Hast du den schon gegoogelt?

Alltagskommentar Das Internet ist die Informationsquelle der heutigen Zeit, auch für neue Bekanntschaften. Anstatt sich wirklich zu treffen, wird sich unwirklich im Web erkundigt

Wer kennt die Situation nicht? Man hat einen neuen Job. Lernt am ersten Tag die Kollegen kennen. Nun möchte man wissen, mit wem man es zu tun hat. Nach Feierabend setzt man sich an den PC und googelt ihren Werdegang.

Oder man wartet morgens auf die Bahn. Seit Neuestem ist da immer dieser Typ. Er sieht gut aus. Man tauscht sogar Namen und Telefonnummern aus. Daheim sucht man online sofort nach ihm. Bilder zeigen ihn, umringt von seinen Jungs, alle in Trikots vor einem Eimer Sangría. So einer ist das? Bei Xing steht, er sei Projektmanager. Klingt langweilig. Weiter zu Facebook. Sein Profil ist nicht öffentlich, ihn jetzt schon adden geht nicht, zu aufdringlich. Und außerdem: Will man ihn nach all diesen Informationen noch treffen?

Schon immer wollten Menschen mehr über ihr Gegenüber wissen. Man möchte sich absichern, erfahren, ob eine gemeinsame Basis besteht, keine Zeit verschwenden. Denn beim ersten Treffen zeigt sich der Fremde meist nur von seiner besten Seite: Wer redet schon gerne über Studienabbrüche, Banküberfälle und Wutanfälle?

Fake-Identitäten im Netz

Früher dienten als Quellen gemeinsame Bekannte, Arbeitskollegen oder beim ein oder anderen vielleicht auch die Wahrsagerin. Heute googelt man. Das macht es erst mal leichter: Man muss anderen nicht offenbaren, für wen man sich gerade interessiert. Aber was im Netz steht, ist nicht objektiver. Es ist fragmentarisch, oft veraltet und willkürlich. Hinzu kommt die Selbstvermarktung 2.0. Würden die Profile bei Facebook die Realität spiegeln, bestünde die ganze Welt aus Supermodels, die gleichzeitig auf Weltreise gehen und im Beruf durchstarten.

Trotzdem bildet man sich anhand der Kategorien im Netz ein Urteil über den anderen – passt nicht zu mir, zu erfolgreich, zu einseitig, zu abgehoben. Und das oft, bevor ein erstes Treffen überhaupt stattgefunden hat. So kann es geschehen, dass soziale Plattformen zwar räumliche Distanzen abbauen, zwischenmenschliche dafür umso unüberwindbarer werden.

Wenn man das nächste Mal einen Namen bei Google eingeben will, sollte man stattdessen lieber nach „Answer Life, the Universe and Everything“ suchen. Ein Zitat aus Per Anhalter durch die Galaxis. Wie das Orakel im Buch spuckt Google „42“ aus, eine Antwort, mit der man nichts anfangen kann. Google ist nicht allwissend, kann nicht vor Enttäuschung bewahren. Deshalb lieber mal weg vom PC. Nur, wer sich trifft – ganz old school, so wie früher –, kann überrascht werden und wirklich neue Bekanntschaften machen.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden