Ring mit mir

Gallery Weekend Camille Henrot überfordert ihr Publikum gern. Statt klarer Botschaften vermittelt sie eine staunende Neugier
Ausgabe 16/2019

Camille Henrot hat eine einfache Erklärung dafür, warum sie sich in ihrer Kunst mit schwierigen Themen beschäftigt. Sie möchte, dass ihre Arbeiten Empfindungen hervorrufen, der Betrachter soll sich Gedanken machen, soll sich Fragen stellen, soll sich provoziert und stimuliert fühlen. Diese Aussage würden wahrscheinlich sehr viele Künstler unterschreiben. Nicht so viele von ihnen wiederum würden, wie Camille Henrot, über ihre Werke sagen, dass sie keine Botschaft haben. Sie selber vergleicht ihre Arbeiten mit jemandem, der sehr schnell spricht und sich schlecht artikuliert, sodass man dem Redefluss nur schwer, wenn überhaupt folgen kann.

Jedenfalls weiß Henrot sehr genau, dass sie ihr Publikum bombardiert und überfordert. Einschüchtern möchte sie es nicht. Kritiker und Kuratoren derweil stacheln ihre maximal mit Wissen überladenen Filme und Installationen zu intellektuellen Höhenflügen an. Wenn die Kunst ein geistiges Ereignis ist, kann die Interpretation nicht dahinter zurückfallen. Bisweilen lesen sich diese Texte, als würden Einserschüler sich gegenseitig mit ihrem unter der Bettdecke angelesenen Wissen beeindrucken wollen. Das Ergebnis für die französische Künstlerin: wichtige Gruppenausstellungen, bedeutende Preise, noch wichtigere Einzelausstellungen. 2013 bekam sie als beste Nachwuchskünstlerin den Silbernen Löwen der Venedig Biennale für ihren Filmhit Grosse Fatigue verliehen, 2016 war sie mit Office of Unreplied Emails bei der 9. Berlin Biennale vertreten, 2017 folgte die Einzelausstellung Days are Dogs auf 13.000 Quadratmetern im Pariser Palais de Tokyo. Aktuell ist sie Teil der Gruppenausstellung New Order. Art and Technology in the Twenty-First Century im MoMA New York. Sie wird als „Priesterin des Chaos“ (Le Monde) angebetet, als „MC Camille“, „femininer Master einer männlich dominierten Kunstwelt“ (Die Zeit), gehypt.

Fast schon bescheiden kommt da jetzt ihre Präsenz beim Gallery Weekend in der König Galerie in Kreuzberg daher. Gezeigt wird ihr Film Tuesday, der zuvor als eines von um die 100 Werken im Palais de Toyko zu sehen war und in ihrer Einzelausstellung If Wishes Were Horses im Kunsthaus Wien. Darum geht es auch im Film, also um Pferde. Und weil in vielen filmischen Arbeiten von Henrot zwei Erzählstränge parallel laufen, sind neben den Pferden brasilianische Jiu-Jitsu-Kämpfer die Protagonisten. Die Rennpferde werden vor und nach dem Training geputzt und gepflegt, die Jiu-Jitsu-Kämpfer rollen am Boden über Matten. Die Körper der Kämpfer sind ineinander verschlungen, die Pferde stehen geduldig auf der Koppel und im Stall. Während den Pferden die Mähne geflochten wird, binden sich die Kämpfer ihre Gürtel. 20 Minuten lang in Zeitlupe: Macht und Stärke, Dominanz und Unterwerfung, Kraft und Eleganz, Anspannung und Entspannung. Am Ende gibt es keinen Sieger, steht das Rennen noch bevor, da sind nur Mensch und Tier sowie Körper und Körper, die miteinander ringen und aufeinander achtgeben.

Als die Veranstalter des Gallery Weekend Mitte Februar die Teilnehmerliste bekannt gegeben hatten, gab es auch ein Ringen, nämlich um das leidige Thema Frauenquote. Jetzt muss man wissen, dass es sich um keine kuratierte Veranstaltung handelt, es gibt kein Bewerbungsverfahren, die beteiligten Galerien geben ihre Ausstellungen durch, die Veranstalter kommunizieren das Programm. In den letzten Jahren waren es 40 Prozent Künstlerinnen, dieses Jahr sind es erstmals nur 30 Prozent. Maike Cruse, die Direktorin des Gallery Weekend, bedauert die schlechte Quote, weist aber gleichzeitig, verständlicherweise, die Verantwortung von sich. Die Galerien müssten sich entscheiden, mehr Frauen a) in ihr Programm aufzunehmen und b) zu den wichtigen Ereignissen auszustellen.

Angeklopft auf Instagram

Henrot ist weder Neuentdeckung noch Wagnis. Trotzdem ist ihre Teilnahme sehr gut und sehr wichtig. Nicht aus Frauenquotengründen, sondern weil Tuesday eine starke Arbeit ist.

In einem Interview sagte Camille Henrot vor ein paar Jahren, sie fühle sich wie ein unfertiges digitales Kind. Facebook nutzt sie nicht, Instagram schon. Aber man muss um Einlass bitten, ihr Profil ist nicht öffentlich. Ich habe also angeklopft, Henrot hat mich hineingelassen, wie 24.000 Personen mit mir. Ab und an postet sie etwas: Ausstellungsbesuche, Work in Progress, Ankündigungen, Bücher, Installationsansichten, kurz, nichts Spektakuläres. Sie macht, was von Künstlern erwartet wird: Sie zeigt Präsenz in den sozialen Medien, aber nicht zu viel. Sie ist dort, lässt aber durchblicken, dass ihr das alles nicht so wichtig ist. Schnappschüsse, launige Bildunterschriften, ab und an ist sie mal stolz, irgendwo dabei zu sein, bei einer Gruppenausstellung im MoMA beispielsweise, dann zeigt sie sich mit Kuratoren oder Künstlerkollegen. Mit Cindy Sherman zum Beispiel, die kam nämlich zu ihrem Opening in den Palais de Tokyo. Der Shootingstar mit der Grande Dame, Henrot macht alles richtig, sogar bei der Selbstvermarktung.

Während andere Künstler ihrer Generation unter dem Label Post-Internet-Art das digitale Zeitalter zu erfassen versuchen, der Bilderflut irgendwie Einhalt gebieten wollen oder mitschwimmen und dann im schlimmsten Fall als Selfie-Feministin oder Instagram-Künstlerin abgeschrieben werden, ist es ihr zu wenig, sich am Internet zu erfreuen oder zu stören. Sie will nicht nur das Netz erklären, sondern die ganze Welt. Sie will mit ihrem Publikum neugierig auf die Welt schauen. Ihr Film Grosse Fatigue erzählt die Entstehungsgeschichte des Universums, mit ihrer Installation The Pale Fox baute sie sich ihre eigene Weltordnung, in ihrer Ausstellung Days are Dogs nahm sie sich mit der Strukturierung nach Wochentagen dem Rhythmus des Lebens an.

„Die Wochentage erinnern nicht mehr an die Organisation unserer Pflichten, sondern vielmehr an ein Tagebuch unserer Stimmungen“, sagte Henrot in einem Interview. Hashtag #mondaymotivation, Hashtag #tgif (Thank god it’s friday). Der Dienstag geht zurück auf Mars, den Gott des Krieges, das ist der Ausgangspunkt für Henrot, ihr Publikum anzuregen, sich Gedanken zu machen über Macht und Stärke, Unterwerfung und Rücksicht. Wer an Henrot intellektuell scheitert, kann an Samuel Beckett denken, von ihm stammt das Zitat: „Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.“

Info

Camille Henrot. Tuesday König Galerie, Berlin, 27. April bis 26. Mai

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