"Ich will mit mir selbst im Reinen sein"

Russland Demetri Strokov lebt als Homosexueller in Moskau und versteckt sich nicht. Damit eckt er oft an. Ein Gespräch über Diskriminierung, Hoffnung und Ziggy Stardust

Der Freitag: Wann hast du gemerkt, dass du homosexuell bist?

Demetri Strokov: In der Pubertät. Ich habe vorher versucht, Beziehungen mit Mädchen zu haben. Aber das kam mir wie ein Modell vor, was von der Gesellschaft aufgezwungen wird – wie man sich benehmen soll, das Rollenspiel in der Familie und so weiter. Als ich anfing mich für Sex zu interessieren, verschwanden alle Zweifel.

Wie haben deine Eltern und Freunde davon erfahren?

Meine Mutter hat es vor vier Jahren zufällig erfahren. Ich wurde für das Cover eines Schwulenmagazins fotografiert und ließ das Magazin auf dem Tisch liegen. Wir hatten dann ein langes, schwieriges Gespräch, aber im Großen und Ganzen hat sie es akzeptiert. Ich glaube, sie dachte schon länger, dass ich homosexuell sei. Meine Freunde wussten es von Anfang an.

Du bist sehr extrovertiert, schminkst dich oft und ziehst dich auffällig an. Willst du damit auch die homophobe russische Gesellschaft herausfordern?

Das ist mein Hobby. Das macht mir einfach Spaß. Das Herausfordern der Gesellschaft hat eine Zeit lang auch eine Rolle gespielt, aber in letzter Zeit interessiert mich das weniger. Jetzt will ich in erster Linie mit mir selbst im Reinen sein.

Ist der offene Umgang mit deiner Homosexualität beruflich ein Problem?

Ja, es gab einige schwierige Situationen. Ich habe Informatik an einer pädagogischen Universität studiert und plante ein Praktikum bei einer Schule als Informatiklehrer zu machen. Die Schüler haben mein Profil sofort in den sozialen Netzwerken gefunden und ihren Eltern gezeigt. Die Eltern haben mein inszeniertes Internet-Image ernst genommen, sie haben sich an den Schuldirektor gewandt. Der sagte mir, ich könne doch nicht in der Schule arbeiten. Der Ruf der Schule habe Vorrang. Das war 2012, als man in Russland gerade das Gesetz gegen "homosexuelle Propaganda" vorbereitete. Heute arbeite ich bei einer russischen Firma, die Stadtpläne und Karten ähnlich wie Google Maps macht. Da gibt es keine Fragen oder Kommentare bezüglich meiner sexuellen Orientierung.

Du hast sehr auffällige Internet-Profile in den sozialen Netzwerken, steckst da viel Arbeit rein, mit Fotos, auf denen du aufwendig verkleidet bist. Brauchst du diese Verkleidungen, um dein Selbstbewusstsein zu stärken? Oder ist das für dich wichtig als Portfolio, weil du auch für verschiedene Magazine modelst?

Warum hat David Bowie sich Ziggy Stardust geschaffen? Weil es ging. Ich habe meine eigene Bühnengestalt geschaffen. Sie ist mir ähnlich, aber diese Figur ist mutiger, aktiver und eindrucksvoller, als ich es im alltäglichen Leben bin. Als Model habe ich seit langem nicht mehr gearbeitet.

Mit der Toleranz gegenüber Homosexuellen ist es schwierig in der russischen Gesellschaft. Erlebst du im Alltag in Moskau offene Aggression?

Jedesmal, wenn ich aus Europa nach Moskau zurückkomme, ertappe ich mich beim Gedanken, in welcher aggressiven und intoleranten Gesellschaft ich lebe. Das trifft nicht nur Homosexuelle. Ich wurde bisher einmal auf der Straße und einmal in der Bar "Kamtschatka" körperlich angegriffen. Über diesen Fall haben damals viele russischen Medien geschrieben, weil uns eine junge Duma-Abgeordnet begleitet hatte. Seitdem gehe ich halt nicht mehr ins "Kamtschatka". Ich hoffe, unsere Gesellschaft wird irgendwann verstehen, dass sie Menschen nicht einfach zu Feinden und Geächteten verurteilen sollte.

Du bist Stammgast im "Clumba", einem legendären und ausgefallenen Club in Moskau. Was fasziniert dich daran?

Das "Clumba" ist heute kein Underground-Club mehr, wie er es früher war. Ich würde ihn eher als Treffpunkt junger Hipster bezeichnen. Es sind auch Homosexuelle dort, so etwa fünf Prozent des Publikums. Selbstverständlich halten die meisten das geheim. Aber in letzter Zeit habe ich doch öfter Coming-Outs beobachtet – trotz all der diskriminierenden Gesetze, die unsere Duma verabschiedet hat. Ich finde es wichtig, den Menschen zu zeigen, dass ein Homosexueller nicht unbedingt ein geschminkter Junge oder ein kurzhaariges Mädchen mit Piercing sein muss. Die Homosexuellen, die ich kenne, sehen ganz normal aus und arbeiten in verschiedenen Bereichen wie Fernsehen, Bankwesen, Tourismus. Vielleicht können gerade diese normal aussehenden Homosexuellen etwas bewirken, wenn sie offen dazu stehen – so dass sich in unserer Gesellschaft langsam etwas verändert.

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