Der Kollwitzplatz von Nordneukölln

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Seit einigen Jahren schon sorgen die städtischen Aufwertungstendenzen in Nordneukölln für Diskussionen. Neue Gewerbenutzungen, neue Kneipen und Designerläden wurden schnell als Vorboten einer Gentrification interpretiert. Doch bisher gibt es kaum handfeste Beweise für die Aufwertung im ehemaligen Problemkiez. Doch das Reden und Schreiben über den Stadtteil gibt Hinweise auf die Substanz der Verändrungsdynamik.

In einem Interview mit dem Hausverwalter Bernd Girke aus dem Neuköllner Norden gibt es sogar den gewagten Vergleich mit der Situation im längst und gründlich aufgewerteten Prenzlauer Berg:

taz: (…) Sie haben am Weichselplatz einen schönen Spielplatz, es gibt ein kinderfreundliches Café, einen Bio-Eisladen, Kindermodegeschäft. Manche sagen, der Weichselplatz ist schon bald der Kollwitzplatz von Neukölln.

Antwort Girke: Ich muss zu meiner Schande gestehen, ich war noch nie am Kollwitzplatz, zumindest ist den letzten 20 Jahren nicht. Darum weiß ich auch nicht, ist das was Positives, was Negatives? Jedenfalls freue ich mich, wenn ich nach Hause komme und sehe, dass das Café voll ist und überall Fahrräder stehen und auf dem Spielplatz voller Betrieb ist.

Dieses wunderschöne Zitat entstammt einem aufschlussreichen Interview („Vertreibungsgefahr ist nicht so groß“) und ist Teil einer ausgesprochen lesenswerten Artikelserie „Soziale Stadt“.

Während selbst kleinräumige Statistiken bisher nicht geeignet waren, die symbolischen Aufwertungen und den Imagewandel von Nordneukölln auch empirisch zu bestätigen und Verdrängungswarnungen oft mit dem Vorwurf einer nur „gefühlten Gentrification“ konfrontiert waren, gibt es nun ein paar handfeste und glaubwürdige Indizien für die beginnende Gentrification dort. Bernd Girke, Hausverwalter von vier Häuser in der Umgebung des Weichselplatztes benennt im Interview gegenüber der taz, eine steigende Nachfrage nach Wohnungen im Gebiet, höhere Neuvermietungsmieten und eine wachsende Investitionsbereitschaft der Eigentümer als klare Merkmale des Wandels.

Steigende Wohnungsnachfrage in Nordneukölln

Aus der Hausverwalterperspektive ist vor allem die unproblematische Vermietung leerstehende Wohnungen ein eindeutiger Indikator für die gestiegene Attraktivität des Viertels. Bernd Girke beschreibt dies für die von ihm verwalteten Häuser:

Wir haben jahrzehntelang Schwierigkeiten gehabt, überhaupt etwas zu vermieten – und jetzt ist es kein Problem mehr, überhaupt nicht. (…) jetzt mache ich eine Anzeige im Internet, und in einem Tag ist die Wohnung weg.

Der verbesserte Ruf der Wohngegend drückt sich aber nicht nur in der schnelleren Vermietung frei werdender Wohnungen aus, sondern auch in einer für das Gebiet neuen Zusammensetzung der Mieterschaft:

Solange ich hier wohne, und das sind jetzt 68 Jahre, wollten noch nie so viele Leute unbedingt hierher. Es gibt Architekten, die mir gesagt haben: Wer jetzt nicht hierher zieht, hat in den nächsten Jahren keine Chance mehr – weil es boomt in dem Gebiet rechts und links vom Kanal. Es gibt sogar schon Diplomaten, die ziehen hierhin, wurde mir erzählt. Und bei mir im Haus sind in letzter Zeit drei junge Ärzte eingezogen.

Höhere Neuvermietungsmieten

Als ein weiterer wohnungswirtschaftlicher Indikator für beginnende Aufwertungsprozesse kann die überdurchschnittliche Steigerung der Neuvermietungsmieten gelten. Hausverwalter Girke gibt für seine Häuser Neuvermietungssteigerungen von 10 bis 15 Prozent an. Dieser Wert liegt deutlich über den durchschnittlichen Differenzen zwischen Bestandsmieten und Neuvermietungspreise. Der im November vorgelegte BBU-Wohnungsmarktmonitor 2009 kam für die gesamte Stadt zu dem Ergebnis:

Die Differenz zum Mietspiegeldurchschnitt liegt bei 25 Cent oder rund fünf Prozent. „Das zeigt: Die Behauptung, dass bei Neuvermietung kräftig zugelangt wird, ist unbegründet“

Für den Gesamtbezirk Neukölln weist der Wohnungsmarktmonitor sogar eine noch geringere Neuvermietungsspanne von unter 4 Prozent aus. Die in Nordneukölln beschriebenen Vermietungsdynamiken nehmen also sowohl im bezirklichen als auch gesamtstädtischen Vergleich eine Sonderrolle ein und verweisen auf eine auch relative Aufwertungstendenz des Viertels. Angesichts der hohen Mobilitätsraten in Nordneukölln haben die Neuvermietungen einen erheblichen Einfluss auf die soziale Zusammensetzung im Quartier - die Verkehrszelle Reuterplatz beispielsweise weist seit Jahren eine Wanderungsvolumen (Summe von Fort- und Zuzügen pro Jahr) von 40 Prozent auf. Das bedeutet zumindest rechnerisch eine jährliche Neuvermietungsquote von etwa 20 Prozent. Liegen die systematisch höher als die Bestandsmieten, ist eine dramatische Veränderung der Bewohnerschaft innerhalb weniger Jahre nicht ausgeschlossen.

Leicht verstärkte Investitionsbereitschaft

Als zentrales wohnungswirtschaftliches Kriterium für Gentrificationprozesse gilt gemeinhin der Wechsel des Investitionsverhaltens in den Aufwertungsgebieten. Um die Ertragslücken zwischen aktueller und potentieller Grundrente zu erschließen, werden Phasen jahrelanger Desinvestition durch Investitionsaktivitäten abgelöst. Umfassende Modernisierungsaktivitäten sind bisher in Nordneukölln noch nicht zu beobachten, aber Hausverwalter Girke bestätigt erste Anzeichen für einen Trendwechsel der Bewirtschaftungsorientierung:

Wir haben jetzt auch angefangen, wieder etwas zu investieren, die Haustüren anzustreichen. Demnächst wollen wir uns an die Innenhöfe machen.

Zugleich schränkt er jedoch – trotz erhöhter Mieten – die Optionen umfassender Modernisierungsarbeiten ein:

Aber wenn wir jetzt nebenan das Haus aus den 50er-Jahren komplett sanieren – neue Isolierung, Fenster, Balkone, Fernheizung und so weiter -, dann kostet das den Besitzer locker eine Viertelmillion. Das hat er auch nicht so schnell wieder drin, selbst wenn jetzt die Miete erhöht wird wegen Wohnwertverbesserung.

Als Gründe für diese Zurückhaltung führt Bernd Girke die Eigentümerstruktur an. Insbesondere Einzeleigentümer verfügen im Gegensatz zu professionellen Immobilienunternehmen oft nicht über die notwendigen Investitionsmittel für umfassende Aufwertungsmaßnahmen.

Also reich kann man damit nicht werden, nicht als kleiner Vermieter mit vier Häusern. Darum arbeiten unsere Vermieter ja auch beide noch, damit überhaupt was übrig bleibt. Zum Reichwerden muss man schon 500 Häuser haben.

Fast bleibt zu hoffen, dass dies so bleibt und auch weiterhin die Wohnungsbestände in Nordneukölln von Einzeleigentümer/innen dominiert werden.

Insgesamt bestätigen die Aussagen des Neuköllner Hausverwalters viele Überlegungen, die in den letzten Jahren zu den Entwicklungen rund um den Reuterplatz diskutiert wurden. Für alle mit ein wenig Muße und Interesse am Thema hier eine kleine Zusammenstellung früherer Beiträge zum Thema:

Der Originalbeitrag ist auf dem gentrificationblog zu finden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andrej Holm

Ostberliner | Sozialwissenschaftler | aktiv in verschiedenen Stadtteil- und Mieterinitiativen

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