Die partizipative Avantgarde

Digitale Beteiligung Deutschland steht beim Thema E-Government noch am Anfang. Erste Projekte zeigen: Der typische Nutzer ist männlich

Die Regierung der Zukunft, das „Government 2.0“, soll digitale Technologien nutzen, um mit den eigenen Bürgern in Austausch zu treten. Neben „Open Data“, der Verfügbarmachung gesellschaftlich relevanter Daten in maschinenlesbarer Form, ist „E-Partizipation“ ein wichtiges Stichwort: Bürger sollen Politik mitgestalten, indem sie etwa online Petitionen beim Deutschen Bundestag einreichen oder über das Internet Bürgerhaushalte mitgestalten.

Deutschland steckt in Sachen E-Partizipation noch in den Kinderschuhen. Zwar gibt es seit einigen Jahren Projekte zur Einbindung der Bürger über das Netz, laut einem Bericht des European Institute for Public Participation (EIPP) hinkt Deutschland jedoch hinter der Entwicklung in den USA und Großbritannien her.

Nicht nur gibt es hier noch relativ wenige Angebote von Seiten der Verwaltungen. Auswertungen bisheriger Projekte zeigen, dass E-Partizipation noch von einer kleinen, recht homogenen Avantgarde genutzt wird. Männlich, gut gebildet und im arbeitsfähigen Alter – so sieht der typische „ePartizipant“ aus. Frauen, Jugendliche, Senioren und Menschen mit geringerem Bildungsstand sind unterrepräsentiert.

In Hamburg wurde Bürgern 2006 die Möglichkeit gegeben, online Vorschläge für die Haushaltsgestaltung zu machen. Nur 15 Prozent betrug damals der Frauen-Anteil. Bei der Essener Lärmaktionsplanung kreuzte 2009 gerade einmal ein Drittel der registrierten Teilnehmer „weiblich“ an, etwas höher lag die weibliche Beteiligung beim Freiburger Bürgerhaushalt 2008, die den Gender-Aspekt in der Haushaltsgestaltung sogar ausdrücklich thematisierte.

Frauen engagieren sich insgesamt etwas seltener bürgerschaftlich als Männer, stellt der Gender Datenreport des Familienministeriums fest. Der Anteil an engagierten Frauen steige jedoch. In der Interessen gebe es allerdings Unterschiede: Während Männer stärker an Wirtschafts-, Außen- und Sicherheitspolitik interessiert seien, wendeten sich Frauen eher Themen wie soziale Gerechtigkeit, Bildung und Umwelt zu.

Dass die Online-Beteiligung von Frauen aber auch anders aussehen kann, zeigt ein in drei deutschen Städten durchgeführtes Diskussionsforum zum Thema Familie. Hamburg implementierte es 2005 als „Familienfreundlicher Wohnort Hamburg“. München und Berlin übernahmen später das Konzept. In allen drei Städten beteiligten sich deutlich mehr Frauen als Männer. Das European Journal of ePractice wertet das Projekt als Beleg dafür, dass die Teilnahme von Frauen stärker themen- als medienabhängig ist.

Die Frauenfrage wird sich bald relativieren, glaubt Oliver Märker, der mit der Berliner Agentur Zebralog deutschlandweit ePartizipations-Plattformen aufgebaut hat. Es gebe bereits Beispiele, bei denen sich Frauen- und Männeranteil fast angeglichen hätten, wie das Sparprojekt essen-kriegt-die-kurve.de. Auch bei den Bürgerhaushalten scheine sich das Verhältnis zugunsten der Frauen zu verändern, so etwa in Hamburg und in Köln.

Die größere Herausforderung für E-Partizipations-Angebote sieht Märker im Bereich Bildung: Denn meist sind Teilnehmer von E-Partizipations-Angeboten mit Abitur, Fach- oder Hochschulabschluss relativ gut ausgebildet. Junge Erwachsene und Menschen mit geringeren Bildungsabschlüssen nehmen hingegen verhältnismäßig wenig teil. Man müsse versuchen, auch diese Menschen zu erreichen.

Insgesamt sollte man jedoch die derzeitig verfügbaren „soziodemographischen Angaben mit Vorsicht genießen“, schränkt Märker ein. Wirklich aussagekräftige empirische Studien gebe es noch nicht. Die Angabe von Informationen ist meist freiwillig. Da sich viele Teilnehmer gar nicht registrieren und andere zu bestimmten Fragen keine Angaben machten, ließen sich aus den Zahlen höchstens Tendenzen ablesen.

Anke Domscheit-Berg vom Gov-2.0-Netzwerk, das diesen Donnerstag und Freitag das Gov-2.0-Camp in Berlin veranstaltet, sieht ebenfalls eine Forschungslücke. Der Mangel an Daten habe mit einer der Anforderungen an E-Partizipations-Angebote zu tun, erklärt sie: So niedrigschwellig wie möglich, einfach und unkompliziert, soll die Teilnahme sein. Würden Informationen zur eigenen Person abgefragt, steige die Schwelle zum Mitmachen, so Domscheit-Berg. Der Petitionsausschuss des Bundestages mache insofern bei E-Petitionen alles richtig: Demographische Daten werden gar nicht erst erhoben.

Um zu verstehen, wen Online-Bürgerhaushalte und andere Mitmachprojekte der Verwaltungen im Netz erreichen und wen nicht, braucht es also empirische Studien - ebenso wie entsprechende Bemühungen, wenig repräsentierte Gruppen zum Mitmachen zu bewegen. Sonst entscheiden am Ende ein paar Wenige über das, was alle angeht. Digital wie real.

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