Am Herd der Zivilisation

Anthropologie Der Anteil der warmen Küche an der Menschwerdung des Affen: Forscher betrachten die Entdeckung des Garpunktes als entscheidenden Schritt in der menschlichen Evolution

Einige Forscher fragen: „Was macht uns zum Menschen?“ Richard Wrangham will wissen, „Wie mögen wir unsere Steaks?“ Denn die Wahl zwischen „gut durch“ und „fast roh“ macht uns laut dem Anthropologen an der Harvard-Universität zum Menschen. „Dank der Fähigkeit zu kochen ist unserem Vorfahren, dem Homo erectus, der entscheidende Schritt zum Menschen gelungen“, so Wrangham. Mit seiner Theorie tritt er einigen Kollegen auf die Zehen, die den Gebrauch von Werkzeugen und das Essen von Rohfleisch als entscheidende Schritte der menschlichen Evolution betrachten.

Wrangham behauptet, das Kochen habe die Entwicklung unserer Gehirnkapazität und des aufrechten menschlichen Körpers angetrieben. Er untermauert seine Theorie mit den anatomischen und physiologischen Veränderungen, die sich vor über 1,8 Millionen Jahren am Homo erectus vollzogen haben. Neben dem aufrechten Gang und der Zunahme des Gehirnvolumens hat sich damals außerdem auch der Magen verkleinert und das Aussehen des menschlichen Vorfahren geändert. Das Gebiss und der Mund wurden kleiner. Laut Wrangham ein Indiz, dass der Homo erectus nicht länger rohes Fleisch zerkleinern musste, sondern einen Weg gefunden hatte, es bekömmlicher zu machen – mithilfe des Kochens.

„Des Kochs Hauptziel war es schon immer, die Nahrung weicher zu machen“, sagt der bekannte Koch Michael Symon, auf den sich Wrangham neben seinen Forscherkollegen beruft. Je weicher und bekömmlicher das Essen, desto schneller und vollständiger kann es verdaut und daraus Energie gewonnen werden.

Die Aufnahme von Rohfleisch entpuppt sich dagegen als großer Energieaufwand, den der Mensch von heute dank seiner Vorfahren gekonnt löst. „Schimpansen verbringen rund sechs Stunden am Tag mit Kauen. Sie brauchen täglich rund 1.800 Kalorien. Das heißt sie nehmen während des Kauvorgangs pro Stunde 300 Kalorien auf. Nicht so wir Menschen“, vergleicht Wrangham. Europäer nehmen durchschnittlich zwischen 2.000 und 2.400 Kalorien täglich zu sich, verbringen aber nur rund eine Stunde mit Kauen. Damit eignen sie sich innerhalb einer Stunde bis zu achtmal so viel Energie an wie der Menschenaffe. Das sei ein Beispiel für die Energieeffizienz des Kochens, so Wrangham.

Die Frau am Herd

Mit dem Kochen kamen dem Anthropologen zufolge nicht nur ein größeres Gehirn und eine verbesserte Energieaufnahme, sondern auch soziale Umwälzungen. Eine der damaligen Schlüsselveränderungen sieht der Forscher in der geschlechtsbasierten Arbeitsteilung: „Mit der Erfindung des Kochens etablierte sich die lange Zeit als traditionell betrachtete Rolle der Frau als Köchin, währen der Mann weiterhin der Jagd nachging“, sagt Wrangham.

Zuvor habe es keine so klare Unterscheidung im Teamwork gegeben, weil auch der Mann beispielsweise Früchte sammeln konnte. Das Kochen wiederum, ein zeitlich aufwendiger Vorgang, war für den Mann neben der Jagd nicht möglich. Also verbanden sich die Geschlechter in einem laut Wrangham neuartigen Güteraustausch: Der Mann beschützte die Frau vor Essensdieben, die Frau teilte das zubereitete Essen mit dem Mann. Dieser Austausch sicherte dem Wissenschaftler zufolge zwei der Hauptinteressen beider Geschlechter. Auch die Gruppendynamik unserer Vorfahren soll dank des Kochens eine bis dato unbekannte Qualität erhalten haben. Die Zubereitung der Nahrung mithilfe des Feuers festigte die Interaktionen zwischen ihnen. Denn Teamwork war laut dem niederländischen Soziologen Joop Goudsblom und seinen Kollegen bereits notwendig, wenn es um so grundsätzliche Fragen ging wie: Wer passt auf das Feuer auf? Kochen als gemeinschaftliche Tätigkeit soll auf diese Weise vor Millionen Jahren das Gruppenbewusstsein gestärkt haben.

Gruppenbewusstsein konnte Richard Wrangham im Februar dieses Jahres wiederum nur bedingt feststellen: Bei dem jährlichen Treffen der American Association for the Advancement of Science (AAAS) kritisierten einige Kollegen seine Theorie aufgrund eines schwerwiegenden Hakens: Der Wissenschaftler kann sie nicht vollständig beweisen. Bislang bekannte Ausgrabungsstätten belegen lediglich, dass das Zünden und Kontrollieren der Flammen vor 800.000 zum Repertoire unserer Vorfahren zählte. Stark umstritten ist dagegen die Authentizität der Funde, die den Homo erectus vor 1,6 Millionen Jahren als Herren der Flammen ausweisen wollen. Was Wrangham für die Untermauerung seiner These bräuchte, reicht jedoch noch weiter in die Vergangenheit: Überbleibsel von Feuerstellen, die rund 1,8 Millionen Jahren überdauert haben, könnten seine These belegen.

Bis diese gefunden werden, bleibt Wranghams Theorie eine von mehreren möglichen Erklärungsoptionen für die evolutionäre Entwicklung des Menschen. Immerhin hat er den bekanntesten Evolutionsforscher auf seiner Seite: „Charles Darwin nannte die Sprache und das Kochen die wohl wichtigsten Erfindungen, die der Mensch je gemacht hat“, zitiert Wrangham.

Anna Gielas forscht als Gastwissenschaftlerin in Harvard über die Psychologie politischer Konflikte und promoviert in St. Gallen mit einer Arbeit über den internationalen Austausch kultureller Güter

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