Während im Westen des Landes in einer verbissen geführten Schlacht um Landrechte Menschen sterben, während Schulen und Krankenstationen geschlossen bleiben, lässt Kenias Präsident Mwai Kibaki Broschüren verteilen, um Erfolge seiner Regierungszeit zu feiern. Überschrieben mit Die Wahrheit sagen werden darin frisch gepflasterte Straßenkilometer ebenso gezählt wie Bewässerungsprojekte. Man findet keine glatte Lüge, aber auch nicht die ganze Wahrheit. Wo er viel schuldig blieb, äußert sich der Präsident vage.
Kibaki will unbedingt sein Amt halten - die Kenianer werden Ende des Jahres darüber entscheiden, ob ihm das gelingt. Die Wirtschaft wächst zweifellos, die Armut der meisten Wähler leider auch. Und dazu fällt weder der Regierung noch der Opposition etwas ein: Korruption und Tribalismus gehören zum Alltag, junge Leute finden keine Jobs, die Kriminalität nimmt zu. Der Status quo ist bequem für die regierende Klasse. Unbequem werden könnte dagegen ein Mann, der findet, er habe lange genug zugesehen und sich die Politik vom Leibe gehalten. Die Rede ist von David Maillu (68), Autor von mehr als 60 Büchern, dazu Maler, Musiker, Architekt, Querdenker. Eine Instanz in Kenia, wenn auch eine umstrittene. David Maillu ist Präsidentschaftsbewerber der von ihm gegründeten Partei Gemeinschaftliche Demokratie Kenias, hat als einziger eine originelle Idee, wie der Misere im Land beizukommen ist, und spricht von einer zivilen Revolution. "Die politischen Strukturen des Westens werden in Afrika nie funktionieren", ist Maillu überzeugt. "Wir brauchen einen afrikanischen Ansatz."
Den hat er bereits 1997 in seiner Abhandlung Afrikas eigene politische Ideologie - Afrikas kulturelle Interpretation von Demokratie kreiert, indem er genuine Herrschaftsformen analysierte, die auf Altersklassen basieren und sich - so der Autor - über Jahrhunderte deshalb bewährt hätten, weil dabei keine Generation von einer anderen marginalisiert werden konnte.
So schlägt Maillu in seinem Parteiprogramm ein dreiteiliges Parlament vor, das sich zu gleichen Teilen aus Männern und Frauen sowie jungen Menschen zwischen 18 und 25 zusammensetzt - und die Macht gleich verteilt. Gewählt wird innerhalb der eigenen Gruppe. Die Frauen- und die Männerpartei stellen je einen Präsidentschaftskandidaten, über den das ganze Volk abstimmt; der Verlierer wird automatisch Vize-Präsident. Die Jugendpartei stellt den Minister für Jugend. Jede Partei verfügt über eigene Medien, um die Meinungsfreiheit zu garantieren.
Weder E-Mail noch Mobiltelefon
Maillu hält seine "Geschlechter-und-Altersgruppen-Demokratie" für die ideale Sozialordnung. Der Tribalismus als einer der gefährlichsten Konfliktherde Kenias ließe sich zügeln. "Im traditionellen Afrika waren die drei Gruppen autonom und haben einander ergänzt", meint er. "Jede einzelne war wie das Bein eines dreibeinigen Stuhls und damit unentbehrlich." Die jetzige politische Hausordnung Kenias sei dagegen nicht viel mehr als die Agenda eines Alt-Herren-Klubs.
Wenn Frauen und Jugendliche nur von diesen Ansichten wüssten! Die Wahlen finden in spätestens sechs Monaten statt, und David Maillu hat seine Ideen bisher nicht öffentlich vorgestellt, von einer Wahlkampagne ganz zu schweigen. Sein schwächster Punkt sind die Finanzen: Der Bewerber hat schlicht kein Geld. "Jede gute Idee kann Interesse wecken und Finanzen locker machen", gibt er sich zuversichtlich. Gleichzeitig mietet ein Kandidat der Opposition das größte Konferenzzentrum des Landes, um seine Wahlkampagne zu eröffnen, Tausende Anhänger ziehen durch die Straßen, das Fernsehen sendet live und ein wenig zu enthusiastisch. Über David Maillu ist in der Zeitung nur zu lesen, dass er weder über eine E-Mail-Adresse verfügt noch ein Mobiltelefon besitzt.
"Die Öffentlichkeit bringt ihm nicht die Wertschätzung entgegen, die er verdient", meint der Psychologieprofessor Samson Munywoki, der David Maillu seit 16 Jahren kennt und mit ihm an der afrikanischen Bibel, einem der größten Projekte der vergangenen Jahre, gearbeitet hat. "Er ist einzigartig in Kenia. Während die meisten nur nach finanziellem Gewinn streben, ist Maillu ein Freidenker. Eine Gesellschaft braucht radikale Denker, um Dinge zu verändern. Träumen ist gut, aber dem müssen auch Taten folgen."
Wenn man so will, hat Maillu seinen Schritt in die Politik von langer Hand vorbereitet. Von der britischen Kolonialmacht über den ersten kenianischen Präsidenten Jomo Kenyatta, dessen autokratischen Nachfolger Daniel arap Moi und schließlich Mwai Kibaki hat er Kenias Geschichte der vergangenen 70 Jahre miterlebt und seine Beobachtungen in Literatur verwandelt. Kritik, die nicht offen geäußert werden konnte, verborgen in scheinbar leichten Texten. In den siebziger Jahren wurde Maillu versteckt unter Bettdecken und Schulbänken gelesen. Sein Abscheu über die Ausbeutung von Frauen war so deutlich formuliert, dass viele Kenianer ihn bis heute als pornografisch missverstehen.
Aus dem Elfenbeinturm herab
Als einer der ersten beschäftigte sich Maillu in seinem 1991 erschienenen Roman Zerbrochene Trommel mit der Identitätssuche Afrikas, dem Spagat zwischen Tradition und Moderne. Seine Afrikanische Ideologie (1997) wurde sein politischstes Werk.
"Als Schriftsteller wird David Maillu an Kenias Universitäten nicht ernst genommen", sagt der junge Literaturwissenschaftler Justus Makokha. "Er ist ein Rebell, der sich nie angepasst, sondern der einfachen Leute angenommen hat." Maillus Kinderbücher sind Pflichtlektüre an den Schulen, aber einen akademischen Lehrauftrag wird er nie bekommen. Sein Denken ist in einem Land, dessen Horizont nicht über die Melange aus traditionellen Hierarchien und Persönlichkeitskulten hinaus reicht, eine Herausforderung. Trocken kommentiert Justus Makokha: "Als die Briten Kenia in die Unabhängigkeit entließen, war das Land im Chaos. Sie selbst haben sich seitdem weiterentwickelt, wir leben noch in der Epoche vor den Beatles."
In seinem Heimatdorf Koola, 100 Kilometer von Nairobi entfernt und eingebettet zwischen grünen Hügeln und Maisfeldern, hat David Maillu einige seiner Ideen in die Tat umgesetzt. Wo vor 20 Jahren noch kein Baum stand, umgibt heute ein botanischer Garten ein selbst entworfenes zweistöckiges Haus, dessen Grundriss drei Kreise bilden. Die Zimmerdecken bestehen aus Steinmosaiken, die verschiedene Gegenden Kenias symbolisieren, die Wasserversorgung funktioniert über eine selbst gebaute Regenwasser-Anlage. In einer schattigen Sitzecke - gleichfalls aus großen Steinen gebaut - erklärt David Maillu, was ihn antreibt. "Mich hat stets interessiert, was Leute bewegt. Ich schrieb, um Antworten zu geben. Als Präsident kandidiere ich, weil jemand aus dem Elfenbeinturm herab steigen und etwas tun muss. Ich würde gern mit Ideen helfen, nicht unbedingt mit Geld."
Was er in Koola geschaffen hat, schien den Nachbarn anfangs suspekt. "Aber ich hatte immer genügend Wasser, während die anderen auf dem Trockenen saßen." Inzwischen sammeln sie ihr Regenwasser auch. Wird er als Präsident genug Zeit zum Nachdenken haben? "Als Präsident ist man natürlich auf ein Land beschränkt. Als Schriftsteller habe ich einen viel größeren Wahlkreis, ich kann für Afrika schreiben, für die ganze Welt", erklärt er ruhig. Und er fügt leise hinzu: "Meine Ideen mit der Welt teilen zu können, das werde ich vermissen."
Republik Kenia
Staatsform
Präsidialrepublik
Staatsoberhaupt/Regierungschef
Mwai Kibaki
Fläche
582.646 Quadratkilometer
Einwohnerzahl
34,7 Millionen
Unabhängigkeit
ab Dezember 1963
Politische Lage
Es regiert die National Rainbow Coalition (NARC), bestehend aus 16 Fraktionen, von denen 14 als politische Parteien registriert sind - im Parlament verfügt die NARC über 125 Abgeordnete.
Am 22. März 2006 trat das - nach dem gescheiterten Referendum über die neue Verfassung von Präsident Kibaki beurlaubte - Parlament erstmals wieder zusammen. Kibaki ließ durchblicken, er hoffe noch auf eine positive Entscheidung zur neuen Verfassung.
Am 28. November 2006 gelang in der jetzigen Oppositions- und langjährigen Regierungspartei Kenya African National Union (KANU) ein interner Coup, indem auf einer Delegiertenkonferenz in Mombasa eine neue Parteiführung gewählt wurde. Damit war trotz lautstarker Proteste fast die gesamten alte Parteispitze entmachtet und Nicolas Biwott neuer Parteichef. Der Oberste Gerichtshof hob diese Entscheidung am 29. Dezember 2006 allerdings wieder auf.
Für die Ende 2007 anstehenden Präsidentschaftswahlen gilt Mwai Kibaki als Favorit.
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