Das neue Unbehagen an der streitbaren Demokratie

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Wegen seiner groben Verfehlungen bei der Verfolgung des NSU und dem Umgang mit der Linkspartei steht der Verfassungsschutz zurecht in der Kritik. Seine Abschaffung wäre aber ein Fehler, weil eine streitbare Demokratie auf einen integren Verfassungsschutz angewiesen bleibt.

Die Geschichte des Bundesamts für Verfassungsschutz wurde in den letzten Wochen um traurige und haarsträubende Kapitel ergänzt, deren Erkenntnisse die Öffentlichkeit der Bundesrepublik noch lange beschäftigen werden. Nicht wenige Kommentatoren stellen deswegen infrage, welchen Sinn eine Behörde hat, deren Personal unfähig ist, trotz zahlreicher Hinweise eine beispiellose Mordserie neonazistischer Kräfte zu verhindern und zwischen harmlosen Bundestagsvizepräsidentinnen und Verfassungsfeinden nicht zu unterscheiden vermag. Dieser Skepsis haben sich jetzt wichtige zivilgesellschaftliche Akteure wie Verein der Türkischen Gemeinde in Deutschland, die Arbeiterwohlfahrt und der Bundesverband deutscher Verbände und Vereine auf einer gemeinsamen Pressekonferenz angeschlossen. Muss das Amt also weg? Braucht eine souveräne Demokratie überhaupt einen Verfassungsschutz?

In einer streitbaren Demokratie stehen der Gemeinschaft Mittel und Wege zur Verfügung, sich gegen solche Agitationen zu wehren, die der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik zuwiderlaufen. Warum sollte man diese wehrhaften Demokratie nun eben dieser Mittel berauben? Angesichts der gesellschaftlichen Missstände, die etwa Wilhelm Heitmeyers Studie zur „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ oder der unabhängige Expertenkreis Antisemitismus dokumentierten, ist eine wirksame Verteidigung der Demokratie und ihrer Grundsätze nötiger denn je. Etwa ein Fünftel der Bevölkerung der Bundesrepublik könnte sich vorstellen, ihren Mitbürgern mit Migrationshintergrund notfalls mit Gewalt zu verdeutlichen, „wer Herr im Hause ist“. Ein ebenso großer Anteil der Bevölkerung denkt inzwischen latent antisemitisch. Vor dem Hintergrund dieser besorgniserregenden Entwicklungen stellt sich die Frage, inwiefern die Idee einer souveränen Demokratie der Realität entspricht – und wie eine solche das Aufkommen rechtsextremer Gesinnungen wirksam bekämpft.

Vertreter der deutschen Zivilgesellschaft wie etwa Peter Knuff, der Vorsitzende des Bundesverbands deutscher Vereine und Verbände, konnten darauf bisher keine zufriedenstellende Antwort geben: Man habe keine Konzepte parat, um neonazistischen Kräften in Vereinen Einhalt zu gebieten. Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde, Kenan Kolat, regte an, diesen Fragen auf einem „Gipfel gegen Rassismus“ nachzugehen. Freilich entfalteten solche Initiativen in der Vergangenheit allenfalls symbolpolitische Wirkung – wie auch die Erfahrung mit dem am Dienstag abgehaltenen Integrationsgipfel zeigt.

In einer solchen Situation würde eine Abschaffung des Verfassungsschutzes dem typischen Verlauf medialer Aufmerksamkeit entsprechen, in der sich die Aufregung über den Skandal zeitnah in kurzfristigen und öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen entlädt, selten aber in mühsamen institutionellen Reformen mündet. Dabei wären diese dringend nötig. Denn: Eine der Ursachen für das desaströse Verhalten der Verfassungsschutzbehörden liegt in ihrer föderalen, unübersichtlichen Struktur. 16 verschiedene Landesbehörden, zwischen denen vertrauliche Informationen mehr oder weniger frei zirkulieren, entziehen sich leichter wirksamer politischer Kontrolle als eine zentrale Bundesbehörde. Diese Aufsichtspflicht müssen die politischen Verantwortungsträger wieder stärker wahrnehmen, weil Geheimdienste stets in einer demokratischen Grauzone operieren. Deswegen sollte die Politik dem Verfassungsschutz künftig enge rechtliche Grenzen setzen, über deren Abmessungen sie nun neu befinden und deren Einhaltung sie sorgfältiger kontrollieren muss. Vorher aber muss der parlamentarische Untersuchungsausschuss die behördlichen Verfehlungen aufarbeiten, um das erschütterte Vertrauen in eine zentrale Institution einer streitbaren Demokratie wiederherzustellen.

Sollten die Bürger der Bundesrepublik diese notwendigen Schritte aber allein der politischen Klasse überlassen, könnten diese in bekannten Bahnen verlaufen: Auf den Skandal folgen politische Kurzschlüsse wie Fachgipfel und Aktionspläne, nicht aber institutionelle Reformprozesse, die mit hohen politischen Kosten verbunden wären. Angesichts der besorgniserregenden politischen Haltungen einer großen Minderheit in der Bundesrepublik sollten deren Bürger die Politik zu echten verfassungsschutzpolitischen Veränderungen drängen, statt sich selbst zu entwaffnen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Angelo D'Abundo

Das sehe ich nicht so.

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