Kunst Springer-Chef Mathias Döpfner will in Potsdam Frauenkörper zeigen, wie Künstlerinnen sie sehen. Das Problem: Er hat die Ausstellung selbst kuratiert
Die Geschichte der Kunst ist die Geschichte des mächtigen weißen Mannes. In der Rolle des Sammlers, des Künstlers und des Kurators. Die Zeiten ändern sich, sehr langsam zwar, aber sie ändern sich. Die Tate Britain hängte kürzlich für ein Jahr die Werke von Männern ab, um nur Kunst von Frauen in der Sammlung zeitgenössischer Kunst zeigen zu können. Das gerade zu Ende gegangene Gallery Weekend in Berlin, im Jahr 2019 also, schwächelte leider mit einem Frauenanteil von nur 30 Prozent. Natürlich nicht ohne Protest. Das intersektionelle, feministische Kollektiv „Soup du Jour“ wurde gegründet, die Gruppe warnte: Achtung Weißwurst! Und witzelte, dass zu Weißwurst ja besonders gut Bier und Senf passen. In d
n den sozialen Medien wurde über das Berliner Weißwurstfestival gespottet. Natürlich können die Veranstalter des Gallery Weekend nichts für die Künstlerliste, weil jede Galerie für sich entscheidet, wen sie ins Programm nimmt. Ein Debakel blieb es trotzdem.Abramović, Trockel, ShermanUmso beeindruckender kam die Künstlerliste einer Gruppenausstellung daher, die am letzten Abend des Galerienwochenendes dafür sorgte, dass die Berliner Kultur- und Kunstprominenz fast geschlossen nach Potsdam in die Villa Schöningen, ein Privatmuseum, pilgerte. Wurst gab es auch hier reichlich, aber dort, wo sie hingehört: auf dem Grill neben Nackensteak. Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE, präsentiert erstmals öffentlich einen Teil seiner Sammlung, der Titel Nude. Female Bodies by Female Artists. Akte, also, weibliche Körper aus dem Blickwinkel von Künstlerinnen. Die Liste, wie gesagt, ist beeindruckend, sie liest sich wie das Who is Who von Frauen in der Kunst mit unter anderem Marina Abramović, Anne Imhof, Carolee Schneemann, Cindy Sherman, Rosemarie Trockel, Hannah Wilke und Martha Wilson.Sogar die jüngste Generation Künstlerinnen, die sich aktuell on- und offline mit Genderfragen beschäftigt, fehlt nicht. Die schwedische Künstlerin Anna Uddenberg und die britische Fotografin Juno Calypso beispielsweise zeigen die Frau im 21. Jahrhundert mal fremd- und mal selbstbestimmt gefangen in Stereotypen. Bei beiden besteht die Frau nur aus ihrem Körper, aus Oberflächen und Rundungen, die gefallen sollen. Schmerz und Melancholie sind ständige Begleiter bei der Arbeit am Körper im Dienst der Schönheit. Anfang der 90er Jahre ist das für die dritte Welle des Feminismus wichtige Buch Der Mythos Schönheit der amerikanischen Schriftstellerin Naomi Wolf erschienen. Damals prangerte sie an, dass Frauen in ihrem Leben von Schönheitsnormen beherrscht sind, sie wollen begehrenswert sein, sie eifern äußerlichen Idealen nach, die sie aus den Medien kennen. Heute gehen junge Frauen mit dem eigenen Selfie zum Schönheitschirurgen, weil ihnen Filter große Augen und hohe Wangen gezaubert haben.Man wähnte sich also in Potsdam maximal weit entfernt vom Vorwurf der Pimmelsuppe, der Dominanz des männlichen Geschlechts. Noch dazu, weil auf der Website der Villa Schöningen das Ziel der Schau vielversprechend angekündigt ist – da will sich jemand auf der Höhe der aktuellen Debatte über feministische Kunst positionieren und einen bedeutenden Beitrag leisten: „Im Vordergrund steht die Frage, ob es so etwas wie einen spezifisch weiblichen Blick auf den nackten Körper gibt. Oder ob solche Stereotypisierungen im feministischen Kontext Sehmuster prägen, die einer vorurteilsfreien Betrachtung jenseits der Geschlechter-Klischees nicht standhalten.“Der Kritik standgehalten hat die Ausstellung dann ersteinmal nicht. Silke Hohmann metzelt in Monopol unter dem Titel Das nackte Grauen das kuratorische Konzept mit den Worten nieder: „Die Ausstellung wirkt in Teilen wie eine Google-Bildrecherche, Suchbegriff ‚Vulva‘.“ Kito Nedo war bei der Formulierung seiner Kritik in der Süddeutschen Zeitung etwas zurückhaltender, sein Urteil ist deshalb nicht weniger vernichtend: „Eine Ausstellung mit Kunst von Frauen liefert nicht automatisch eine feministische Perspektive.“ Was ist da schiefgelaufen?Die Kunst von Frauen ist in die Hände eines Mannes gefallen. Daran ist selbstverständlich erst einmal nichts verkehrt. Nur: Mathias Döpfner hat die Ausstellung auch noch selbst kuratiert. Und das wirkt bisweilen, als hätte jemand Memory mit Kunstwerken gespielt und alle ähnlichen Werke in einem Raum versammelt. Da finden sich dann Arbeiten in einem Raum, die sich auf Gustave Courbets Skandalbild Der Ursprung der Welt von 1866 beziehen. Courbet wollte mit der Nahsicht auf eine behaarte Vulva mit den künstlerischen Konventionen brechen, seine Zeitgenossen waren schockiert. Die Fragestellung hätte lauten können: Was ist seither passiert? Eine chronologische Hängung hätte die Geschichte des weiblichen Blicks in der Kunst erzählen können. In den Wandtexten bemüht sich die Direktorin Ina Grätz darum, Bezüge zwischen den Arbeiten herzustellen und eine historische Entwicklung aufzuzeigen, was schwierig ist, wenn Paula Modersohn-Becker, Cindy Sherman und Juno Calpyso in einem Raum hängen und sie in jedem Raum aufs Neue entlang des Einzelfalls durch die Zeiten springend argumentieren muss.Die Ausstellung eröffnet die amerikanische Künstlerin Signe Pierce mit einer ihrer neuen Arbeiten, einem Liquid Painting, das gerade auch in ihrer ersten, von mir co-kuratierten Einzelausstellung in Deutschland im Lab der Galerie Eigen + Art in Berlin zu sehen ist. Ihr Selbstporträt, eine im Videoformat geloopte Fotografie, wird von einem Beamer auf eine Leinwand geworfen. Das Selbstporträt schwimmt in süßlichen Farben, in Lila und Pink, das Gesicht der hübschen Klischeeblondine verzieht sich immer wieder zu einer monströsen Grimasse. Die Frau im Bild schaut von oben mit der Kamera auf der Höhe ihres Geschlechts auf den Betrachter herab. Der männliche Blick prallt unbefriedigt an ihr ab, findet keinen Halt.Was sich also nicht alles seit Courbet verändert hat. Das muss sich der Besucher nur selbst zusammenreimen, weil die Werke, die davon erzählen könnten, so weit auseinander hängen und stehen. Fast genau an der gleichen Stelle, nur eben ein Stockwerk über Liquid Lust von Signe Pierce, findet sich ein Gemälde von Anne Imhof, die einmal mehr ihre Lebenspartnerin Eliza Douglas selbstbewusst ins Bild gebracht hat – ihr Mund ist weit aufgerissen wie in Edvard Munchs Gemälde Der Schrei. Wie immer lässt Douglas auch hier mit ihrem androgynen Körper die Grenzen zwischen den Geschlechtern verschwimmen.Wer darf was?Wie Silke Hohmann richtig angemerkt hat, geht es heute längst nicht mehr darum, was gezeigt werden darf, sondern um die Frage: Wer darf was? Boris Pofalla fragte sich gerade in der Welt, ob Chris Dercon, der ehemalige Volksbühnen-Intendant und jetzt Direktor des Pariser Grand-Palais, auf einem Panel im Berliner Soho-House sagen darf, dass gerade so viele unbekannte und vor allem weibliche Künstler wiederentdeckt werden, weil Museen und Sammler sie sich „noch leisten können“. Chris Dercon sagt das einfach, weil er Chris Dercon ist. Im Roman M des Autorinnen-Duos Anna Gien und Marlene Stark penetriert die prekär lebende Protagonistin immer wieder mit einem Umschnalldildo einen mächtigen Galeristen der Berliner Kunstszene. Wer darf was? Wer nimmt sich was heraus? Es geht um Fragen der Macht.Wenn Mathias Döpfner eine Ausstellung mit Werken aus seiner Sammlung selbst kuratiert, schreibt er sich unvermeidbar die Jahrhunderte alte Rolle des reichen Sammlers zu, der darüber entscheidet, wer seine Werke in welchem Kontext sieht. Seine Sammlung ist zeitgemäß, seine Fragestellung ist auf der Höhe aktueller feministischer Diskussionen – jetzt müsste er nur noch der Kunst das letzte Wort lassen.Placeholder infobox-1Placeholder authorbio-1
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