Rechts blinken

Linkspartei Seit 100 Tagen sind Bartsch und Wagenknecht im Amt. Nun kommt der erste große Streit – zwischen ihnen und einem Großteil der Fraktion
Ausgabe 03/2016

Im Karl-Liebknecht-Haus schlugen sie die Hände über den Köpfen zusammen. Viele aus der Linkspartei griffen schnell zum Mobiltelefon, um sich via Twitter und Facebook zu distanzieren. Die Auslassungen Sahra Wagenknechts zur Flüchtlingspolitik haben für heftige Empörung gesorgt. Auf bizarre Weise hat die Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag die Flügelarithmetik in ihrer Partei kräftig durcheinandergewirbelt.

Ihre Sätze haben in der Linken ein mittleres Erdbeben ausgelöst. Dreizehn Minuten hatten die beiden Fraktionsvorsitzenden auf ihrer Pressekonferenz über Gott und die Welt geredet, da hob Wagenknecht zu einer „kurzen Ergänzung“ an. „Wer Gastrecht missbraucht, der hat Gastrecht dann eben auch verwirkt“, sagte sie. Das sei nach den Kölner Ereignissen in der Silvesternacht „völlig klar“ und „eine ganz klare Position, die wir in dieser Frage vertreten“. Und um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, fügte die 46-jährige Linkspolitikerin auf Nachfrage hinzu: „Das meine ich auch so, wie ich es gesagt habe.“

Der Aufschrei in der Linkspartei kam umgehend. Kein Wunder, schließlich sind solche Töne normalerweise aus einer ganz anderen Richtung zu hören. Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn empörte sich: „Es war und ist ein gefährlicher politischer Irrglaube, den Rechtsruck einer Gesellschaft verhindern zu können, indem man dem Forderungskatalog von rechts entgegenkommt.“ Zuspruch bekam Wagenknecht hingegen von der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland. Der stellvertretende Bundesvorsitzende Alexander Gauland sprach ihr in einer Presseerklärung ein „großes Lob“ aus. „Ich begrüße die Positionierung der Linken, wenn sie durch Sahra Wagenknecht zur Einsicht gelangen, dass man das Gastrecht in Deutschland durch Missbrauch verwirken kann“, teilte der Rechtsaußen mit. Er freue sich „darüber, dass die Linke dies nun genauso wie die AfD sieht“.

Rund 100 Tage sind Wagenknecht und ihr Co-Fraktionsvorsitzender Dietmar Bartsch im Amt. Sie repräsentieren die beiden großen Flügel in der Partei, Wagenknecht den der Traditionslinken, Bartsch das auf Regierungsbeteiligung orientierte Lager der sogenannten Reformer. Seit der Wahl des ungleichen Duos üben sich Fraktion und Partei in demonstrativer Harmonie. Größere Kontroversen sind bislang ausgeblieben, originelle Initiativen allerdings auch. Zumindest nach außen hin wurde der alte Flügelstreit begraben. Was nicht zuletzt an den Bemühungen von Wagenknecht und Bartsch liegt, ihre bestehenden politischen Differenzen nicht in die Öffentlichkeit zu tragen. Selbst bei ihren eigentümlichen Gastrecht-Ausführungen sprang Bartsch seiner Kollegin umgehend zur Seite. „Das ist im Übrigen die Rechtslage in Deutschland“, sagte er. Vielleicht war es aber auch bloß der Versuch, zu retten, was noch zu retten war – indem er die Äußerung als unspektakulär darstellte.

Ärger in der Fraktionssitzung

Doch da gab es nichts mehr zu retten. Schon am folgenden Tag sah sich der geschäftsführende Bundesvorstand der Linkspartei zu einer Klarstellung gezwungen: Das Asylrecht sei ein Menschenrecht, das universell gelte. Daher sei es „weder ein Gnaden- noch ein Gastrecht, das verwirkt werden kann“, heißt es in dem Beschluss des Führungsgremiums. Und: „Die Linke lehnt Abschiebungen ab.“ Es ist eine schallende Ohrfeige für die Fraktionsvorsitzende. Auch in der Bundestagsfraktion schlugen die Wellen hoch. Die wöchentliche Sitzung ähnelte laut Teilnehmern einem Tribunal. Flügelübergreifend gab es heftige Prügel für Wagenknecht – und für Bartsch. Nur 6 der 64 Fraktionsmitglieder ergriffen Partei für sie. Der ehemalige Partei- und Fraktionschef Gregor Gysi nahm nicht an der Sitzung teil. Ein paar Tage später rügte er Wagenknecht in einem Interview mit dem Tagesspiegel: „Mit solchen Slogans kommen wir nicht weiter.

Bei dem Streit geht es für die Linkspartei ums Eingemachte: Keine andere im Bundestag vertretene Partei setzt sich so vorbehaltlos für Flüchtlinge ein. Das ist eine der wenigen Fragen, in denen sich die ansonsten so zerstrittenen innerparteilichen Lager einig sind. Hier gehe es um Grundsätzliches, sagte der Berliner Landesvorsitzende und Reformer Klaus Lederer: „Ganz ehrlich: Wenn uns das zwei oder drei Prozent kostet, dann ist das eben so.“ Genauso sieht das die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke, eine der exponiertesten Vertreterinnen des linken Flügels. „Die Linkspartei bleibt bei ihren Positionen zur Flüchtlingspolitik“, sagt sie entschlossen. „Für eine Änderung gibt es keine Mehrheiten.“

Wagenknechts Äußerungen bezeichnet Jelpke als „fatal“. Als innenpolitische Sprecherin ist die gebürtige Hamburgerin seit Langem für die Flüchtlingspolitik der Bundestagsfraktion verantwortlich, kämpft gegen Ressentiments – nicht nur in der Union und der SPD, sondern auch in den eigenen Reihen. In der Linkspartei seien durchaus Leute, die eine restriktive Flüchtlingspolitik wollen. „Das ist ein kleiner Teil, aber den gibt es“, sagt Jelpke. Diese Leute sähen sich nun bestärkt.

Andere Fraktionsmitglieder versuchen die Aussagen Wagenknechts kleinzureden. „Die Fraktionsvorsitzende hat einen Fehler gemacht“, sagt der Kölner Bundestagabgeordnete Matthias Birkwald. Das komme nun einmal vor. „Bei uns darf jeder seine Meinung sagen, aber darf sich dann auch nicht wundern, wenn es Gegenwind gibt“, so der Reformer. Auch Wagenknechts Vorgänger Gysi habe manchmal andere Positionen als die von Partei und Fraktion vertreten, etwa zur Bewaffnung der Kurden.

Allerdings reagierte Gysi seinerzeit auf die heftige innerparteiliche Kritik, sprach von einem Missverständnis und stellte klar, er sei gegen deutsche Waffenlieferungen ins Ausland. Wagenknecht dagegen beharrt auf ihrer Position. Sie habe zwar Kenntnis genommen, dass der Begriff für „einige negativ konnotiert“ sei. Das ändere jedoch nichts an ihrer Meinung: „Ich glaube, dass die übergroße Mehrheit der Bevölkerung der Ansicht ist, dass man von Menschen, denen man Schutz gewährt, auch erwarten kann, dass sie die Regeln unseres Landes respektieren.“ Das sei „eine völlig normale Auffassung“.

In der Partei munkeln nun einige: „Das ist der Einfluss aus dem Saarland.“ Gemeint ist die enge persönliche und politische Verbindung Wagenknechts mit Oskar Lafontaine. Ihr Ehemann repräsentiert seit seinen sozialdemokratischen Zeiten das Ressentiment des deutschen Facharbeiters gegen Migranten. Bis heute rühmt sich der ehemalige SPD- und Linksparteivorsitzende damit, Anfang der 90er Jahre den sogenannten Asylkompromiss mit ausgehandelt zu haben, der eine drastische Verschärfung des Flüchtlingsrechts zur Folge hatte. Unvergessen ist auch seine berüchtigte „Fremdarbeiter“-Äußerung im Jahr 2005. Inzwischen tritt Lafontaine dafür ein, die Zahl der Schutzsuchenden „durch feste Kontingente in Europa zu begrenzen“.

Keine Ahnung von Asylpolitik

Doch die Verbindung zu Lafontaine ist nicht die einzige Erklärung für die Gastrecht-Aussagen. Das Problem sei, dass Wagenknecht sich noch nie wirklich mit dem Thema beschäftigt habe, sagt ein Fraktionsmitglied. „Von Flüchtlingspolitik hat sie keine Ahnung.“ Ohnehin interessiere sie sich nicht sonderlich für Grund- und Freiheitsrechte, sondern nur für Wirtschaftspolitik. Zudem habe Wagenknecht in ihrem Umfeld kein Korrektiv, berichten Weggefährten. Dort sei niemand in sozialen Bewegungen oder der Flüchtlingshilfe aktiv.

In weniger als zwei Monaten stehen Wahlen in drei Bundesländern an. Für die Linkspartei geht es um viel: Kommt sie in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz in die Landtage, wäre das ein Signal, dass sie im Westen eine Zukunft hat. In Sachsen-Anhalt hofft sie auf eine Regierungsbeteiligung. Glaubt man den Umfragen, sieht es allerdings in allen drei Ländern schlecht aus. Da hat ein Grundsatzstreit um die Flüchtlingspolitik gerade noch gefehlt. Leute aus Wagenknechts politischem Lager hoffen nun, dass sie sich nicht mehr zu diesem Thema äußert. „Wenn sie das nicht einstellt, wird es für sie eng“, heißt es in der Fraktion. Deutlich geschwächt ist Wagenknecht schon jetzt, Bartsch ebenso. Das Machtzentrum scheint sich zu verschieben – in Richtung der eher zentrumsorientierten Parteichefs Katja Kipping und Bernd Riexinger.

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