Bausparen: Bodenständiger kann man sein Geld nicht anlegen. Seit Generationen tragen brave Bürger Geld zu den Bausparkassen. Sie tun das ganz sicher nicht in der Absicht, zu zocken, sondern um sehr langsam, aber sicher ein bescheidenes Vermögen aufzubauen. Doch nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) stehen ausgerechnet die treuesten Kunden der Bausparkassen da, als könnten sie den Hals nicht voll genug kriegen, und das auf Kosten ihrer Mitsparer. Denn der BGH hat entschieden, dass die Anbieter Kunden mit alten, lukrativen Verträgen herauswerfen dürfen – weil Bausparen keine reine Sparanlage sei. Verbraucherschützer sind empört.
Anbieter wie Wüstenrot, Schwäbisch Hall, BHW oder die Landesbausparkassen (LBS) verwalten fast 30 Millionen Bausparverträge – etliche Menschen haben gleich mehrere, weil sie diese sichere Sparform in kleinen Schritten schätzen. Besonders Kleinsparer, die nur wenig Geld zur Verfügung haben und sich Verluste etwa durch Aktieninvestments nicht leisten können, machen davon Gebrauch. Bei den Verträgen zahlt der Kunde Geld ein, das der Anbieter verzinst. Ist ein Teil der vereinbarten Gesamtsumme angespart – meistens zwischen 40 und 50 Prozent –, ist der Vertrag im Fachjargon „zuteilungsreif“. Der Kunde kann dann einen Kredit bekommen, er muss das Darlehen aber nicht in Anspruch nehmen. Er kann sich das angesparte Geld auch auszahlen lassen oder erst einmal weitersparen.
Dem hat der BGH nun Grenzen gesetzt. Wie hoch der Zins in der Einzahl- und in der Kreditphase ist, wird zu Vertragsbeginn vereinbart und hängt davon ab, wie es zu diesem Zeitpunkt an den Kapitalmärkten aussieht. Und dort hat sich in den vergangenen Jahren einiges erheblich geändert. Hohe Zinsen wie Ende des vorigen Jahrhunderts gibt es längst nicht mehr. Aufgrund der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) gibt es mittlerweile sogar sogenannte Negativzinsen, das heißt, Banken müssen dafür zahlen, dass sie bei der EZB Geld parken. Weder Großanleger noch Kleinsparer können mit soliden Anlagen nennenswerte Zinsen erzielen – außer Kunden mit alten, zu Hochzinszeiten abgeschlossenen Verträgen etwa bei Bausparkassen oder Lebensversicherern. Sie bekommen je nach Zeitpunkt des Abschlusses bis zu vier Prozent Zinsen.
Bloß nicht drängen lassen
Deshalb wollen Kunden aus guten Gründen an ihren alten Bausparverträgen festhalten, sehr zum Ärger der Unternehmen. Für die Anbieter sind die alten Verträge wegen der hohen Zinsen teuer. Es ist einer der sehr seltenen Fälle, in denen bei verschlechterten Rahmenbedingungen die Kunden und nicht die Anbieter Vorteile haben. Doch die Bausparkassen sind keineswegs bereit, das hinzunehmen. Schätzungen zufolge kündigten sie mehr als 250.000 Kunden. Diese Praxis hat der Bundesgerichtshof für rechtens erklärt in den Fällen, in denen Kunden länger als zehn Jahre Anspruch auf Baudarlehen haben. Den Vertrag über mehr als zehn Jahre als reine Sparanlage laufen zu lassen, widerspreche dem Sinn und Zweck des Bausparens, begründeten die Richter ihre Entscheidung.
Dabei ging es um zwei Kunden der Bausparkasse Wüstenrot. Ihre Verträge sahen Verzinsungen von 2,5 Prozent und drei Prozent vor. Im ersten Verfahren hatte die Kundin im Jahr 1978 einen Bausparvertrag über 40.000 DM abgeschlossen. Seit 1993 war der Vertrag zuteilungsreif. Im Jahr 2015 kündigte Wüstenrot. Im zweiten Fall hatten die Klägerin und ihr inzwischen verstorbener Mann im Jahr 1999 zwei Bausparverträge bei Wüstenrot über 160.000 DM und 40.000 DM abgeschlossen.
„Bausparkassen werden nun erst recht auf massenhafte Kündigung von Bausparverträgen setzen, um Kunden loszuwerden“, sagt Hartmut Schwarz von der Verbraucherzentrale Bremen. Betroffenen rät er, sich von den Anbietern zu nichts drängen und auf jeden Fall von einer unabhängigen Stelle beraten zu lassen.
Die Bausparkassen feiern das Urteil nicht als Sieg für sich selbst. Sie bezeichnen es als Sieg für Kunden mit jüngeren Verträgen, als würden nicht in erster Linie sie selbst und ihre Aktionäre davon profitieren. Das Urteil sei „eine gute Nachricht für die Bauspargemeinschaft als Ganzes, die weiterhin auf die Stabilität dieses Systems vertrauen darf“, sagte ein Sprecher des Lobbyverbands der Bausparkassen. Wüstenrot versucht, einen ähnlichen Eindruck zu erwecken. „Mit den Kündigungen können die negativen Auswirkungen der fortdauernden Niedrigzinspolitik auf die Bausparergemeinschaft abgefedert werden. Indem Verträge aufgelöst werden, die seit mehr als zehn Jahren zuteilungsreif sind und deren Darlehen nicht in Anspruch genommen wurde, wird das Bausparerkollektiv gestärkt“, heißt es in einer Erklärung des Konzerns Wüstenrot & Württembergische. Zuallererst stärkt das Urteil aber die Anteilseigner des Finanzkonzerns. Die Aktie stieg nach dem Urteil um fast fünf Prozent.
Glaubt man der Finanzaufsicht BaFin und den von ihr vorgenommenen Stresstests zur Untersuchung der Finanzstabilität, sind die 20 Bausparkassen in Deutschland für die Niedrigzinsphase gut gerüstet. Die Unternehmen sind stabil, auch wenn aus guten Gründen immer weniger Kunden das Darlehen einer Bausparkasse in Anspruch nehmen, weil es bei Banken und Sparkassen günstigere gibt. Im Jahr 2000 vergaben die Bausparkassen nach Angaben der Bundesbank Darlehen im Wert von 44 Milliarden Euro, 2016 nur noch im Wert von 14 Milliarden. Im gleichen Zeitraum stiegen die von Kunden gezahlten Einlagen von 94 auf 163 Milliarden Euro. Trotzdem geht es den Bausparkassen nicht schlecht. Die Gewinne sind nicht mehr ganz so hoch, aber in den roten Zahlen sind die Anbieter keineswegs. Es kann keine Rede davon sein, dass, wie suggeriert wird, Kunden mit Altverträgen ein Opfer bringen müssen, damit nicht alle alles verlieren.
Die Logik der Finanzbranche
Den Anbietern fällt ein Geschäftsmodell auf die Füße, mit dem sie lange viel Geld verdient und das sie selbst forciert haben. „Früher haben die Bausparkassen die Verträge als Geldanlage angepriesen“, sagt Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Die Gewinne hätten die Unternehmen eingestrichen. Jetzt werden die Verluste auf die Kunden abgewälzt, kritisiert er.
Nicht nur für Bausparer mit alten Verträgen ist das Urteil unerfreulich. Es weist für Verbraucher in eine beunruhigende Richtung: Das Risiko der Kapitalmarktentwicklung trägt allein der Kleinsparer. Läuft es gut, fährt der Finanzdienstleister fette Gewinne ein, läuft es schlecht, lässt er die Kunden dafür büßen. Das ist die Logik der Finanzbranche, die weder die Aufsichtsbehörden noch die Bundesregierung in Frage stellen. Das lässt für die nahe Zukunft Böses ahnen. Unter vergleichsweise hohen Zinsen für Kunden leiden nicht nur Bausparkassen. Auch Lebensversicherer, die wichtigsten Anbieter privater Altersvorsorge, jammern darüber. Sehen sie sich in Schwierigkeiten, stehen Garantien und Gewinnbeteiligungen für die Kunden zur Disposition, also die Höhe ihre privaten Renten. Die Frage ist, wann ein Unternehmen oder gar eine ganze Branche als hilfsbedürftig betrachtet werden und Behörden und Finanzministerium Handlungsbedarf sehen. Offenbar, das zeigt das Beispiel der Bausparkassen, brauchen sie nicht einmal in die roten Zahlen zu geraten - es reicht, dass die Gewinne schmelzen.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.