Mieterhöhung durch Leerstand - SPD stellt Wohnungsmarkt auf den Kopf

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Die aktuellen Wahlergebnisse betrachtend hat die SPD gerade keine wirklich guten Karten - was da noch helfen kann sind eigentlich nur Wunder. Dass Sozialdemokraten dazu tatsächlich in der Lage sind, bewies unlängst die Berliner Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD). Anlässlich der Veröffentlichung des aktuellen Berliner Mietspiegels bewies sie, wie aus einer katastrophalen Wohnungsmarktlage Gold gesponnen werden kann. Hohe Leerstandszahlen garantieren in Berlin weiter steigende Mieten - und wer Marktlogiken auf den Kopf stellt, kann sich vielleicht auch Wahlerfolge herbeizaubern...


Eigentlich sind Wohnungsleerstände aus der Sicht der Immobilienbewirtschaftung “totes Kapital”, da mit unvermieteten Wohnungen keine Rendite erwirtschaftet werden kann. Auch für städtische Gesamtwohnungsmärkte gelten hohe Leerstände gemeinhin als mietpreisdämpfend. Im Zusammenhang mit schrumpfenden Stadtregionen ist sogar von “Mietermärkten” die Rede, weil eben nicht mehr die Vermieter/innen sich die Mieter/innen aussuchen können, sondern umgekehrt, die Mieter/innen eine tatsächliche Wahlfreiheit haben.

Die Berliner Wohnungsmarktsituation jedoch stellt diese vermeintlichen Markteffekte auf den Kopf. Leerstände – oder zumindest die angeblich hohen Leerstandszahlen – garantieren hier steigende Mietpreise. So können hohe Neuvermietungsmieten (mehr als 20 Prozent über den ortüblichen Vergleichsmieten) nicht mehr über den §5 des Wirtschaftsstrafgesetzes als Mietpreisüberhöhung eingeschränkt werden, wenn das Wohnungsangebot die Wohnungsanfrage um mindestens 5 Prozent übersteigt. Mit anderen Worten, gilt der Leerstand als hoch genug, ist den Mietpreisen bei Neuvermietungen praktisch keine Grenze gesetzt. Das fast schon manische Festhalten der Senatsverwaltung an der magischen Zahl von 100.000 leerstehenden Wohungen dient also vor allem der Aufrechterhaltung eines angeblich “entspannten Wohnungsmarktes”, der ohne Mietpreisregulierungen auskommt.

Ralf Schönball beschreibt im Tagesspiegel die Auswirkungen des Leerstandsmythos von 100.000 leerstehenden Wohnung und stellt die Frage: Soll Mietwucher wieder bestraft werden?

Und weil die durchschnittlichen Mieten in Berlin seit 2007 „nur“ um 1,7 Prozent stiegen – und angeblich 100 000 Wohnungen in Berlin mehr als sechs Monate leer stehen –, besteht für die Senatorin kein Grund zu handeln. Gegen diese Bewertung laufen die Mietervertreter Sturm. Denn das Zahlenwerk zeigt: Wer in Kreuzberg umzieht, der zahlt für die neue Wohnung 30 Prozent mehr Miete als ortsansässige Nachbarn für vergleichbare Wohnungen. Rund zwanzig Prozent beträgt die Differenz zwischen Bestands- und Neuverträgen für Mietwohnungen in der City-West sowie in Mitte oder Prenzlauer Berg. Das sind Durchschnittswerte. In Extremfällen dürften Hauseigentümer auch mal fünfzig Prozent mehr für ihre Wohnung bei einem Mieterwechsel verlangen. Das ist Wucher! – wird so mancher ausrufen. Oder mindestens eine „Mietpreisüberhöhung“. Beides ist strafbar. Aber nur, wenn eine „Mangellage“ am Wohnungsmarkt herrscht. Das aber bestreitet die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung.

Dass einigen Bereichen der Stadt durch eine solche “Mangellage” gekennzeichnet sind, zeigen die Leerstandszahlen, die vom Verband der Berlin-Brandenburgischen Wohnungsunternehmen (BBU) Ende April vorgelegt wurden: Historischer Tiefstand.

Der Verband vermeldet, dass die Leerstände deutlich gesunken sind – von 4,6 auf 3,8 Prozent. So niedrig waren die Zahlen zuletzt Mitte der 1990er-Jahre. Dabei ist die Entwicklung in einzelnen Bezirken sehr unterschiedlich. Besonders in den angesagten Innenstadtkiezen von Prenzlauer Berg (1,5 Prozent) und Mitte (1,6 Prozent) gibt es demnach so wenige leer stehende Wohnungen, dass selbst der BBU von Mangel spricht. Zwei Prozent können als sogenannte Fluktuationsreserve gelten, so BBU-Chef Ludwig Burkardt, sind also Umzügen geschuldet. Der Mieterverein sieht diese Grenze schon bei drei Prozent erreicht. Demnach wäre in 14 der 23 Altbezirke der kritische Wert unterschritten.

Unter den Bezirken mit den höchsten Leerstnadsquoten befindet sich neben Hellersdorf, Marzahn und Spandau auch das betuchtere Zehlendorf mit immerhin 5 Prozent leerstehenden Wohnungen. Zumindest dort dürften kaum die preiswerten und kleinen Wohnungen betroffen sein, die in Berlin zur Mangelware geworden sind.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andrej Holm

Ostberliner | Sozialwissenschaftler | aktiv in verschiedenen Stadtteil- und Mieterinitiativen

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