Holz für den Klimakiller

Tagebau Seit Jahren kämpfen Umweltschützer gegen die Rodung des Hambacher Forst für den Braunkohleabbau. Nun hoffen sie auf eine politische Kehrtwende

Die beiden Areale, zwischen Köln und Aachen gelegen, sind längst zu Symbolen eines ungleichen Kampfes geworden. Auf der einen Seite der Hambacher Forst, das restliche Stück eines ehemals 5.000 Hektar großen, uralten Waldes und auf der anderen Seite, direkt daneben, das „größte Loch Europas", der Hambacher Tagebau, eine unfassbar riesige Grube mit Monsterbaggern, ähnlich einer Mondlandschaft. Hier Leben, Vielfalt, ursprüngliche Natur – dort Verwüstung, Öde, Ausdruck einer längst veralteten Energiewirtschaft. Das Sinnbild mag überzeichnet sein, doch nicht nur Umweltschützer empfinden das so. In den Augen vieler Menschen stehen die Rodungen von jährlich mindestens 70 Hektar Wald für die Gnadenlosigkeit, mit der das Management von RWE Power seine Erweiterungspläne für den Tagebau um jeden Preis umsetzen will. Über vier Jahrzehnte hinweg fielen sukzessive ingesamt 90 Prozent der ursprünglichen Waldfläche dem Tagebau zum Opfer.

Am Dienstag verschaffte das Oberverwaltungsgericht Münster dem Konflikt um den Hambacher Forst eine Atempause. Auf Antrag des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) verfügte es einen vorübergehenden Rodungsstopp. Die Entscheidung in der Hauptsache jedoch könnte zugunsten von RWE ausfallen. Dann – vermutlich in einigen Wochen – würden die Sägen erneut aufheulen, begleitet von einem Großeinsatz der Polizei und entschiedenen Protesten, so wie zu Beginn der Woche. RWE kann sich hierbei der Unterstützung durch die Landesregierung und die Polizei sicher sein. In Nordrhein-Westfalen ist das seit jeher politische Selbstverständlichkeit.

Der Konzern wird hofiert

Dirk Jansen, Geschäftsführer des BUND in NRW beobachtet die enge Verflechtung von Politik und Verwaltung mit dem größtem Arbeitgeber der Region schon seit Jahren. Besonders willfährig scheint die zuständige Bergbaubehörde der Bezirksregierung Arnsberg zu sein. „Ich habe noch nie erlebt, dass diese Behörde zu Ungunsten von RWE entschieden hätte. Sie begreift sich ganz klar als Erfüllungsgehilfe des Konzerns." Jansen weiß, wovon er redet, Anlässe, gegen das Bergbauamt zu klagen, gab es immer wieder. So auch dieses Jahr: Die Klage richtet sich gegen die Zulassungen des 3. Rahmenbetriebsplans von RWE sowie den aktuellen Hauptbetriebsplan, der auch die anstehenden Rodungen umfasst. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung fand nicht statt, obwohl sie laut Jansen vorgeschrieben ist. Sie hätte ergeben, dass der 12.000 Jahre alte Wald nicht gerodet werden darf – und nie hätten abgeholzt werden dürfen. Das besonders hochwertige, von Maiglöckchen, Stieleichen und Hainbuchen geprägte Ökosystem beherbergt europarechtlich geschützte Tierarten – darunter die Bechsteinfledermaus, den Springfrosch und die Haselmaus. Allein deswegen hätte es unter Naturschutz gestellt werden müssen. Das jedoch wurde bisher von jeder NRW-Landesregierung konterkariert.

Marsch durch die Instanzen

Die Klage des BUND wurde letzten Freitag vom Verwaltungsgericht Köln abgewiesen. Einige Beobachter vermuten, das Urteil habe lange vorher festgestanden. Jansen sieht es ein wenig anders, denn die Richter waren drei Tage zuvor immerhin um einen Vergleich bemüht. Sie legten RWE nahe, den Wald vorerst zu verschonen. Angesichts der laufenden Debatte über den genauen Zeitpunkt des Kohleausstiegs sei es voreilig, jetzt Tatsachen zu schaffen. „Wir hätten uns vor Gericht durchaus einigen können," sagt Jansen. „Doch es war offensichtlich, dass RWE kein Interesse an einem Kompromiss hat." Auch die Vertreter des Bundeslandes lehnten einen Vergleich kategorisch ab. Dabei könnte der Konzern unter Einbeziehung alternativer Flächen ausreichend Braunkohle fördern und trotzdem das letzte Stück Wald unbeschadet lassen.

Durch den Rodungsstopp wurde Zeit gewonnen – neuer Spielraum für eine Einigung. Allerdings blieb der an RWE gerichtete Appell des BUND, über den Vergleichsvorschlag nochmal nachzudenken, bisher unbeantwortet. Jansen sieht deshalb vor allem Armin Laschet (CDU) in der Pflicht, zu vermitteln. Bisher hat sich der Landesvater mit keinem Wort zum Konflikt geäußert. Das könnte sich heute ändern, denn das Thema wird auf Antrag der Grünen im Landtag diskutiert.

Sollte der Energieriese unnachgiebig bleiben, und sollte er vor Gericht in zweiter Instanz gewinnen, dann wird es kein strahlender Sieg sein. Denn der Rückhalt, den RWE bei Kommunen, Gewerkschaften und der politischen Elite im Rheinland genießt, ist vor allem erkauft. Das allgemeine Stimmungsbild jedoch hat sich geändert. Eine starke, schnell wachsende Klimabewegung, Proteste und Statements während des Klimagipfels in Bonn sowie ein neues Umweltbewusstsein in der Bevölkerung haben in den letzten Wochen dazu geführt, dass bei den Sondierungsgesprächen ein schnellerer Kohleausstieg in greifbare Nähe rückte. Wäre es nicht zum Abbruch der Jamaika-Verhandlungen gekommen, hätten sich die vier Parteien höchst wahrscheinlich darauf geeinigt, bis 2020 Kohlemeiler in der Größenordnung von 7 GW vorzeitig stillzulegen. Es hätte die ältesten und ineffizientesten Blöcke getroffen, vor allem die von RWE. Weisweiler, das älteste Kraftwerk, wird aus dem Tagebau Inden beliefert. Die meiste Braunkohle aus dem Hambacher Tagebau landet jedoch in Uraltmeilern von Neurath und Niederaußem. Rechnet man die Blöcke der zukünftigen „Sicherheitsreserve" hinzu, wären dort, im Hambacher Einzugsgebiet, mindestens 10 Meiler mit 4 GW vom Netz gegangen. Allein damit hätte man über 30 Millionen Tonnen CO2 und etwa genauso viele Tonnen Braunkohle eingespart. Mit seiner Ausbeute von derzeit etwa 39 Millionen Tonnen Braunkohle – von denen zwölf Millionen anderen Zwecken dienen als der Befeuerung von Kraftwerken – wäre der Hambacher Tagebau im Jahre 2020 betriebswirtschaftlich beinah nutzlos. Die Rodung des Waldes ist in jedem Fall sinnlos – erst Recht mit einem schnelleren Kohleausstieg, der politisch immer noch möglich ist.

„Aus Respekt vor demokratischen Entscheidungsprozessen sollte RWE keinen weiteren Baum im Hambacher Wald fällen, angesichts der anstehenden Entscheidungen über einen Kohleausstieg," so heißt es in einem am Freitag veröffentlichten Appell an RWE, der von über 50 Organisationen und Firmen unterzeichnet wurde.

Leben an der Abbruchkante

Bei vielen Menschen, die sich für den Erhalt des Hambacher Waldes einsetzen, ist inzwischen das Hoffen stärker als das Bangen. Auch Karla ist optimistisch: „Wir haben jetzt die Chance, dass aus dem vorläufigen ein endgültiger Rodungsstopp wird."

Sie wohnt in Wegberg nicht weit von der nördlichen Abbruchkante des Tagebaus entfernt. Die Stadt ist zwar nicht von einer Zwangsumsiedlung bedroht. Doch Risse in Häusern oder andere Auswirkungen der Absenkung von Boden und Grundwasser sind auch hier präsent. Die nahe gelegenen Wasserpumpen laufen Tag und Nacht, um die Grube trocken zu halten. Inzwischen ist vielen Bewohnern klar, dass es Jahrzehnte, wenn nicht gar Jahrhunderte dauern kann, bis sich nach Schließung der Tagebaue der Wasserpegel wieder normalisiert hat.

Vor gut zwei Jahren, bei einem der geführten Waldspaziergänge mit Michael Zobel wurde Karla bewusst, welche Naturschätze durch den Tagebau verloren gehen. Danach wollte sie den Rodungen nicht mehr tatenlos zusehen. Großen Respekt hat sie vor den Waldbesetzern – davor, dass sie, in Baumhäusern wohnend, ihr ganzes Leben danach ausrichten, den Wald und das Klima zu schützen. Dass die Aktivist*nnen allzu oft von Polizei, Politikern und Medien kriminalisiert werden, macht sie wütend. „In der heißen Phase wird oft behauptet, dass Steine geflogen seien. Das dient der Polizei dann als Vorwand für den Einsatz von Pfefferspray und Schlagstöcken." Auch dieses Mal wurde es behauptet. Einen Beweis dafür gibt es nicht. Auf keinem der Videos oder Fotos, die im Umlauf sind, sieht man fliegende Steine oder von Steinen beschädigte Einsatzfahrzeuge. Man sieht vor allem friedlich protestierende Menschen und eine Polizei, die Pfefferspray einsetzt. Inzwischen sind es übrigens nicht nur die Waldbesetzer, die den Polizeiketten gegenüberstehen. Auch zu den aus Protest stattfindenden Waldspaziergängen im Hambacher Forst reisen mittlerweile Menschen von nah und fern an.

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