Der Grazer Aufwertungswirbel

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Im Grazer Lendviertel, oder besser gesagt in den wenigen Straßenzügen zwischen Kunsthaus am Südtiroler Platz und dem Lendplatz, fand am Wochenende zum zweiten Mal das sogenannte Lendwirbel statt. Dieses von Akteuren der überwiegend in den letzten Jahren zugezogenen Kreativszene organisierte Fest wird in der lokalen Presse und auch in der Selbtvermarktung der Initiator/innen als Aufbruch zu einer "kreativen Stadtentwicklung" gefeiert.

Die Kleine Zeitung aus Graz beschrieb das Fest bereits im letzten Jahr als eine kitschige Mischung zwischen Dorfplatz und Urbanität. Lend und Leute sorgen jetzt für bunten Wirbel:

Das trendigste Viertel der Stadt feiert sich selbst: Frisch und unangepasst wie der Lend wird das Straßenfest, das am Wochenende steigt. Nicht sagen! Für dich einen Macchiato, du bekommst eine Melange und du ein Makava.” Im Lend kennt man sich eben, was nicht nur Getränkebestellungen in der “Scherbe” vereinfacht, sondern auch ein freundschaftliches Netzwerken ermöglicht. In den letzten Jahren hat sich der Arbeiterbezirk rasant von einer “Problemzone” zum trendigsten Viertel von Graz entwickelt, wo sich Szenelokale, Second-Hand-Läden und Designgeschäfte aneinander reihen.

Auch dieses Jahr findet der Lendwirbel die zu erwartende mediale Aufmerksamkeit. Der Standard titelt: Wirbel im Viertel: Grazer Lend feiert. Auch hier im Text wird die Metapher des neuen Kreativ- und Künstlerviertels bemüht:

Riesenparty “Lendwirbel” im Stadtteil, der seit Jahren im Umbruch ist und immer beliebter bei (Lebens-)Künstlern wird.

Tatsächlich haben sich in den vergangen Jahren eine ganze Reihe von Designverkaufsläden, hippen Frisierstuben, Szenekneipen und Bürogemeinschaften im Gebiet niedergelassen. Bezogen auf die gesamte Gewerbestruktur (83 verkaufs- und publikumsorientierte Ladennutzungen) des Gebietes, die immer noch stark von traditionellen Gasthäusern, Bordellen und Spielhallen geprägt ist, machen die 19 Einrichtungen des Kreativsektors jedoch nicht einmal ein Viertel der lokalen Ökonomie aus. So stehen den fünf, sechs Szenekneipen etwa ebensoviele Lokale des Rotlichtmilieus (5 Bordelle / 3 Spielhallen bzw. Wettbüros) gegenüber. Vor diesem Hintergrund erscheint die Selbstinszenierung als neuentdeckten Szenequartiers vor allem als gelungener PR-Coup der sich selbst als kreativ verstehenden Gewerbenutzer/innen. Dass dies nicht nur der Sensationslust lokaler Medienberichterstatter geschuldet ist, sondern tief in der Eigenwahrnehmung der Aufwertungspioniere verankert ist, zeigt ein Beitrag eines “Lokal Heroes“, der als einer der Initiatoren des Lendwirbels gelten kann. In der Sonderausgabe des Korso Stadtforum wird das Verhältnis zwischen neuen und alten Nutzungen im Gebiet wie folgt beschrieben:

„Junge kreative Leute haben neue kleine Geschäfte eröffnet, wo sie produzieren, arbeiten, verkaufen – und Miete zahlen. Die Straße ist von ihrer Leere befreit, weil Neues unternommen wird, was zum kleinen Geschäftsraum und zum Charakter des Stadtraumes passt und umgekehrt. Die wenigen traditionellen Geschäfte passen gut dazwischen.“

Wie schön, dass die bereits bestehenden Geschäft gut dazwischen passen. Viel deutlicher werden die Raumaneignungsansprüche von Aufwertungspionieren selten formuliert.

Mehr zum Thema: gentrificationblog.wordpress.com

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andrej Holm

Ostberliner | Sozialwissenschaftler | aktiv in verschiedenen Stadtteil- und Mieterinitiativen

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