Alles geht ganz schnell, ein Demonstrant im grünen Pullover bringt ein Pferd zu Fall. Der Gestürzte, ein Reiter im roten Pullover tritt auf seinen Angreifer ein, versucht danach zu fliehen. Doch er wird von einer Gruppe anderer Demonstranten aufgegriffen, an die Seite gezerrt. Sie schreien und schlagen ihn, bis er mit blutendem Kopf am Boden liegt.
Der Mann gehörte zu dem Schlägertrupp, der am 2. Februar 2011 auf Pferden und Kamelen auf den Kairoer Tahir-Platz gekommen war, um gewaltsam gegen die Mubarak Gegner vorzugehen. Die Reiter hatten die Demonstranten mit Stöcken, Peitschen und Macheten angegriffen. An diesem Tag, der einer der blutigsten der Ägyptischen Revolution gewesen ist, gab es mindestens drei Todesfälle und 600 Verletzte.
Hierbei handelt es
r einer der blutigsten der Ägyptischen Revolution gewesen ist, gab es mindestens drei Todesfälle und 600 Verletzte. Hierbei handelt es sich um eine Amateuraufnahme. Hochgeladen bei Youtube, kursiert sie seitdem im Netz. Sie ist Ausgangspunkt für "After the Battle", den ersten Spielfilm des ägyptischen Regisseurs Yousry Nasrallahs, der dieses Jahr beim Filmfestival in Cannes uraufgeführt wurde.In Deutschland feiert „After the Battle“ seine Premiere. Der Film gehört zum Hauptprogramm beim diesjährigen Alfilm – Arabisches Filmfestival in Berlin, das zum vierten Mal stattfindet. Nach der positiven Resonanz der letzen Jahre werden dieses Jahr rund 7000 Besucher erwartet. Die Filme bestehen sowohl aus gegenwartsbezogenen sowie historischen Stoffen. Ihr Thema ist die politische, soziale und kulturelle Lebenswirklichkeit der Menschen in der arabischen Welt. Die florierende arabische Filmszene hat mutige Filmemacher hervorgebracht. Überwiegend verhandeln die Streifen keine leichte Kost. Die meisten sind nichts für das Unterhaltungskino. Wir sehen nur die TatDie Ägyptische Revolution ist für uns ein Flickenteppich aus Bildern und Worten. Neue Ausschnitte versuchen wir in unseren bisherigen Kenntnisstand einzuordnen. Jedoch sind die Informationen von den Medien bereits gefiltert und aufbereitet. Selbst seriöse Medien, die um objektive Berichterstattung und ausreichende Hintergrundinformation bemüht sind, berichten damit tendenziös. Bei Revolutionen geht es um die Masse, nie um das Individuum. Und beim Täter geht es immer um die Tat, selten um die Vorgeschichte des Täters. Es beruhigt, wenn sich Gutes und Böses nicht zu einem grauen Einerlei vermischen. Das Youtube-Video der Reiter hat über 339.000 Klicks erreicht. Für den durchschnittlich informierten User ist der Fall ziemlich eindeutig: Auf der guten Seite stehen die Demonstranten, auf der bösen von Mubaraks Anhängern aufgehetzte Hinterwäldler. Auf sie kann man vom Sofa aus beruhigt mit dem Finger zeigen. Aber vielleicht sollte man mal einen genaueren Blick wagen und hinterfragen, was einem die Nachrichtenwelt tagtäglich auf dem Silbertablett serviert. Opfer und Täter in einer PersonUnd genau an dieser Stelle setzt Yousry Nasrallahs Film an, verschränkt Realität mit Fiktion. Auf einmal befindet man sich mitten im Seelenleben der Protagonisten, sieht die Konflikte mit ihren Augen, ist gezwungen sein Weltbild ein ganzes Stück Richtung Wahrheit zu rücken. Das kann dann auch mal richtig weh tun, wenn man merkt, wie klein der eigene Horizont häufig ist. In „After the Battle“ begleitet man die fortschrittliche Journalistin Reem (Meena Chalaby), die sich ganz in den Dienst der politischen Sache gestellt hat und gegen das ägyptische Regime auf die Straße geht. Mit ihr gemeinsam lernt man Mahmoud (Bassem Samra) kennen, den Unglücksreiter aus dem Youtube-Video. Reem versucht zu verstehen, warum Mahmoud gegen die Revolution ist. Und als sich nach und nach seine persönlichen Gründe für die Tat herausstellen, sieht man plötzlich vieles in einem anderen Licht.Auf einmal ist der Reiter im roten Pullover ein Mensch aus Fleisch und Blut. Einer, der unpolitisch war und zufrieden mit seinem bescheidenen Leben. Der sich bloß deshalb auf Mubaraks Seite geschlagen hat, weil ihn die Demonstrationen finanziell ruiniert haben. Ein Mann, dessen Job es war, Touristen zu den Pyramiden zu führen. Doch nach den ersten politischen Unruhen blieben die Touristen fern. Und weil sogar die Hütte, in der er wohnt, einem Mubarak Anhänger gehört und er vom Leben eingebläut bekommen hat, dass man die Hand, die einen füttert, nicht beißen sollte, zieht er in den Kampf. Durch die Aufnahme ist er auf einmal über die Landesgrenze hinaus bekannt, wird von den Nachbarn verstoßen ebenso wie seine Kinder von ihren Freunden. Verdrängte VergangenheitAuch die Dokumetation "Fidaï", der Eröffnungsfilm von Filmemacher Damien Ounouri, geht der Schuldfrage nach. Der Regisseur begibt sich auf die Reise in die Zeit des algerischen Unabhängigkeitskampfes. Er begleitet seinen Großonkel, einen ehemaligen Freiheitskämpfer der FLN (Nationale Befreiungsfront) dabei, wie er sich zurückerinnert. Traumatisiert von der brutalen Unterdrückung Frankreichs, aber auch vom eigenen Zurückschlagen, verdrängte El Hedi jahrzehntelang die dunkle Seite seiner Biografie. Damit steht er stellvertretend für ein ganzes Land, das den Mantel des Schweigens über seine Vergangenheit ausgebreitet hat. Über die Darstellung persönlicher Schicksale nimmt das Gesicht der Arabischen Welt menschliche Züge an. Manche Protagonistinnen und Protagonisten kommen einem dabei so nah, dass man sie noch eine ganze Weile mit sich herumtragen wird.Gerade diejenigen, bei denen die Opfer-Täter-Frage nicht eindeutig beantwortet werden kann. Die Leid, Ungerechtigkeit und Verlust erlebt haben, sich aber dennoch immer wieder aufraffen, um für eine bessere Zukunft zu kämpfen, werden einem noch lange in Erinnerung bleiben.Alltägliches Leben Doch aller gesellschaftlichen Umbrüche und der unsicheren Lebenssituation in der Arabischen Welt zum Trotz findet alltägliches Leben statt, gibt es im privaten Rahmen immer wieder ein friedliches Miteinander, den Dialog zwischen Menschen mit unterschiedlichen Religionen und diametralen Lebensvorstellungen.Das wird besonders deutlich in "On the Road to Downtown", der das Leben der Bewohner der Kairoer Innenstadt nach der Revolution porträtiert. Oder "La Vierge, les Coptes et Moi/The Virgin, the Copts, and Me", das Regiedebüt von Namir Abdel Messeeh, dessen resolute Mutter, eine in Paris lebende Koptin, an Marienerscheinungen in ihrem Geburtsland Ägypten glaubt. Als Messeeh sich auf die Suche nach der Wahrheit macht, entdeckt er etwas viel Wichtigeres: seine Wurzeln. Neben dem Hauptprogramm wird die Reihe „Generation in Transit“ gezeigt. Sie beleuchtet im historischen Kontext die Verbindung zwischen Jugendkultur und politischem Wandel. Außerdem wird es eine Retrospektive zum Werk der marokkanischen Regisseurin Farida Benlyazid geben, ihr Sujet ist die weibliche Rolle im Islam.Wovor man aber unbedingt gewarnt sein sollte: Wer das Alfilm - Arabische Filmfestival besucht, sollte von deutschen Kinoproduktionen erstmal die Finger lassen. Die wirken dagegen nämlich seltsam inhaltslos. Man kann nur hoffen, dass es viele der arabischen Filme in die deutschen Arthouse-Kinos schaffen.
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