Nehmen wir an, die Pazifikinsel Tuvalu wird – ein wahrscheinliches Szenario – irgendwann zwischen 2050 und 2100 unbewohnbar, vom ansteigenden Meeresspiegel einfach weggespült: Wem dürfte Tuvalu seine Folgekosten dann in Rechnung stellen? Wenn der Inselstaat beweisen könnte, dass er der Erderwärmung als direkter Folge des Treibhauseffekts zum Opfer gefallen ist, wäre es dann nicht naheliegend, eines jener 100 Unternehmen als Verursacher zur Verantwortung zu ziehen, die zusammen für 70 Prozent aller Treibhausgasemissionen verantwortlich sind?
Tuvalus Problem ist einzig und allein: Bis heute ist es denkbar schwierig, das Verursacherprinzip in Sachen Klimaschutz durchzusetzen. Ebendiese 100 Firmen, die am meisten CO₂ ausstoßen, wurden bisher weder von Parlamenten noch von Regierungen dazu verpflichtet, für den von ihnen verursachten Schaden aufzukommen. Die Regierungen selbst drücken sich vor ihrer Aufgabe, die schlimmsten Auswirkungen der Erderwärmung durch drastische CO₂-Reduktion zu verhindern. Nach dem Klimaschutz-Index 2019 erbringt kein einziges Land seinen erforderlichen Beitrag, um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen.
Dieses Versäumnis führt dazu, dass immer mehr Organisationen und Einzelpersonen die Justiz bemühen: Weltweit nehmen Klimaklagen stetig zu, 2018 waren es bereits über 1.000. Dabei müssen die Kläger enorme Hürden überwinden, denn derzeit gibt es kaum Klimagesetze, auf die sie sich berufen können. Sie müssen behelfsweise auf andere Rechtsnormen zurückgreifen: aus dem Verwaltungs-, dem Umwelt- oder Zivilrecht sowie dem Verfassungsrecht oder auf Menschenrechtsnormen, deren Rechtsgrundsätze auf den Klimaschutz anzuwenden sind – in vielen Fällen juristisches Neuland.
Gerichte in einigen Ländern haben bereits anerkannt, dass Klimaschutz ein Menschenrecht ist. Ob es auch Völkerrecht ist, wird eine Klage zeigen, die – unterstützt von der Nichtregierungsorganisation ClientEarth – im Mai 2019 vor dem Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen eingereicht wurde. Bewohner der pazifischen Torres-Strait-Inseln fordern darin von Australien drastische Maßnahmen, um den Meeresspiegelanstieg, der ihre Existenz bedroht, aufzuhalten.
Wenn Maßnahmen gegen den Klimawandel auf dem Klageweg durchgesetzt werden sollen, sind für Antragsteller zwei hohe Hürden zu überwinden. Die erste lautet „Klagebefugnis“: Wer unter welchen Umständen überhaupt Zugang zu einem Gericht bekommt, ist je nach Rechtssystem verschieden. Im Falle der „Urgenda-Klage“ kam ein niederländisches Gesetz zum Tragen, das es NGOs ermöglicht, einen Prozess im Interesse der Allgemeinheit zu führen. Das EU-Recht dagegen verlangt von Antragstellenden den Nachweis einer exklusiven Betroffenheit.
Auch in den USA, wo die weitaus meisten Klimaklagen eingereicht werden, landen nur wenige Fälle vor Gericht. Einer der bekanntesten Prozesse ist der Fall „Juliana vs. United States“. Eine Jugendgruppe klagt dabei an, die Regierungspolitik beraube ihre Generation existenzieller Grundrechte in der Zukunft, und fordert drastische Maßnahmen zur CO₂-Reduktion. Die Trump-Administration versuchte das Verfahren beim Supreme Court zweimal zu unterbinden – ohne Erfolg.
Im Allgemeinen sind US-Richter jedoch höchst vorsichtig dabei, sich in die Politik einzumischen. Die Klagen der beiden Städte San Francisco und Oakland gegen fünf Ölkonzerne wurden abgewiesen, weil es Aufgabe der Gesetzgeber und nicht der Gerichte sei, die „Vor- und Nachteile der fossilen Energie“ gegeneinander abzuwägen. Ganz chancenlos ist die neue Klagewelle aber nicht, mit der Städte – darunter New York – von Ölkonzernen Schadensersatz für Klimaschutzmaßnahmen wie den Bau von Dämmen einfordern. Wäre nur eine dieser Klagen erfolgreich, hätte das eine große Signalwirkung.
Welches Kraftwerk ist schuld?
Die zweite Hürde, die es zu nehmen gälte, ist jene der „Kausalität“. Da am Klimawandel zahlreiche verschiedene Verursacher beteiligt sind, können Klimaschäden einem einzelnen Emittenten kaum direkt zugeordnet werden. Die Frage ist dann, ob Gerichte die dennoch bestehenden Zusammenhänge als einklagbar ansehen und einzelne Unternehmen verantwortlich machen. Die dafür nötigen Beweise sind oft schwer zu erbringen, weshalb der Wissenschaftliche Beirat Globale Umweltveränderungen (WBGU) fordert, die Beweislast in solchen Fällen umzukehren. Möglich würde das erst mit einer Weiterentwicklung des Rechts. Nichtsdestotrotz gab es aber bereits einige Klimaklagen, die erfolgreich abgeschlossen wurden, unter anderem in Pakistan, den Niederlanden, Kolumbien, Südafrika, Australien und den USA.
1. Die Urgenda-Klage
Zusammen mit 886 Einzelpersonen reichte die Urgenda-Stiftung 2013 Klage gegen die niederländische Regierung ein, weil diese das Klimaziel der Vorgängerregierung abgeschwächt hatte. Das sei, so die Kläger, weder mit der Fürsorgepflicht des Staates noch mit den Menschenrechten vereinbar. Im Wesentlichen folgte das Gericht der Argumentation und wies die Regierung 2015 an, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 25 Prozent gegenüber dem Wert von 1990 zu reduzieren (statt der geplanten 17 Prozent). Die Kläger hatten ein noch höheres Reduktionsziel gefordert. Kritiker bemängeln deshalb, das Urteil ersetze zwar ein schlechtes Klimaziel durch ein weniger schlechtes, zementiere aber das letztere, das selbst noch ungenügend sei. Mit dem 1,5-Grad-Ziel ist es nicht kompatibel. Der Vergleich mit deutschen Zielen hinkt jedoch, denn die Pro-Kopf-Emission war 1990 in Deutschland deutlich höher als in den Niederlanden. In jedem Fall schrieb das Urteil Geschichte und ermutigte zu weiteren Klimaklagen weltweit. Von einem Berufungsgericht wurde es 2018 und Ende 2019 auch in letzter Instanz bestätigt.
2. BUND vs. BuReg
Mit einer Ende 2018 eingereichten Verfassungsbeschwerde wollen mehrere Einzelpersonen sowie die Umweltschutzorganisation BUND e. V. und der Solarenergie-Förderverein erreichen, dass die Bundesregierung stärkere Maßnahmen ergreift, um die Erderwärmung auf das in Paris vereinbarte Ziel von 1,5 Grad zu begrenzen. Laut Professor Felix Ekardt, der die Klage vertritt, muss das Verfassungsgericht nun prüfen, ob der Bundestag die Konsumenten- und Unternehmensfreiheit einerseits sowie elementare Freiheitsvoraussetzungen wie das Recht auf Leben, Gesundheit und Existenzminimum andererseits korrekt gegeneinander abgewogen hat. Ein Erfolg der Kläger hätte Signalwirkung weit über Deutschland hinaus. Es wäre dann rechtlich bestätigt, dass mit dem Klimawandel Menschenrechte massiv verletzt werden und wirksame Klimapolitik nicht im Belieben der parlamentarischen Mehrheit steht. Generell werden Verfassungsbeschwerden selten verhandelt. Da das Gericht die Bundesregierung bereits zu einer Stellungnahme aufforderte, so meinen einige Beobachter, habe die Klage überdurchschnittlich hohe Erfolgschancen.
3. Die Greenpeace-Klage auf Vollzug
Mit ihrer Verwaltungsklage forderten Greenpeace und drei vom Klimawandel betroffene Bauernfamilien vor allem die Einhaltung des Klimaziels 2020 – die CO₂-Reduktion um 40 Prozent gegenüber 1990. Außerdem sollte der jahrelange Überhang an Emissionen ausgeglichen und die Lücke zur Erfüllung einer EU-Richtlinie geschlossen werden, die Deutschland bis 2020 zur Treibhausgas-Senkung um 14 Prozent gegenüber 2005 für die Bereiche Wärme, Landwirtschaft und Verkehr verpflichtet. Bisher wurde nur eine Reduktion um 3 Prozent erreicht. Dem Hauptargument der Kläger, wonach das Klimaziel 2020 Gesetzescharakter erhält, da sich Verwaltung und Regierung mehr als zehn Jahre lang darauf bezogen, folgten die Richter nicht. Laut Urteilsbegründung sei das Ziel durch die Beschlussfassung zum Klimaschutzgesetz abgelöst worden und damit hinfällig. Deshalb verzichteten die Kläger auf eine Berufung, auch wenn sie die neuen Klimaziele für unzureichend halten.
4. Saúl vs. RWE
Dem peruanischen Bauern Saúl Luciano Lliuya – sowie Teilen der Andenstadt Huaraz – droht eine Flutkatastrophe, weil steigende Temperaturen und die fortschreitende Gletscherschmelze einen See oberhalb von Huaraz anschwellen lassen. Wie lange die Wälle noch halten, ist ungewiss. 2015 verklagte Saul den größten CO₂-Emittenten Europas, RWE, vor einem deutschen Zivilgericht auf rund 17.000 Euro Schadensersatz. Diese Summe entspricht 0,47 Prozent der Kosten für die notwendigen Schutzmaßnahmen am Gletschersee. Nach dem „Carbon Majors Report“ ist der Konzern zu genau diesem Anteil für die weltweiten Emissionen seit Beginn der Industrialisierung verantwortlich. Diesen Ursachenzusammenhang hat das Gericht in zweiter Instanz grundsätzlich anerkannt – eine juristische Neuheit. Die Beweisaufnahme ist jedoch langwierig und kostenintensiv. Offen ist vor allem, ob zur Zufriedenheit des Gerichts nachgewiesen werden kann, dass die Gletscherschmelze an genau diesem Ort vom menschengemachten Klimawandel verursacht wird.
5. People’s Climate Case
Zehn Familien und ein Jugendverband, Betroffene aus sechs verschiedenen EU-Staaten sowie Kenia und Fidschi reichten im Mai 2018 Klage beim Gericht der Europäischen Union (EuG) ein, um einen wirksamen Grundrechtsschutz durch europäische Klimapolitik zu erstreiten. Sie fordern, durch Nachbesserung dreier Rechtsakte den jetzigen Treibhausgas-Reduktionspfad zu korrigieren, sodass die Emissionen bis zum Jahr 2030 nicht um 40, sondern um 50 bis 60 Prozent gegenüber 1990 gesenkt werden. Ein Jahr später wies der EuG die Klage als unzulässig ab, da die Antragstellenden nicht einzig und allein vom Klimawandel betroffen und deshalb nicht klagebefugt seien. Diesen Beschluss lassen die Kläger nun vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) überprüfen. Sie heben hervor, dass eine Rechtsprechung nicht mehr haltbar sei, die Rechte umso weniger einklagbar mache, je mehr Menschen betroffen seien. Entscheidend müsse vielmehr die Wesentlichkeit und Intensität des Eingriffs sein, gerade im Falle drohender oder bereits eingetretener Menschenrechtsverletzungen. Sollte der EuGH die Klage als zulässig anerkennen, würde das Hauptverfahren fortgesetzt werden.
6. Das Tribunal gegen die „Carbon Majors“
2015 reichten Opfer des Taifuns Haiyan sowie die Umweltschutzorganisation Greenpeace Southeast Asia eine Beschwerde vor der philippinischen Menschenrechtskommission ein. Sie beschuldigten 47 börsennotierte Kohle-, Öl- und Gaskonzerne, die Menschenrechte des philippinischen Volkes missachtet zu haben. Die Konzerne seien nach dem „Carbon Majors“-Bericht für insgesamt 21,71 Prozent der kumulativen Treibhausgasemissionen und damit auch für die negativen Auswirkungen des Klimawandels auf den Philippinen verantwortlich. Das Tribunal kann zwar keine Anordnungen mit Gesetzeskraft erlassen, aber seine Untersuchungsergebnisse und Empfehlungen haben Signalwirkung für andere Urteile. Nach vier Jahren mit zahlreichen Anhörungen und Zeugenaussagen erklärte die Kommission am 9. Dezember 2019 in einem ersten Bericht, dass die „Carbon Majors“ Verantwortung für den Schutz der durch den Klimawandel verletzten Menschenrechte tragen. Sie können – laut Kommission – als Verursacher der von ihren Emissionen angerichteten Schäden belangt werden.
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