Es begann 1991 mit dem grandiosen Erfolg des Films Das Schweigen der Lämmer von Regisseur Jonathan Demme. Seitdem schlief Filmproduzent Dino De Laurentiis schlecht. Was ihn von da an wachhielt, war der professionelle Ärger eines alten Filmhasen über einen Fehler, der bereits Jahre zurücklag. Bevor das Schweigen der Lämmer die Zuschauerrekorde brach, hatte er den von ihm produzierten Film Manhunter aus dem Jahr 1986 lediglich als einen seiner Flops betrachtet. Der damals verfilmte Roman hieß Roter Drache, stammte von dem noch recht unbekannten Autor Thomas Harris und hatte eine Nebenfigur namens Hannibal Lecter, der im Film von einem Schauspieler namens Brian Cox dargestellt wurde. Regie führte Michael Mann. Selbst dessen künstlerisches Renommeé aber hatte dem Film nichts genutzt. Uninspiriert und ratlos kam er daher, mit einem blassen Hannibal und einem lieblos adaptierten Plot. Der Misserfolg hatte De Laurentiis schläfrig gestimmt, weshalb es ihn auch nicht weiter interessierte, als 1988 der nächste Hannibal-Lecter-Roman unter dem Titel Das Schweigen der Lämmer erschien, der allerdings ebenso wie sein Vorgänger ein Bestseller wurde. So geriet der Filmstoff an Jonathan Demme, der ein kreatives Team von Kameramann Tak Fujimoto, Komponist Howard Shore, Productiondesignern, Cuttern und einer Reihe attraktiver Darsteller um sich scharte, die ihn auch in späteren Filmen begleiten sollten.
Das Schweigen der Lämmer wurde das profitable Meisterwerk, von dem jeder Produzent träumt. Der Film verursachte nicht nur beim Mainstream-Publikum jenes begehrte Gruseln, sondern begeisterte auch Cinéasten. Der künstlerische Erfindungsreichtum von Demmes Arbeitsgruppe erwies sich als Glücksfall für die Filmgeschichte. Sie hatten den Thriller herausgeholt aus der Genre-Schmuddelecke und ein Kunstwerk aus ihm gemacht: Einen Psychokrimi, der bei der Oscar-Verleihung als "Bester Film" mit der besten Regie, den besten zwei Hauptdarstellern und einem besten Drehbuch ausgezeichnet wurde, hatte es bis dahin nicht gegeben. Die Kritiker überschlagen sich bis heute mit Lobeshymnen.
Das Schweigen der Lämmer beruht auf der streng gebauten Filmfabel des Autors Ted Tally, ungeachtet dessen, was sonst noch so in dem Roman von Thomas Harris steht. Mit Jodie Foster und Anthony Hopkins in den Hauptrollen entstand eine Spannung von sublimer Erotik. Erst durch Hopkins bekam Dr. Lecter diese atemberaubende Ambivalenz zwischen Gut und Böse, seine nicht zu täuschende Sinnlichkeit und das vibrierend Sensitive für Clarice Starling. So hatte Harris es wahrscheinlich gemeint. Und es kommt nicht von ungefähr, dass jene Verfilmung, die Thomas Harris am nächsten kam, auch die erfolgreichste war.
Mit seinen spannenden Romanen gehörte Thomas Harris von da an zu einem der attraktivsten Stofflieferanten Hollywoods - und zu einem der verkanntesten. Nachdem er mit der Lämmer-Verfilmung ins Rampenlicht gerückt war, warteten alle gespannt auf die Fortsetzung. Besonders Einer: Dino De Laurentiis. Die Kränkung der Berufsehre saß tief, hatte doch der Demme-Film bewiesen, dass in Harris-Büchern mehr steckte als der inzwischen vergessene Manhunter heraus geholt hatte. Der nächste Hannibal-Lecter-Triumph sollte seiner sein, das wollte sich De Laurentiis mit den mehr als neun Millionen Dollar, die er für die Rechte bezahlte, absichern. Selten waren Verfilmungsrechte so teuer gewesen. Da war ja auch die berechtigte Hoffnung auf reichlich Gewinn; Millionen Kinokarten waren sozusagen schon gekauft. Das Traum-Team Demme-Tally-Hopkins-Foster stand bereit. Doch der Roman Hannibal erschien, und die Probleme fingen an. Der erwartete brillante Action-Plot steuerte auf ein seltsames Ende zu, irgendwo zwischen Drogenrausch, aufgeklapptem Gehirn und konvertierter Menschenfresserin Clarice. Das nächste De Laurentiis-Desaster nahm seinen Lauf: Jonathan Demme sagte nach der Lektüre ab, Ted Tally auch. Jodie Foster erkannte ihre Clarice nicht wieder und quittierte trotz schwindelerregender Gagenangebote den Dienst. Dino De Laurentiis schlief schlechter als je zuvor. Manche in Hollywood versicherten ihm sogar, der Roman sei nicht verfilmbar. Nichts da. "Wenn man unten ist, muss man seine Energie und Vorstellungskraft sammeln", sagte De Laurentiis einmal in einem Interview.
Er sammelte Ersatz, zitterte um das Verbleiben von Anthony Hopkins. Ein neues Gesicht für Hannibal Lecter - und es hätte sich kein einziger Dollar Investition mehr gelohnt. Hopkins blieb und ist mittlerweile die einzige Kontinuität der zusammengeflickten Lecter-Trilogie und gleichzeitig der Beweis dafür, dass ein bekanntes Gesicht nicht reicht, um Magie zu schaffen. Der Film, der De Laurentiis´ große Antwort auf das Schweigen der Lämmer werden sollte, reihte fragmentarische Einzelstücke aneinander. Da konnte auch Hopkins´ berühmter Blick nichts mehr ausrichten. Hannibal war ein Film, der die Not seiner Figuren nicht verstand, und wurde ein ziemlicher Flop. Er spielte zwar knapp sein Geld wieder ein, aber was war mit dem künstlerischen Ruhm, durch den sich Das Schweigen der Lämmer so hervorgetan hatte?
Aber De Laurentiis wollte sich nicht unterkriegen lassen. Irgendwann im Vollmond, wenn der Manhunter Dolarhyde am liebsten mordet, muss ihm klar geworden sein, dass er ja noch die Rechte vom Roten Drachen besaß. So kam es zum seltenen Fall der Filmgeschichte, wenn die Vorgeschichte nachverfilmt wird, dem "Prequel".
Diesmal wollte De Laurentiis sicher gehen; er ging methodisch vor und übernahm aus dem Demme-Film so viel wie nur möglich, die Geschichte rechtfertigte das ohnehin. So übernimmt Roter Drache die Plexiglas-Zelle von Dr. Lecter und weitgehend das ganze Production-Design, sowie die Locations, wo möglich, und die alte Besetzung; gelungen ist sie aber nur für Chilton und Barney. Die Rolle des FBI-Chefs Crawford, ursprünglich in der Darstellung von Scott Glenn ein sensitiver Jäger, verkommt mit Harvey Keitel zum Routinejob.
Das wichtigste Handicap der Neuverfilmung des Roten Drachen liegt aber in der merkwürdigen Vermeidung des Physischen. Man kann keinen Film über grausame Serienmorde drehen und dabei das Physische auslassen. Möglicherweise sollte hier die Familienversion eines Hannibal-Lecter-Films entstehen. Wir sehen Edward Norton als Will Graham durch die Häuser der Ermordeten gehen - ein bisschen Blut an den Wänden, ein paar Polaroids. Die beklemmendsten Szenen im Buch, die Verstümmelung und kalkuliert langsame Ermordung des Klatschreporters Freddy Lounds, sind zwar gewissenhaft inszeniert, bleiben aber distanziert. Gelungen ist die Einbeziehung der traumatischen Kindheit des Mörders Francis Dolarhyde: Wie er gefangen in seinem riesigen Haus lebt, zwischen den Möbeln seiner toten Großmutter, mit dem Roten Drachen spricht, das ist genau erzählt. Hier folgt der Film den Intentionen von Thomas Harris; sind dessen Romane doch immer auch Reisen in Lebensläufe, Kindheiten, in die Verliese tiefsitzender Ängste und deformierter Psychen. Die Besetzung von Dolarhyde mit Ralph Fiennes, dessen Düsternis und Heftigkeit hier gut zur Geltung kommen, ist ein Glücksgriff. Auch Emily Watson als blinde Reba und Edward Norton, der als Will Graham eigentlich eine grandiose Fehlbesetzung ist, tragen den Film. Im Roman nimmt das Leiden des FBI-Agenten großen Raum ein: Er besitzt ein irritierendes Einfühlvermögen in die Psyche der Serienmörder. Das behauptet der Film zwar, macht es aber nicht erlebbar. Die Spannung zwischen ihm und Hannibal Lecter ließ sich als Pendant zum Paar Lecter-Clarice nicht herstellen. Obwohl wieder Ted Tally das Drehbuch schrieb, fehlt hier auch die disziplinierte Beschränkung auf eine Story-line, die Das Schweigen der Lämmer so erfolgreich gemacht hatte.
Roter Drache ist trotzdem kein künstlerischer Flop wie Hannibal, aber eben auch kein Meisterwerk wie Das Schweigen der Lämmer. Er schwankt zwischen Nachahmung und eigener Magie.
Dino De Laurentiis kann zufrieden sein. Aus seiner Sicht hat er alles richtig gemacht: Die Zutaten stimmten; viel Geld wird reinkommen und vielleicht auch ein bisschen Ruhm.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.