Alles wollte Richard Pound, der Vorsitzende der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) tun, damit es in Athen "saubere" Olympische Spiele gibt. Sogar Privatdetektive sollten zum Einsatz kommen, um Dopingsündern auf die Spur zu kommen. Bereits vier Tage vor Eröffnung der Spiele zeigte sich, dass der Traum vom dopingfreien Sportwettkampf wohl bis auf weiteres ein solcher bleiben wird. Die ersten zwei Athleten wurden positiv getestet, noch bevor das Olympische Feuer richtig brannte. Was aber, wenn Sportler sich nicht mehr "nur" mit Spritzen, Pillen und Pülverchen dopen, sondern gleich ihr Erbgut manipulieren, um ihrer Leistungsfähigkeit einen allerletzten Kick zu geben? Ein solches "Gendoping" wäre nicht nur ungleich schwerer nachzuweisen, es wäre zudem eine ethische Grenzverletzung, die es bislang so noch nicht gegeben hat.
So absurd es zunächst klingen mag: für Dopingfahnder und Sportfunktionäre ist das Gendoping schon längst keine Utopie mehr, sondern das Dopingproblem der Zukunft. "Wenn man sich die Entwicklung in der Wissenschaft und die Möglichkeiten im Tierversuch anschaut, ist das leider überhaupt nicht mehr absurd", sagt etwa Patrick Diel vom Zentrum für Präventive Dopingforschung an der Deutschen Sporthochschule in Köln. Seit Januar vergangenen Jahres steht das Gendoping auf der Verbotsliste der WADA und des Internationalen Olympischen Komitees (IOC).
Genverstärkte körpereigene Leistungshormone
Die Idee ist relativ einfach. Man baut diejenigen Gene, die die Leistungsfähigkeit eines Sportlers mitbestimmen, in zusätzlicher Kopie in die Zellen des Körpers ein. Die leistungsfördernde Substanz braucht dann nicht mehr geschluckt zu werden, sondern wird im Körper - quasi direkt vor Ort - gebildet. Ein möglicher Kandidat wäre etwa das Gen für Erythropoietin, kurz Epo. Dieses Hormon kurbelt die Produktion von roten Blutkörperchen an, die wiederum Sauerstoff in die Muskeln transportieren. Mit künstlich hergestelltem Epo dopen sich schon seit den neunziger Jahren etliche Athleten getreu der Formel: mehr Epo gleich mehr Sauerstoff gleich mehr Leistung.
Wie entscheidend die Konzentration des Hormons für die Leistungsfähigkeit sein kann, zeigt das Beispiel des Finnen Eero Mäntyranta. Trotz seiner geringen Körpergröße von nur 1,68 Meter fegte der Skilangläufer während der Olympischen Winterspiele 1964 in Innsbruck seine Konkurrenz regelrecht aus dem Feld und staubte gleich zwei Goldmedaillen ab. Jahrzehnte später fanden Molekularbiologen im Erbgut des Sportlers den Grund für seine herausragende Kondition: Der Finne ist Träger einer seltenen genetischen Mutation, die seine Rezeptoren für das Epo-Hormon verändert. Dadurch konnte er - bestens mit Sauerstoff versorgt - noch über die Loipe rasen, wenn seinen Konkurrenten längst die Puste ausgegangen war.
Obwohl bislang umstritten ist, welchen Anteil die Gene überhaupt an der sportlichen Leistungsfähigkeit besitzen, macht das Beispiel des finnischen Superstars deutlich, dass in der Tat die Gene zumindest auch über Sieg oder Niederlage entscheiden. "Das ist so, als ob sie als Volkswagen oder Ferrari zur Welt kommen", umschreibt Dieter Böning, Sportphysiologe an der Charité Berlin, den Einfluss der Erbanlagen.
Traum nicht nur der Bodybuilder
Andere Gene, die sich für eine Manipulation anbieten, sind Wachstumsfaktoren, zu denen etwa das so genannte Myostatin gehört. Dieser körpereigene Botenstoff bremst das Wachstum der Muskeln. Schaltet man das Myostatin bildende Gen aus, wachsen die Muskeln ungehindert. Bei bestimmten Rinderrassen etwa ist das Gen durch eine Mutation defekt. Die Tiere zeichnen sich durch eine im Vergleich zu anderen Rassen doppelte Muskelmasse aus. Würde man bei Sportlern gezielt das Myostatin-Gen blockieren, wüchsen die Muskelpakete quasi ganz von allein. Ein Traum nicht nur für Bodybuilder.
Zumindest technisch ist das Einschleusen von Genen in den Körper bereits möglich. In der Medizin versuchen Wissenschaftler seit einigen Jahren, Krankheiten, die auf einem defekten Gen beruhen, durch den Einbau eines gesunden Gens zu heilen. Bislang lässt der durchschlagende Erfolg zwar auf sich warten, aber der Einbau von Genen zur Leistungssteigerung wäre vergleichsweise einfacher. Schließlich muss kein kranker Organismus geheilt, kein komplexer Stoffwechselvorgang korrigiert werden.
Leistungsfördernde Gene wie das Epo-Gen würden mit Hilfe einer Genfähre, zum Beispiel einem Plasmid, in das entsprechende Gewebe eingespritzt. Dies sind kleine ringförmige Moleküle, die das Gen in sich tragen und vor Ort in die Zellen liefern. Dort wird es dann aktiviert. "Die Forschung hat in den vergangenen Jahren massive Fortschritte in diesem Bereich gemacht, so dass es mittlerweile relativ einfach ist, Gene auf diese Art in Zellen zu bringen", sagt Dopingspezialist Patrick Diel.
Mittlerweile sei es sogar möglich, die Aktivität eines eingebauten Gens von außen zu steuern. Dies war bisher problematisch. So verdoppelte sich bei Affen, denen ein Epo-Gen eingebaut wurde, die Anzahl der roten Blutkörperchen derart, dass das Blut extrem dickflüssig wurde. Um Herzinfarkten vorzubeugen, musste es ständig verdünnt werden. Inzwischen sei es in Mäusen gelungen, zusätzliche Epo-Gene in der Haut mit Hilfe einer Creme an- und abzuschalten, erklärt Diel.
Nachweis unmöglich
Dennoch: Jeder Sportler, der zum jetzigen Zeitpunkt Gendoping betreibt, würde sich erheblichen gesundheitlichen Gefahren aussetzen. "Die Risiken sind derzeit unabschätzbar", so Diel. Gleichwohl werden sich Athleten finden lassen, die das Verfahren ausprobieren, sobald es ihnen angeboten wird, glauben die meisten Experten. "Das Problem ist, dass die Leistungssportler nach jedem Strohhalm greifen und das auch ohne Rücksicht auf persönliche Risiken machen", sagt Dieter Böning. Methoden, die in der Medizin als "ethisch nicht verantwortlich" mit Vorsicht behandelt würden, könnten sich im Leistungssport vermutlich sogar einfacher durchsetzen, so auch Diel: "Sportler jucken ethische Aspekte in der Regel überhaupt nicht."
In einer Hinsicht könnte das Gendoping für die Athleten sogar ganz besonders verlockend sein. Denn wie soll der Einbau eines Gens nachgewiesen werden, wo es doch nichts anderes produziert, als der unveränderte Organismus auch? Darauf haben die Experten bislang keine Antwort. Die Frage, ob bereits jetzt in Athen Gen-gedopte Athleten am Start sind, wagt derzeit kaum ein Experte definitiv zu verneinen. Patrick Diel: "Ich würde es verrückt finden, aber meine Erfahrung zeigt, dass nichts verrückt genug sein kann, dass es nicht irgendwer ausprobiert."
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