Protest und Diskurs: Kreuzberg will kein Guggenheim-Lab

Kulturkommentar Berliner CDU- und SPD-Politiker stellen den Protest der Kreuzberger gegen das BMW-Guggenheim-Lab in die Ecke der Provokation und Intoleranz. Das greift aber zu kurz

Das BMW-Guggenheim-Lab – ein mehrwöchiges Event zur Erkundung städtischer Trends – hat sich nach Protesten von Anwohnern aus Kreuzberg zurückgezogen. Ein Großteil der Medien und die Regierung zeigen sich bestürzt und sehen mindestens den Standort (Henkel, CDU) und die Weltoffenheit (Wowereit, SPD) Berlins gefährdet. Doch den Protest in die Ecke der Provokation und Intoleranz zu stellen, greift zu kurz.

Seit der Stararchitekt Frank Gehry in den 1990er Jahren in Bilbao eines der weltweit spektakulärsten Funktions­gebäude für die Dependance des New Yorker Museums errichten ließ, ist der „Guggenheim-Effekt“ zum geflügelten Wort geworden. Die baskische Metropole erhielt ein neues Wahrzeichen, verwandelte sich in eine wichtige Destination der internationalen Tourismusströme und erlebte eine umfassende gentrification der umliegenden Nachbarschaften. Die aktuellen Tendenzen der Stadtentwicklung wurden wie in einem Brennglas sichtbar: Eventisierung der Stadtpolitik, gewünschte Aufwertungsimpulse von Großprojekten und Rückkehr privater Initiative.

Auch wenn in Kreuzberg von der dreimonatigen Zwischennutzung einer Brache keine Effekte wie in Bilbao zu erwarten waren, steht das Lab doch im Zeichen der aktuellen Veränderungen im Stadtteil. Die mittlerweile internationale Attraktivität für Touristen, Wissens­nomaden und Investoren lässt seit ein paar Jahren die Mieten kräftig steigen, und spätestens seit den Plänen für das Investitionsprojekt namens MediaSpree ist klar, dass die lokale Gestaltungskraft eines traditionell selbstbewussten Kreuzberger Protestmilieus zunehmend unter die Räder von überlokalen Dynamiken, Inwertsetzungsinteressen und Entscheidungen gerät. Zugleich ist Kreuzberg immer noch der Stadtteil Berlins mit den geringsten Einkommen.

Guggenheim-Effekt umgekehrt

In dieses umkämpfte Terrain platzte das BMW-Guggenheim-Lab und ließ kaum einen Fettnapf aus. Der Standort: das künftige Baufeld einer umstrittenen Luxuswohnanlage. Das Format: der Expertendiskurs. Die Beteiligten: eine private Stiftung und ein Automobil­konzern. Die zu erwartenden Effekte: internationale Aufmerksamkeit und ein Imagegewinn für Kreuzberg. Die Proteste gegen das Lab waren kein Ausdruck der Intoleranz, sondern sind vielmehr ein Akt der Selbstachtung gegen die Verdrängung.

Zudem gelang es den als „standtortgefährdende Chaoten“ (Innensenator Henkel, CDU) Gescholtenen ganz nebenbei, das eigentliche Ziel des hoch­dotierten Expertendiskurses im Lab zu erfüllen. Deutlicher als jede Podiumsdiskussion und jede Pecha-Kucha-Präsentation es vermocht hätten, erkundet der Streit um die Ansiedlung des Labs die Tiefen der aktuellen Konflikte des Städtischen. Kreuzberg steht dabei für das Gegenteil des Guggenheim-Effektes: Repolitisierung der stadtpolitischen Debatten, Stärkung der Bewohnerstrukturen und Proteste gegen Verwertungsinvestitionen und Selbstermächtigung der Nachbarschafts­initiativen.

Vielleicht wird dereinst der „Kreuzberg-Effekt“ zum Synonym für den Aufbruch der Nachbarschaften gegen eine unternehmerische Stadtpolitik – die Berliner Regierung könnte sich dann wenigstens über ein bisschen Weltruhm freuen.

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Geschrieben von

Andrej Holm

Ostberliner | Sozialwissenschaftler | aktiv in verschiedenen Stadtteil- und Mieterinitiativen

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