von schmucklos gestalteten Schlichtwohnungen in Großwohnsiedlungen für Arme und Arbeitslose, sondern ein Wohnungsbauförderprogramm. Seit dem II. Wohnungsbaufgesetz (1956) stellte der (westdeutsche) Staat Gelder zur Förderung des Wohnungsbaus zur Verfügung. Ziel war es ‘Familienheimstätten’ zu schaffen und ‘breite Kreise der Bevölkerung’ mit Wohnungen zu versorgen.

Ein großer Teil der Wohnungsbaufördergelder wurde dem ersten Ziel entsprechend an Familien ausgereicht, die sich ohne finanzielle Unterstützung den Bau eines eigenen Eigenheim nicht leisten konnten. Ein anderer Teil wurde als Fördergelder (Baukostenzuschüsse, günstige Darlehen bzw. Zuschüsse) an gemeinnützige, genossenschaftliche und private Hausbesitzer/innen gegeben, um den Bau von preisgünstigen Mietwohnungen zu stimulieren. In den Förderverträgen wurde eine Sozialmiete und eine Belegungsbindung festgelegt. Die Wohnkosten durften also einen festgelegten Betrag nicht überschreiten und die Vergabe der Wohnungen sollte ausschließlich an einen ‘Kreis von berechtigten Mieter/innen’ (ausgewiesen durch einen Wohnberechtigungsschein WBS) erfolgen.

Allein in Berlin wurden zwischen 1952 und 1997 über 429.000 solcher Sozialmietwohnungen errichtet, wurden. Damit ist etwa jede dritte Wohnung in Berlin im Rahmen von Förderprogrammen entstanden.

Sozialmieten, Belegungsbindungen und staatliche Förderprogramme – das klingt erst einmal so, als könnte damit die Wohnungsversorgung auch für ärmere Haushalte gesichert werden. Könnte.

In der Realität lagen die Mieten im Sozialen Wohnungsbau langezeit deutlich über denen in unsanierten Altbauviertel und waren für viele trotz der subventionierten Preise zu teuer. Zur Zeit liegen die durchschnittlichen Mieten im Sozialen Wohnungsbau mit 5,35 Euro/qm über den durchschnittlichen Bestandsmieten in Berlin (4,85 Euro/qm). Günstig sind die Sozialmieten allenfalls im Vergleich zu Mieten in Neubauten, modernisierten Altbauwohnungen und den Neuvermietungsmieten in der Innenstadt.

Doch diese Ausrichtung auf ein Mittelschichtsmilieu ist das geringere Problem des Sozialen Wohnungsbaus. In einer europaweit einmaligen Ausrichtung von Wohnungsbauförderprogrammen gelten Sozialmieten und Belegungsbindungen nur für den Förderzeitraum. Nach Ablauf der Förderzeit (meist 15 Jahre) verlieren die Wohnungen ihren Status als Sozialwohnung, obwohl die öffentlichen Aufwendungen in der Summe die Kosten für Erwerb und Errichtung der Wohnungen überschreiten. Von den insgesamt 429.000 geförderter Wohnungen in Berlin haben aktuell nur noch etwa 160.000 Wohnungen den Status einer Sozialwohnung – bis 2018 wir die Zahl auf unter 120.000 sinken. Für die insgesamt an Fördergeldern für den Sozialen Wohnungsbau ausgereichten 28 Mrd. Euro ein eher bescheidener Ertrag (siehe MieterEcho: Die Bindung an die Kostenmiete wird in Berlin zum Problem). Wenn, wie in Berlin jahrelang praktiziert, zusätzlich für 15 Jahre eine sogenannten Anschlussförderung gezahlt wird, übersteigt die Gesamtfördersumme den Wert des Hauses sogar mehrfach.

Für den (mehrfachen) Preis von dauerhaft öffentlichen Wohnungen hat sich der Staat also für eine begrenzte Frist eine Miet- und Belegungsbindung erkauft. Das ist etwa so, als würde man für eine zeitlich befristete Nutzung einer DVD aus der Videothek mehr bezahlen als für deren einmaligen Erwerb. Zurecht wird der Soziale Wohnungsbau daher als „Soziale Zwischennutzung“ (Christian Donner) charakterisiert. Aber so sieht es eben aus, wenn Wohnungspolitik nicht auf den Ausbau marktferner Bestände setzt, sondern sich selbst als vorübergehendes Instrument zur Korrektur des Marktversagens versteht.

Paradox der „Kostenmiete“

Solch eine Fehlsubvention ist ärgerlich genug, doch die eigentlichen Paradoxien des Sozialen Wohnungsbaus liegen tief in der Fördersystematik verborgen. Prinzip fast aller Wohnungsbauförderprogramme ist die Übernahme der sogenannten ‘unrentierlichen Kosten’, um die politisch festgelegten Sozialmieten zu sichern. Mit anderen Worten: die Eigentümer/innen bekommen alle Aufwendungen, die nicht von der Sozialmiete gedeckt werden, durch öffentliche Gelder ersetzt. Der monatliche Betrag dieser tatsächlichen Aufwendungen wird als Kostenmiete bezeichnet. In den meisten Programmen wird über 15 Jahre hinweg die Differenz zwischen der Sozialmiete und der Kostenmiete an die Eigentümer/innen ausgezahlt.

Ursprünglich als Instrument gedacht, um die Profite (also Einnahmen über den tatsächlichen Aufwendungen) zu deckeln, hat sich das Kostenmietsystem in Berlin als extreme Kostenspirale erwiesen. Abgesichert durch die Förderzusagen (Übernahme der unrentierlichen Kosten) gab es im Sozialen Wohnungsbau keine Anreize für ein kostenbewusstes Bauen und Wirtschaften im sozialen Wohnungsbau. Insbesondere Bauunternehmen und finanzierende Banken profitierten von diesem System. Lagen die ‘Kostenmieten’ des Sozialen Wohnungsbaus in den 1980er Jahren bei umgerechnet etwa 13 Euro/qm (also Preisen, die nicht einmal im Luxuswohnsektor realistisch gewesen wären), stiegen sie im Programmjahr 1992 auf sagenhafte 19,80 Euro/qm. Gezahlt hat der Staat – verdient haben Eigentümern, Bauunternehmen und Banken.

Soweit, so schlecht. Doch diese Abzockermentalität zahlt sich für die beteiligten Eigentümer/innen doppelt aus. Denn nach Auslaufen der Förderung müssen sich die Mietpreise nicht etwa an den örtlichen Mietspiegelwerten orientieren, sondern es gilt die Kostenmiete. Wie bei Neubauwohnungen üblich, gibt es keine mietrechtliche Beschränkung bei der Mietpreisbildung. Nun sind die Sozialwohnungen zwar keine Neubauwohnungen, aber mietrechtlich gilt die Kostenmiete – ganz unabhängig davon, dass der größte Teil davon jahrzehntelang aus öffentlichen Kassen bezahlt wurde. Eigentümer/innen können – wenn es der Markt hergibt – nach Ende der Förderung ihre Mietpreise bis zu diesen Kostenmieten erhöhen. Das Förderprogramm Sozialer Wohnungsbau hat nicht nur 15 Jahre und länger die Taschen der Bauunternehmen und Banken gefüllt, sondern zugleich noch utopisch hohe Mietpreise (Kostenmiete) subventioniert.

(Un)Sozialer Wohnungsbau und Verdrängung

Als die Berliner Regierungskoalition 2003 den längst überfälligen Ausstieg aus der Anschlussförderung beschloss, waren es vor allem Wohnungsunternehmen und ihre Lobbyverbände, die auf eine Verlängerung der Förderung drängten und das Schreckgespenst von massenhaften Insolvenzen zeichneten. Das Land Berlin musste wegen einer Eigentümerklage sogar gerichtlich feststellen lassen, dass es keinen Rechtsanspruch auf eine Anschlussförderung gibt. Um im Videotheksbeispiel zu bleiben wäre das so, als wenn wir nicht nur die völlig überteuerte Leihgebühr zahlen würden, sondern uns zugleich verpflichtet hätten, dieses ungünstige Geschäft gleich zweimal zu tätigen.

Die Befürchtungen von Mieterorganisationen, dass durch das Kostenmietsystem die Mieten drastisch erhöht werden könnten, wurde vom Senat für Stadtentwicklung als Panikmache denunziert, da doch auf dem Berliner Wohnungsmarkt gar keine höheren Mieten durchsetzbar wären. Das Märchen von angeblich ‘entspannten Wohnungsmarkt’ stimmte damals schon nicht – mittlerweile ist auch klar, dass die Mieten im ehemaligen Sozialen Wohnungsbau deutlich angehoben werden.

In der Fanny-Hensel-Siedlung werden die Mieterhöhungen dabei nicht nur aus unmittelbar wirtschaftlichem Kalkül erhoben, sondern auch um gezielt unliebsame Mieter/innen zum Auszug zu drängen. Sebastian Jung, ein Mieteraktivist aus der Siedlung machte bereits vor Wochen darauf aufmerksam, dass gezielt die Mieten bei Mieter/innen mit Migrationshintergrund erhöht wurden. Das vermutet Kalkül: der schnelle Auszug und die Neuvermietung an solvente Nachfragergruppen oder auch die Umwandlung in Eigentumswohnungen. Sebastian Jung hat sich in aller Öffentlichkeit für seine Nachbar/innen eingesetzt. Jetzt ist er selbst zum Ärgernis für die Hausverwaltung gewurden. Zusammen mit einem Umsatzangebot wurde ihm die Ehre zu teil, die erste Mieterhöhung auf den Wert der Kostenmiete zu erhalten. Christian Linde berichtete in der jungen welt – Mieteraktivist soll raus:

Die neue Mieterhöhung wurde ausschließlich für meine Person erklärt«, berichtet Sebastian Jung. Zeitgleich mit dem Schreiben sei eine Ausweichwohnung mit einer noch höheren Mietforderung angeboten worden. »Dies kann nur als direkte Aufforderung zum Auszug verstanden werden. Die Vermieterin versucht also, mich mundtot zu machen und aus der Wohnanlage zu vertreiben«, mutmaßt der Aktivist. Jung hat durch seinen unermüdlichen Einsatz für die Belange der Sozialmieter nicht nur für öffentliche Aufmerksamkeit gesorgt, sondern ist dem Hauseigentümer deshalb offenbar ein Dorn im Auge. So hatte Jung diesem bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Mieterverein und dem Bezirksbürgermeister eine »selektive« Vermietungspraxis vorgeworfen. Hintergrund waren die bereits im vergangenen Monat ausschließlich an muslimische Mieter ergangenen Mieterhöhungen. Nach Angaben von Jung räumte der Geschäftsführer der Emc Asset Management GmbH, die den Eigentümer vertritt, ihm gegenüber in einem Telefonat ausdrücklich ein, »die arabisch- und türkischstämmigen Mietparteien loswerden zu wollen«.

Auch hier geht es sicher nicht darum, einen Mietpreis von 13,04 Euro/qm tatsächlich zu kassieren, sondern um den Quengelmieter endlich loszuwerden. Die Kostenmiete dient also nicht nur zur Realisierung höherer Einnahmen, sondern wird auch als Drohinstrument gegen widerspenstige Mieter/innen und zur selektiven Neuzusammensetzung der Bewohnerschaft eingesetzt.

Die Effekte eines solchen flexiblen Mieterhöhungsinstrumentes liegen auf der Hand. Insbesondere in Vorzugslagen können Eigentümer/innen tatsächlich auf deutliche Mieteinnahmen hoffen und Wohnungen für Luxusmodernisierungen oder die Umwandlung in Eigentumswohnungen unkompliziert und kurzfristig leerziehen. Die Akazienstraße in bester Schöneberger Kiezlage oder die zentral gelegene Fanny-Hensel-Siedlung sind Beispiele für eine solche Gentrification im Sozialen Wohnungsbau.

Fast schon tragisch nimmt sich die Hilflosigkeit der zuständigen Senatsverwaltung aus. Erst wurde die Aufwertungs- und Verdrängungsgefahren im ehemaligen Sozialen Wohnungsbau jahrelang geleugnet – der Aktionismus der vergangenen Monate bracht nicht mehr zustande als ein Angebot zur Unterstützung von Umzügen der betroffenen Mieter/innen. Angesichts der Aufwertungsaussichten ist das nichts anderes als ein öffentlich gefördertes Verdrängungsmanagement.

Originalbeitrag: gentrificationblog

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andrej Holm

Ostberliner | Sozialwissenschaftler | aktiv in verschiedenen Stadtteil- und Mieterinitiativen

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