Körper trifft Welt

Sand Die Ausstellung „Touch“ lädt ihre Besucher in Berlin zum Ringelpiez mit dem Real Life ein. Antatscherei ist dabei überwiegend erwünscht
Ausgabe 40/2018

Der Starkurator Hans Ulrich Obrist sagte einst in einem Interview, dass er 20-mal pro Stunde Instagram checkt. Kurz überschlagen: Wenn er jedes Mal knapp eine Minute in der App verbringt, sind das 20 Minuten pro Stunde. Auf einen Arbeitstag von acht Stunden gerechnet, sind es 160 Minuten, also fast drei Stunden. Was man in der Zeit nicht alles machen könnte. Einen Marathon laufen beispielsweise oder ein Buch lesen oder, oder, oder.

Apple vollbringt mit dem neuesten Update seines Betriebssystems so etwas wie eine gute Tat. Jetzt kann man sich nämlich anzeigen lassen, wie viele Stunden am Tag man mit dem Smartphone in der Hand verbringt und wie viel Zeit in welcher App. Und als Maßnahme zur Selbstdisziplinierung und gegen Prokrastinationswut kann man sich von seinem Smartphone maßregeln lassen. Einfach einstellen, wie viel Zeit man sich in dieser und jener App gibt. Wenn die Zeit abgelaufen ist, mahnt das Smartphone. Wie beim Wecker kann man natürlich schummeln und mehr Zeit durch einen Tastendruck schinden, nur muss man es dann auch noch schaffen, das schlechte Gewissen auszutricksen.

Eine Katze hinter Glas

Studien zufolge checken Amerikaner im Durchschnitt alle zwölf Minuten ihr Smartphone, 80-mal am Tag wandern Blick und Finger zum mobilen Endgerät. Die neue Gesellschaft für bildende Kunst macht das und Berührung allgemein zum Thema einer Ausstellung, die denn auch kurz und knapp den Titel Touch trägt. Der Künstler Florian Meisenberg, der 2016 in der Schirn Kunsthalle seine Smartphone-Nutzung in Echtzeit in den Ausstellungsraum übertrug, lässt hier nun in seinem Video Wembley, farewell my concubine eine Katze vorführen, wie sehr wir uns nach Verbindung und Berührung sehnen. Die Katze sitzt im Schaufenster, streift an der Scheibe entlang, lässt sich sanft zu Boden gleiten und folgt dabei immerzu den Händen und Fingern des Künstlers, die vorgeben, sie zärtlich zu streicheln. Da die Fensterscheibe Katze und Künstler voneinander trennt, kommt es zu keiner Berührung, was für die Katze keinen Unterschied zu machen scheint, sie räkelt sich, als würde ihr der Kopf gekrault werden. Wenigstens, denkt man, vibriert so ein Smartphone mit seiner glatten Oberfläche noch ab und zu und deutet damit Berührung an.

Wer in die Ausstellung möchte, kommt an einer Berührung nicht vorbei. Ruth Buchanan hat einen pinken metallenen Vorhang, Split, Splits, Splitting, aufgehängt, den die Besucher zur Seite schieben müssen. Das Spiel mit Berührungen überhaupt ist omnipräsent in der von Bakri Bakhit, Nadja Quante, Anna Voswinckel und Maja Zimmermann kuratierten Gruppenschau. So offensichtlich wie im Eingangsbereich allerdings wird es nicht mehr.

Berührungen führen zu Verunsicherung, Kunst darf man eigentlich überhaupt nicht anfassen, nun ja, hier soll man jetzt? Oder doch nicht? Am Eröffnungsabend standen Besucher irritiert vor einem synthetischen Teppich, der wie ein monochromes Gemälde an der Wand hängt. Der Teppich wirkt weich und flauschig, einige Besucher fahren im Vorbeigehen mit der Hand unauffällig darüber. Schließlich ist es Kunst, im Zweifel ist berühren verboten. Cevdet Erek will aber genau das ausdrücklich. Um das zu wissen, muss man zumindest auf den Titel des schmalen Büchleins schauen, das nebenan auf einem Regalbrett liegt. How to imitate the sound of the shore using two hands and a carpet steht dort. Eine Arbeitsanweisung also, Strandgeräusche erzeugen, indem man mit den Händen den Teppich berührt. Wie das aussehen kann, führt Erek im Buch auf knapp 50 Seiten aus. Das Ganze geht natürlich auch ohne Ausstellung, nur mit Teppich. Jemand hat mit dem Finger eine strahlende Sonne gemalt, es verspricht ein schöner Tag am Strand zu werden.

Und es wird noch einmal aufregend, wenn man den Raum mit der Videoinstallation This You Is Me von Anike Joyce Sadiq betritt. Es ist sehr hell im Raum, ein weißes Blatt lehnt gerahmt an der Wand, beim Nähertreten fallen der eigene und fremde Schatten an die Wand, sie berühren sich, während die Menschen bemüht sind, sich beim Lesen der kleinen Schrift nicht zu nahe zu kommen. Das maximale Gegenteil dieses Erlebnisses im Ausstellungsraum – sich behutsam mit den Mitmenschen arrangieren – zeigt Robin Kirchner in seiner Fotoserie Pehlivan, türkisch für Ringkämpfer. Eingeölte Männer, nur mit einer Lederhose bekleidet, kämpfen miteinander. Die Aufnahmen sind düster, die Männer kommen sich körperlich sehr nahe, die Nähe suggeriert Vertrautheit und Zärtlichkeit. Dass hier gekämpft wird, ist zum Teil nur als Hintergrundinformation präsent.

Touch fordert den Besucher, sich Berührungen aus allen Blickwinkeln zu nähern. Von Dockarbeitern beispielsweise, die plötzlich von zu Hause aus per iPad anheuern sollen (Stephanie Kiwitt), von Sportlern und Pflegekräften, die mit der Verletzlichkeit von Körpern konfrontiert sind (Sarah Browne), und von Kindern, die eine Ausstellung mit Keramikarbeiten besuchen (Ruth Buchanan). Das Smartphone derweil bleibt im besten Fall zwei Stunden lang unberührt.

Info

Touch, nGbK, in Berlin bis zum 18. November

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