Jetzt erst recht

Plädoyer Muss es auch mal gut sein mit dem Feminismus? Von wegen. Die Bewegung ist notwendiger denn je
Ausgabe 02/2017

Als ich 1984 geboren wurde, durften Frauen in Liechtenstein zum ersten Mal wählen. Zugegeben, andere Länder waren da etwas schneller: Deutschland führte 1918 das Frauenwahlrecht ein, zwei Jahre später folgten die USA. Dennoch ist es aus heutiger Sicht kaum zu fassen, dass der erste Etappensieg der Frauenrechtlerinnen erst so kurz her sein soll.

Aber das sei ja Vergangenheit, Frauen und Männer hätten doch heute überall die gleichen Chancen, hört man oft von jenen, die im nächsten Satz fortfahren, es müsste jetzt aber doch auch mal gut sein mit Feminismus und dem ganzen Gendergedöns. Nur, die Realität für Frauen sieht anders aus. In unserem Alltag werden wir ständig daran erinnert, „nur“ Frauen zu sein. Wie schon unsere Mütter und Großmütter werden wir mit sexistischen Verhaltensweisen konfrontiert und müssen nach männlichen Regeln spielen. Wir verdienen im Schnitt 22 Prozent weniger, werden bei der Kinderbetreuung nur unzureichend unterstützt und die Hälfte von uns wurde bereits sexuell belästigt, jeder Vierten von ihrem Lebenspartner Gewalt angetan.

Diese Fakten sind altbekannt und allein Grund genug, dass es eben nicht mal gut ist mit dem Kampf um gleiche Rechte und Chancen. Hinzu kommt aber noch etwas anderes. Wir leben in einer Zeit des Backlashs, in der hart erkämpfte und sicher geglaubte Errungenschaften von Rechtspopulisten wieder attackiert werden. Und in der Frauenhasser, Chauvinisten und Paschas Morgenluft wittern.

Auch so genug zu tun

Spätestens seit der Wahl von Donald Trump zum nächsten US-Präsidenten sind Sexismus und sexualisierte Gewalt wieder salonfähig geworden. Eines der wichtigsten Ämter der Welt ist an einen Mann gegangen, der Frauen nach ihrer Fuckability beurteilt und sexuelle Übergriffe als legitim ansieht. Und in Deutschland sitzt mit der AfD eine Partei in mittlerweile zehn Landtagen, die sich in die „gute alte Zeit“ zurückwünscht, als Frauen für Haushalt und Kindererziehung zuständig waren und ansonsten ihre Klappe hielten. Eine ironische Randnotiz dabei: Ohne Feminismus würde Frauke Petry heute Hemden bügeln, anstatt eine Partei zu führen.

Es ärgert mich, dass wir uns mit Donald Trump und der AfD herumschlagen müssen. Auch ohne sie hätten wir wirklich genug zu tun. Über 200 Jahre Frauenbewegung haben nicht ausgereicht, um uns von Sexismus und sexualisierter Gewalt zu befreien. Bis heute gibt es eine feste Vorstellung davon, wie Frauen und Männer zu sein haben, um akzeptiert zu werden. Darunter leiden auch diejenigen, die nicht in das Schema von zwei Geschlechtern und die heterosexuelle Norm passen. Schon im Kindesalter fängt es an. Da werden kleine Jungs ausgelacht, weil sie sich die Nägel lackieren. Als Grundschülerin wurde ich von der Mutter einer Freundin ermahnt, mir einen weiblicheren Gang anzugewöhnen. In der Pubertät stellte ein Junge verächtlich fest, dass mein Freund schwul sein müsse, weil ich einen Kurzhaarschnitt trug.

Rollenklischees strengen an: In der Autowerkstatt oder bei Fragen nach dem Weg wird fast ausschließlich mit dem männlichen Begleiter gesprochen und der Frau im Zweifelsfall sogar der Rücken zugekehrt. Im Baumarkt schwankte eine Freundin von mir neulich zwischen zwei Wandfarben. Da attestierte ihr der Verkäufer die für Frauen angeblich so typische Entscheidungsschwäche und riet ihr, das nächste Mal ihren Freund mitzubringen.

Und dann sitze ich mit Freundinnen zusammen und höre, wie eine plötzlich sagt, dass Frauen im Alter immer schlechter und Männer immer besser werden – und ich ertappe mich dabei, dass ich diesen Satz vor ein paar Jahren auch schon so ausgesprochen habe, ohne darüber nachzudenken, woher er kommt und ob er sich für mich überhaupt richtig anfühlt.

Es sind Herabsetzungen wie diese, die uns durch den Alltag begleiten. Und die etwas machen, die mit ihrem Dauerfeuer nicht spurlos an uns vorbeigehen. Ich habe einige selbstbewusste Frauen erlebt – und ich selbst gehörte auch dazu –, die sich wahnsinnig ironisch dabei vorkamen, wenn sie frauenverachtende Texte wie „Lutscht meinen Schwanz“ von Kool Savas oder „Strip für mich“ von Sido mitsangen, ohne sich Gedanken darüber zu machen, dass Worte und Bilder ins Unbewusste gelangen und dort in eine selbstverachtende Haltung umschlagen können.

Einer Freundin von mir ist neulich aufgefallen, dass sie seit ihrer frühesten Kindheit unbewusst Glaubenssätze wie „Frauen sind wertlos“ und „Nur Männer können erfolgreich sein“ mit sich herumschleppte, die ihr, bis sie dies erkannte, das Leben schwer machten.

Und ich kenne viele Mädchen und junge Frauen, die einem durch die Medien propagierten Schönheitsideal von Weiblichkeit hinterherrennen, das viel Geld kostet und die Psyche kaputtmacht, aber niemals erfüllt werden kann. Mädchen, die sich spätestens ab der Pubertät von ihren Mitschülern erklären lassen, wie ein attraktives Mädchen auszusehen hat, wenn es von ihnen und der Welt geliebt werden möchte.

Das alte Kampfklischee

Sexismus lässt sich nicht auf einen bestimmten Teil der Gesellschaft oder bestimmte Berufsfelder eingrenzen. Er begegnet Frauen überall: Eine Regieassistentin wurde bei einer Premiere dafür gelobt, dass sie die Probenzeit optisch aufgewertet habe. Oder eine Ärztin erzählte mir neulich, dass sie für denselben beruflichen Erfolg doppelt so hart arbeiten musste wie ihre männlichen Kollegen – und dass sie mit ihrer Schwangerschaft gegen ihren Willen bis Mitte 30 wartete, da es mit ihrer Karriere ansonsten augenblicklich vorbei gewesen wäre. Und nach einem langen Arbeitstag sind es meistens nach wie vor die Mütter – auch bei aufgeschlossenen Partnern –, die das Abendessen richten und die Kinder zu Bett bringen.

Und ärgern wir uns über einen sexistischen Witz wie „Warum haben Frauen Beine? Keine Ahnung? Dann guck dir mal die Sauerei bei den Schnecken an!“, werden wir als verspannt und humorlos bezeichnet. Dann ist da sofort wieder das alte Kampfklischee, das Feministinnen als humorlose und verknöcherte Wesen darstellt, die irgendwie ein Problem mit ihrem Frausein haben. Die selber schuld sind, nicht die Gesellschaft.

Dann sind da noch die vielen Übergriffe, für die wir Frauen angeblich selbst verantwortlich seien, wenn wir halbnackt herumliefen, wie es eine Freundin von mir neulich zu hören bekam. Eine andere erfuhr von ihrer Chefin, dass sie nicht ernst genommen würde, wenn sie in luftigen Sommerkleidern durch die Gegend stolziere. Und mehrere Freundinnen berichteten mir davon, dass sie schon mal von aufdringlichen Männern verfolgt wurden. Eine, nachdem sie sich verbal gegen einen sexistischen Spruch gewehrt hatte.

Es sind Geschichten, die mir nur allzu vertraut vorkommen: Als ich als Journalistin einen Leistungssportler im Ruhestand interviewte, küsste er mich plötzlich – nicht ein Mal, sondern drei Mal. Und jedes Mal so abrupt, dass ich völlig überrumpelt war. Seine Ehefrau war übrigens mit im Raum und versuchte, das Verhalten ihres Mannes wegzulächeln. Während eines anderen Interviews erklärt mir ein Mann, dass er mir erst dann Auskunft geben wolle, wenn ich ihm meine BH-Größe verriete. Bei einem Termin auf einem „Mittelalterfest“ erzählte mir ein als Ritter verkleideter Mann, dass so hübsche Dinger wie ich in seiner Lieblingsepoche einfach vergewaltigt worden wären. Er fand das nicht schlimm, hielt sich nur für ein wenig frech-frivol.

Das gehört zu meinem Alltag als Frau: Bei einem Kneipenbesuch hält plötzlich jemand ein Handy über die Toilettentür und macht Fotos von mir. Während eines Bierfests versucht ein Typ in Lederhose, meine Freundin in einen Hinterhof zu zerren. Und vor meinen Augen wird in Prenzlauer Berg eine junge Frau aus einem Falafel-Laden herausgeprügelt. Der Schläger rechtfertigt sich damit, dass er sie vor ihrem schlagenden Exfreund habe „retten“ wollen, mit dem sie an diesem Abend unterwegs war.

Die geschilderten Erlebnisse sind nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was Frauen tagtäglich erleben. Es macht mich jedes Mal aufs Neue fassungslos, dass der Feminismus alle paar Monate als überholte Bewegung bezeichnet wird und Feministinnen als hysterisierte Moralapostel beschimpft werden. „Nimm mal die lila Tinte aus dem Füller“, wurde mir erst kürzlich wieder erklärt.

Wenn ich mich als Feministin bezeichne, wird es auch unter Frauen oft seltsam still. Dabei müssen wir doch gerade in Zeiten von Trump und AfD zusammenhalten, lautstark gegen Sexismus und sexualisierte Gewalt eintreten. Und wir müssen dafür kämpfen, dass Feminismus endlich zum Mainstream wird. Bis dahin ist es noch ein sehr langer Weg.

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