Die Quote auch für Schreibschulen? Unbedingt!

Gender Der Sexismus-Streit am Literaturinstitut in Hildesheim zeigt, wie nötig eine Debatte darüber ist, wie Literatur im 21. Jahrhundert gelehrt werden sollte
Ausgabe 28/2017
In Hildesheim wird eine Professur frei. Ob sie dieses Mal an eine Frau geht?
In Hildesheim wird eine Professur frei. Ob sie dieses Mal an eine Frau geht?

Foto: George Marks/Retrofile/Getty Images

Am Literaturinstitut Hildesheim wird zwischen Studierenden und Lehrenden aktuell heftig über Sexismus gestritten. Der Auslöser für die Diskussion ist ein im Mai erschienener Artikel in einem studentischen Faltblatt, der auf satirische Art und Weise die Strukturen des Instituts als patriarchal und sexistisch kritisiert. Die anonymen Verfasser werfen dem Institut vor, dass ganz überwiegend nur männliche Dozenten lehren und die Lektüre in den Seminaren zum großen Teil aus Werken von weißen Männern im fortgeschrittenen Alter besteht.

So weit, so kritikwürdig. Doch kurze Zeit später erschien in dem Faltblatt eine Stellungnahme der Herausgeber, in der sie sich für den Abdruck entschuldigten. Ob sie institutsintern unter Druck gesetzt wurden, ist unklar. Danach brach sich aber etwas Bahn, womit in Hildesheim so sicher niemand gerechnet hätte. Mehr als 150 Studierende, Absolventen und Absolventinnen – eine hohe Anzahl für die kleinen Jahrgänge – schlossen sich bei Facebook zusammen, mit dem Ziel, die Studienbedingungen öffentlich zu machen. Einige der daraufhin entstandenen Texte sind auf dem Blog der Zeitschrift Merkur erschienen. Mit dabei sind die Autorinnen Shida Bazyar und Alina Herbing. Auch Schreibschulabsolventinnen aus Leipzig und Biel reihten sich ein, um die Situation an ihren Instituten zu reflektieren.

In ihrem Erfahrungsbericht erzählt Shida Bazyar davon, dass sie sich als nicht-weiße Frau und Arbeiterkind mit Migrationsgeschichte in Hildesheim oft ziemlich allein vorkam. Zu ihrer Zeit, die nur wenige Jahre zurückliegt, habe es für Diskriminierungen kein Bewusstsein gegeben, berichtet sie. Stattdessen männliche Kommilitonen, die Seminardiskussionen beherrschten. Und anzügliche Sprüche. Alina Herbing spricht in ihrem Essay von einer Männerclique zwischen Studenten und Dozenten, in der – durch gemeinsames Fußballspielen und Biertrinken zusammengeschweißt – die relevanten Entscheidungen getroffen und freiwerdende Posten meist untereinander verteilt wurden. Und das, obwohl die Mehrheit der Studierenden weiblich war. In Leipzig hat sich die Situation laut der Autorin Özlem Özgül Dündar hingegen bereits verbessert. Es lehren aktuell mit fünf Gastdozentinnen gleich viele Frauen wie Männer am Literaturinstitut.

Klar ist aber: Auch eine Hochschule ist nicht frei von Sexismus, Rassismus und Klassismus. Ebenso wenig wie von ungesunden Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen. Und die Diskriminierung findet dort nicht unbedingt subtiler statt. Um dagegen anzuarbeiten, reicht ein Seminar, wie aktuell in Hildesheim, zu genderpolitischem Schreiben nicht aus. Hinzu kommen sollte, dass Studierende von ebenso vielen Frauen unterrichtet werden und eine vielfältigere Bandbreite an Literatur kennenlernen. Denn die Literatur, die von den Absolventinnen und Absolventen geschaffen wird, sollte ja auch so vielfältig sein wie unsere Welt. In Hildesheim wird eine Professur frei. Ob sie dieses Mal an eine Frau geht?

Viele literaturwissenschaftliche Institute an Universitäten sind bereits weiter als die Schreibschule Hildesheim. Es gibt zahlreiche literaturwissenschaftliche Professuren mit speziellem Genderschwerpunkt, genauso wie vielfältige und kluge Forschung zur Literatur von Frauen und Minderheiten. Das Argument, es gebe historisch bedingt weniger interessante Autorinnen, ist insofern nicht haltbar – auch wenn bedauerlicherweise noch nicht alle in den allgemeinen Kanon aufgenommen wurden. Eine Debatte darüber, wie Literatur im 21. Jahrhundert gelehrt werden sollte, ist daher notwendig. Auch deshalb, weil Literatur ja die Art und Weise spiegelt, wie wir auf die Welt schauen.

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