Sie liefern Brennstoff für Atomkraftwerke in aller Welt und dürfen nach derzeitiger Gesetzeslage weiterlaufen bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag: die Urananreicherungsanlage im westfälischen Gronau und die Brennelementefabrik im niedersächsischen Lingen. Offiziell hat Deutschland den Atomausstieg beschlossen, aber nach dem Abschalten des letzten Reaktors dürfen diese beiden Uranfabriken immer noch produzieren, sie besitzen eine unbefristete Betriebsgenehmigung. Doch das könnte sich bald ändern. Die rot-grünen Landesregierungen in Hannover und Düsseldorf machen Druck, und Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) zeigt sich jetzt offen für eine Diskussion über eine Schließung der Anlage in Gronau.
Bisher wurden die zwei Uranfabriken von der Politik weitgehend ignoriert. Im rot-grünen Atomausstieg kamen sie nicht vor, der Atomausstieg von Merkel im Jahr 2011 beschränkte sich ebenfalls auf die kommerziellen Reaktoren. Die damalige Empfehlung des Bundesrats, auch die Laufzeit der beiden Uranfabriken zu begrenzen, versickerte schnell im Sande. Und auch die Atomaufsichtsbehörden von Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen kamen den Betreibern Urenco und ANF in den vergangenen Jahren nicht ins Gehege – trotz der kritischen Haltung der grünen Umweltminister und trotz der Vereinbarung im nordrhein-westfälischen Koalitionsvertrag, die Urananreicherung „rechtssicher“ zu beenden.
Erst mit den Pannen und den Protesten gegen die Uralt-Reaktoren in Belgien und Frankreich gerieten die beiden deutschen Anlagen wieder stärker in den Blickpunkt von Öffentlichkeit und Politik. So wurde bekannt, dass die Lingener Fabrik das störanfällige AKW im belgischen Doel und französische Risikoreaktoren in Fessenheim und Cattenom mit Brennstäben versorgt. Im belgischen Tihange wird zudem Uran eingesetzt, das in Gronau angereichert wurde. Bereits Ende vergangenen Jahres hatten Atomkraftgegner einen Exportstopp für den Brennstoff gefordert. Dafür gäbe es keine rechtliche Handhabe, hieß es Monate später aus dem Bundesumweltministerium.
Dem widerspricht jedoch ein Rechtsgutachten, das die atomkraftkritische Ärzteorganisation IPPNW in Auftrag gegeben und kürzlich vorgestellt hat. Die „weitere Belieferung der Atomkraftwerke in Doel, Fessenheim und Cattenom mit in Deutschland hergestellten Brennelementen“, so heißt es darin, sei „nicht nur in hohem Maße widersprüchlich. Sie ist auch mit dem geltenden Recht nicht vereinbar.“ Die Juristin Cornelia Ziehm beruft sich dabei auf den Paragrafen 3 des Atomgesetzes, wonach die Kernbrennstoffe nur dann eine Ausfuhrgenehmigung erhalten dürfen, wenn sie „nicht in einer die innere oder äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdenden Weise verwendet werden“.
Laut Gutachten müssen „objektive Anhaltspunkte“ für die Sicherheit des Kraftwerks vorliegen, in dem der Brennstoff zum Einsatz kommt. Nicht die Standards des Nachbarstaates seien für diese Bewertung maßgeblich, sondern die in Deutschland geltenden Vorschriften. Die Anlagen in Doel, Fessenheim und Cattenom dürften nach dem deutschen Atomgesetz nicht mehr betrieben werden. Das zuständige Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle müsse daher Brennstabexporte zu diesen Kraftwerken unterbinden und notfalls Genehmigungen widerrufen. Die Aufsicht darüber hat die Bundesumweltministerin.
Hendricks hat öfters Sicherheitsbedenken gegenüber den belgischen Reaktoren geäußert, im April sogar die belgische Regierung gebeten, zwei Blöcke „bis zur Klärung offener Sicherheitsfragen“ herunterzufahren. Trotzdem hat das Ausfuhramt im Frühjahr neue Exportgenehmigungen erteilt. Bis April 2018 darf die ANF insgesamt 50 Mal Brennelemente zum AKW Doel liefern – mehr als dreimal so viel wie sonst üblich. Matthias Eickhoff vom Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen ist alarmiert. „Mit der Lieferung ermöglicht Hendricks den Weiterbetrieb eines Reaktorkomplexes, den sie selbst öffentlich kritisiert. Sie muss das Bundesamt schnellstens anweisen, diese Genehmigung zu widerrufen.“ Auf Dauer, so seine Einschätzung, werde Hendricks ihr widersprüchliches Handeln nicht aufrechterhalten können.
Es gibt Zeichen der Hoffnung: Im Juni hatten die Umweltminister der Länder gefordert, die Uranfabriken in den Atomausstieg einzubeziehen, worauf Hendricks zunächst ablehnend reagierte. Vor kurzem jedoch zeigte sie in einem Brief an Nordrhein-Westfalens Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) ihre Bereitschaft, über eine Schließung der Urananreicherungsanlage Gronau zu verhandeln. Vielleicht klappt es eines Tages doch noch mit dem vollständigen Atomausstieg.
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