In der Merkelfalle

Regierung Die SPD dominiert die Koalition. Aber nun sind fast alle Projekte abgearbeitet – und die Wahl ist erst 2017
Ausgabe 11/2015

Perfektes Timing: Weniger als 48 Stunden vor dem 8. März verabschiedet der Bundestag das Gesetz zur Frauenquote für Aufsichtsräte in Großunternehmen – eines der zentralen Projekte der SPD. Es ist Jahrzehnte her, dass sich Sozialdemokratinnen bei Veranstaltungen zum Internationalen Frauentag so fleißig gegenseitig auf die Schulter klopften. „Die Bilanz unserer Politik für Frauen kann sich sehen lassen“, lobt sich der SPD-Parteivorstand in seiner Resolution zum 8. März.

Die Genossen scheinen einen guten Lauf zu haben. „Gestern Mietpreisbremse, heute Frauenquote: Man könnte meinen, die SPD habe die absolute Mehrheit“, kommentierte der ultrakonservative Publizist Hugo Müller-Vogg die Ereignisse in der ersten Märzwoche im Bundestag. Nach 15 Monaten Großer Koalition in Berlin sieht die Bilanz der Sozialdemokraten nominell nicht schlecht aus: Neben Quote und Preisbremse können sie sich den Mindestlohn und die abschlagsfreie Rente mit 63 Jahren auf die Fahnen schreiben. Trotzdem: Es kommt keine Begeisterung auf, die potenziellen Wähler reagieren nicht. Der SPD gelingt es nicht, in Wählerbefragungen zuzulegen. Sie hängt mit 25 Prozent im Umfragekeller.

Der Wähler ist genervt

Macht sie so weiter wie bisher, wird sie dort auch bleiben. Diesen Schluss legt eine Studie des Meinungsforschungsinstitut TNS Infratest nahe, die von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Auftrag gegeben wurde. Die Untersuchung, über die der SPD-Vorstand immerhin mehr als zwei Stunden diskutiert haben soll, kommt zu einem vernichtenden Ergebnis: Die SPD habe ein „Imageproblem“, das verhindere, „dass ihre Inhalte rezipiert werden und man sich vorstellen kann, sie zu wählen“. Die Autoren der Studie sprechen vom „Markenkern“ der SPD, der noch immer beschädigt sei. Verantwortlich dafür seien neben den Hartz-Reformen „keine erkennbare Zielgruppenpolitik, zu wenig erkennbares wertegeleitetes Handeln, gefühltes Desinteresse der SPD an der Lebenswirklichkeit der arbeitenden Mitte, keine Antworten auf ihre Erwartungen an Leistungsgerechtigkeit“. Die Demoskopen stellten auch fest, dass SPD-nahe Menschen trotz der durchgesetzten Prestigeprojekte die Sozialdemokraten in der Regierung als den schwachen Partner wahrnehmen. Selbst die politisch freundlich Gesinnten halten nicht viel von Sigmar Gabriel, Andrea Nahles und ihren Genossen im Kabinett. Sie finden der Studie zufolge, dass sich die Sozialdemokraten zu wenig von der Union abgrenzen, zu viele Kompromisse eingehen und „zu sehr strategisch, zu wenig aus Überzeugung“ handeln. Allerdings: Für die Studie befragten die Demoskopen nur 53 Deutsche zwischen 25 und 45 Jahren.

Trotz der schwachen Datenbasis ist das Ergebnis plausibel. Denn die SPD hat ihre Projekte zwar dem Namen nach durchgesetzt – aber dabei enorme Abstriche machen müssen. Daran ändert auch die Hetze rechtspopulistischer Publizisten wie Roland Tichy nichts, die das Gegenteil glauben machen wollen. Unternehmen und Gewerkschaften seien immer stolz auf Tarifautonomie, Eigenverantwortung und Leistungslöhne gewesen, schreibt er in der Bild am Sonntag. „Jetzt machen die linken SPD-Ministerinnen Andrea Nahles und Manuela Schwesig die Betriebe zur politischen Kampfzone“, schäumt er. Manchmal frage er sich, „wie viel Union noch in der Großen Koalition ist“.

Drei SPD-Schlager ohne Chartplatzierung

Frauenquote

Die Aufsichtsräte von rund 100 börsennotierten Großunternehmen müssen ab 2016 zu 30 Prozent aus weiblichen Mitgliedern bestehen. Strafen bei Missachtung des Gesetzes sind nicht vorgesehen, die Stelle bleibt dann frei. Für 3.500 mittelgroße Unternehmen gibt es die „Flexi-Quote“: Die Betriebe dürfen bis Ende September 2015 eigene Zielgrößen für den Frauenanteil in den Aufsichtsräten und obersten Managementebenen festlegen.

Mietpreisbremse

Wird eine Wohnung neu bezogen, darf die neue Miete künftig nicht mehr als zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Das gilt aber nur in den Gebieten, die von den Bundesländern zuvor als „angespannte Wohnungsmärkte“ ausgewiesen worden sind. Nach Schätzungen der Bundesregierung liegen vier der 21 Millionen Mietwohnungen in Deutschland in so einem Gebiet. Für Neubauten und komplett sanierte Wohnungen gilt die Bremse nicht.

Tarifeinheitsgesetz

Nach den Plänen von Arbeitsministerin Nahles soll in einem Unternehmen mit mehreren Tarifverträgen für gleiche Beschäftigungsgruppen nur noch eine Vereinbarung gelten. Aushandeln soll den Tarifvertrag die Gewerkschaft, die die meisten Mitglieder im Betrieb hat. Im Gewerkschaftslager ist das Gesetz umstritten – man fürchtet eine Einschränkung des Streikrechts –, Verdi ist strikt dagegen. Das Gesetz soll in den nächsten Wochen beschlossen werden.

Schön wär’s. Aber das ist der übliche Trick der Konservativen: Sie überzeichnen angebliche Erfolge der Linken so, dass die in die Defensive gerate. Dabei geht der vermeintlich gute Lauf der Sozialdemokraten an vielen Punkten ins Leere. Der Mindestlohn wird mit zu vielen Ausnahmen eingeführt, seine Höhe reicht nicht für eine Rente über der Armutsgrenze. Die Rente mit 63 gilt nur für wenige, vorwiegend männliche Beschäftigte, für die allermeisten bleibt es bei der Rente mit 67. Die Mietpreisbremse ist ein Witz. Bei neu vermieteten Wohnungen darf die Miete künftig nicht mehr als zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Senken muss der Eigentümer die Miete nie – kein Wunder, dass die Wohnkosten aktuell extrem steigen. Für Neubauten und sanierte Wohnungen gilt die Bremse gar nicht erst.

Auch die Frauenquote ist nicht viel mehr als Placebopolitik. Trotzdem wird sie hochgejubelt. „Die Frauenquote ist ein Meilenstein. Der größte Beitrag zur Gleichberechtigung seit der Einführung des Frauenwahlrechts“, twitterte Bundesjustizminister Heiko Maas allen Ernstes. Aber: Die Frauenquote von 30 Prozent bezieht sich nur auf die Aufsichtsräte von gut hundert börsennotierten Großunternehmen. Für 3.500 mittelgroße Betriebe gibt es nur die von der Union stets präferierte „Flexi-Quote“. Sie dürfen sich eigene Zielvorgaben beim Frauenanteil setzen. Strafen für den Fall, dass das Gesetz missachtet wird, sind nicht vorgesehen. Dann bleibt der Frauenplatz eben frei. Im Mutterland der Frauenquote Norwegen gilt demgegenüber eine Quote von 40 Prozent. Wird sie nicht eingehalten, drohen Unternehmen empfindliche Geldstrafen, schlimmstenfalls die Zwangsauflösung.

Unter Wert verkauft

Ihre Vorzeigeprojekte hat die SPD weit unter Wert verkauft. Die Wähler haben es gemerkt. Mindestlohn und Rente mit 63 hatten keine besseren Umfrageergebnisse zur Folge, Quote und Mietpreisbremse werden, wenn überhaupt, nur kurzfristig bessere Umfrageergebnisse bringen. Wenn die SPD ihr Pulver jetzt schon größtenteils verschossen hat, ist fraglich, womit sie in den fast noch drei Jahren bis zur nächsten Bundestagswahl punkten will. Dem Vorsitzenden der Bundestagsfraktion Thomas Oppermann fällt dazu nicht viel ein: Zukunftsinvestitionsprogramm, Mindestlohn und Lohngleichheitsgesetz für die Geschlechter sind die Themen, mit denen er die SPD in die Offensive bringen will. Schwesigs Initiative für gleiche Löhne ist das letzte große im Koalitionsvertrag vereinbarte Projekt.

Mit Energiepolitik werden sich die Sozialdemokraten nicht profilieren können. Sie kämpfen dabei nicht nur gegen CSU-Chef Horst Seehofer, dem die ganze Richtung nicht passt, sondern auch mit der inneren Zerrissenheit. In der SPD gibt es durchaus einen ökologisch orientierten Flügel, aber auch beinharte Kohle-Befürworterinnen wie die SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Innerhalb der Koalition sind die Spielräume gering. Das zeigt auch der Vorstoß von Fraktionschef Oppermann für ein Einwanderungsgesetz. Den lässt die Union einfach abperlen. „Nach einem Jahr guter Fahrt ruckelt es jetzt ein bisschen“, beschreibt Oppermann das Klima.

Der SPD-Führung fehlen nicht nur zündende Ideen. Ihr stehen auch harte Auseinandersetzungen mit der eigenen Klientel bevor. Das von Arbeitsministerin Andrea Nahles vorangetriebene Tarifeinheitsgesetz sorgt für schwere politische Flurschäden. Künftig sollen in Unternehmen nicht mehr mehrere Tarifverträge gelten, sondern nur noch einer. Nur noch die Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern in dem jeweiligen Betrieb soll verhandlungs- und damit streikberechtigt sein. Das gerade in erster Lesung im Bundestag verhandelte Gesetz geht zwar ursprünglich auf eine gemeinsame Initiative der Arbeitgeberverbände mit dem DGB zurück, die aus unterschiedlichen Gründen den Einfluss kleiner Berufsgewerkschaften wie der Lokführergewerkschaft GDL zurückdrängen wollen. Doch die Einzelgewerkschaften im DGB sind in dieser Frage gespalten. Von den drei größten sind mit der IG Metall und der IG BCE zwar zwei dafür, die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi ist jedoch ein strikter Gegner und hat sogar eine Unterschriftenaktion dagegen gestartet. „Gewerkschafter können nicht die Hand reichen für einen solchen Eingriff ins Streikrecht“, empört sich Verdi-Chef Frank Bsirske.

Der Technokrat ist begeistert

Auch die Auseinandersetzung um das Freihandelsankommen TTIP, das die EU mit den USA schließen will, wird der SPD bis zur Bundestagswahl enorm schaden. Um TTIP ist fast so etwas wie eine soziale Bewegung entstanden. Bürgerinitiativen, Vereine und Organisationen kämpfen gegen das Abkommen, weil sie die massive Verschlechterung der Standards für Verbraucher, Beschäftigte und Umwelt fürchten. Sigmar Gabriel hat es als Parteichef und Bundeswirtschaftsminister zwar geschafft, die kritischen Stimmen in den eigenen Reihen zu dämpfen. Gemeinsam mit sozialdemokratischen Regierungschefs und Parteivorsitzenden aus Europa hat er einen Änderungsvorschlag für die vorgesehenen umstrittenen Schiedsverfahren für Investoren vorgelegt. TTIP-Kritiker lehnen diese Schiedsgerichte ab, weil sie fürchten, dass durch sie nationales Recht ausgehebelt wird. Gabriel und europäische Genossen sprechen sich als Alternative für die Schaffung öffentlich-rechtlicher Gremien aus. Doch das ist nicht mehr als ein halbherziger Besänftigungsvorschlag, mit der die Akzeptanz des Abkommens erhöht werden soll. Grundsätzlich hält Gabriel an TTIP fest und auch an seiner Gewohnheit, parteiinterne Kritiker mundtot zu machen, statt einen offenen Dialog anzukurbeln. Damit mag der SPD-Vorsitzende die Herzen der Parteisoldaten und Technokraten gewinnen. Potenzielle Wähler wollen etwas anderes.

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