Eine schrecklich nette Familie

150. Geburtstag Die Berliner SPD-Prominenz feiert bei Kaffee und Kuchen mit ihrer Basis. Aber wie ist er eigentlich so, der Genosse von heute?
Ausgabe 21/2013
Eine schrecklich nette Familie

Foto: Johannes Groß

Vor einem Fachwerkhaus im Berliner Bezirk Tempelhof haben sich viele alte Leute versammelt. Gemächlich arbeiten sich einige in den mit roten Fähnchen und Ballons dekorierten Garten des Grundstücks vor. Die Polizei ist auch da. Zwei schwarze BMW-Limousinen rollen vor. Die Tür springt auf, ein breitschultriger Personenschützer betritt die Einfahrt der Villa. Ein grauhaariger Anzugträger mit roter Krawatte steigt aus, und zieht die Blicke der Anwesenden auf sich. Er schreitet grinsend auf die im Hof wartenden Menschen zu. „Grüß Dich, Klaus! Na? Lange nicht gesehen!“ Klaus, so wird hier der Berliner Bürgermeister Wowereit genannt.

Er braucht einige Minuten, bis er sich händeschüttelnd in den Garten der Villa vorgearbeitet hat. Hier feiert der SPD-Kreisverband Tempelhof-Schöneberg an diesem warmen Freitagnachmittag das 150-jährige Bestehen der Partei. Das ist SPD, live und unplugged: Parlamentarier treffen auf Provinz, der Regierende Bürgermeister auf die kleinen Leute. Hier müsste doch jemand erklären können, was es 2013 bedeutet, Sozialdemokrat zu sein. So genau weiß das ja gerade niemand mehr.

Arbeiterlied zum Aufwärmen

Im Garten sind weiße Tische aufgestellt, die Genossen haben auf grünen Plastikstühlen Platz genommen. Das ist sie also, die legendäre Basis der ältesten deutschen Volkspartei. Der Durchschnittssozi ist männlich und jenseits der 50, er trägt kurzärmliges Karohemd, und gern die Farbe Beige. Vor einem Schuppen im Garten haben sich die Amtsträger aufgereiht, die Arbeitssenatorin Dilek Kolat ist gekommen, die Bundestagsabgeordnete Mechthild Rawert auch. Aus den aufgestellten Lautsprechern setzt ein altes Arbeiterlied ein, die Zeremonie beginnt. Oder die Folklore. Einige Sozis singen mit, der Rest erduldet die Ruhestörung, ohne eine Miene zu verziehen. Nach der Begrüßung redet sich Rawert am Mikrofon in Rage: „Es wird eine rot-grüne Bundesregierung geben. Wir werden gewinnen!“

Etwa hundert Gäste nehmen das rauchend und kaffeetrinkend zur Kenntnis. Dann wird das Büffet eröffnet, es gibt Kuchen. Die Basis setzt sich in Bewegung.

Es beginnt zu regnen, jemand reicht Wowereit einen Regenschirm. „Das Wichtigste ist, dass der Bürgermeister einen Schirm hat“, stichelt ein junger Genosse, Anfang zwanzig, der sich etwas abseits hält. Und wofür steht die SPD sonst noch? „Das Problem ist, dass uns die CDU alle Themen weggenommen hat.“ Er holt zu einer routinierten Einschätzung der Lage aus. Wowereit betreibt derweil weiter Basispflege. Unter seinem großen Schirm dürfen ein paar Genossen seinen Späßen lauschen.

„Das muss unter uns bleiben“ sagt der junge Genosse verschwörerisch, und macht eine Pause. „Viele Genossen sagen: ‚Wir werden die Wahl verlieren.‘“ Die Wahl verlieren? Das darf doch nicht wahr sein, Defätismus bei der Geburtstagsfeier. Viele Beobachter, fährt der junge Genosse fort, machten dafür den Zickzackkurs seit den rot-grünen Regierungsjahren verantwortlich. Weder die Wähler noch die Basis wüssten, wofür die SPD noch gut sei.

Warum also sollte man 2013 in die SPD eintreten? Ich frage einen, der seit 1957 Genosse ist, Typ Fels in der Brandung. Vorhin stand er noch beim Bürgermeister unter dem Schirm, jetzt sitzt er bei Bratwurst und Kartoffelsalat. „Man muss sehen, was die SPD in den Zwanzigern gesellschaftlich in Bewegung gesetzt hat“, sagt der Ursozi. Nach einem historischen Exkurs räumt er ein, mit der gegenwärtigen Politik der Partei auch nicht immer einverstanden zu sein. „Da wird vieles überhastet jemacht.“ Hat er schon mal an Austritt gedacht? „Daran denkt man in der SPD fast täglich.“

Jeder wollte mal austreten

Die Tischgesellschaft findet das lustig, die Hemden der Männer spannen beim Lachen über den Bäuchen. „Aber alte Fahrenspferde verlassen ihren Wagen nicht“, schiebt der Ursozi nach und widmet sich wieder seiner Bratwurst. Einige Meter weiter steht Wowereit und schäkert mit Damen mittleren Alters. Sind die Sozis nur Sozis, wenn sie ständig ans Hinwerfen denken? Helmut Schmidt, Oskar Lafontaine, Gerhard Schröder und Thilo Sarrazin – die Geschichte der SPD ist auch eine der Spalter. Ständig fühlt sich da irgendwer verraten. Daraus müssten die Genossen an der Basis doch Konsequenzen ziehen! Sich wehren, irgendwie.

Die Historikerin Helga Grebing diskutiert jetzt mit dem ehemaligen Bürgermeister Walter Momper, der heute auf seinen berühmten roten Schal verzichtet hat und ein basisnahes Kurzarmhemd trägt. An der Wand des kleinen Saals der Villa prangt ein altes Wahlkampfplakat von Gerhard Schröder. Ein Zuhörer fragt, ob Grebing schon mal austreten wollte. „Wenn wir darüber sprechen, werden wir heute nicht mehr fertig.“ Gelächter. „Die SPD verwirrt die Menschen“, ruft Grebing. Betretenes Nicken.

Im Garten spielt unterdessen eine Frauenband, ein Helfer bringt noch mehr Kuchen, die Genossen sind auf Pils umgestiegen. Eine überzeugte Sozialdemokratin finde ich dann doch noch. Sie ist Mitglied seit 1994, trägt Kurzhaarschnitt und hat wache Augen. „So wie es jetzt in Deutschland ist, kann es nicht bleiben“, sagt sie. „Deswegen müssen Sie die SPD wählen. Denn die steht für gesellschaftliche Erneuerung.“ Aha. Hinter uns trällert die Band „Let me get to know you“. Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen und erwähne den großen Buhmann Gerhard Schröder.

„Mit Schröder war ich nicht einverstanden. Seine Ablehnung des Irak-Kriegs hat mich aber überzeugt“, sagt die Basisfrau. Also doch alles paletti in der SPD? „Manchmal ist es unerträglich, da würde ich am liebsten selbst kandidieren.“ Sie klopft auf den Tisch. „Es müssen erst Sozis gehen, bevor die SPD wieder zu sich findet.“ Erschöpft notiere ich: Ein echter Sozi zweifelt täglich an seiner Partei. Ist das alles, Genossen? Vor mir buddelt ein kleiner Junge geduldig Löcher in den Rasen, in die er SPD-Fähnchen steckt. „Was machst Du da?“ Er sieht mich entgeistert an. „Na, ich will den Rasen hier rot machen!“ Wowereit ist da schon wieder woanders.

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